CO2-Reduktionsdesign

Strommarkt: Zentrale und dezentrale Energiewelt

Zentrale und dezentrale Energiewelt (Bildquelle: Autoren)

Strommarkt: Entwicklung smarter Plattformen von einer Basisplattform zu einer „Educated Platform“

Entwicklung smarter Plattformen von einer Basisplattform zu einer „Educated Platform“ (Bildquelle: Autoren)

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben im Ansatz zwei „Energiewelten“ hervorgebracht: eine „zentrale“ und eine „dezentrale“ (Abb. 3). Die zentrale Energiewelt ist mit ihrem Fokus auf Erzeugungsanlagen und die Gewährleistung von Versorgungssicherheit stark hardware-geprägt und – weil weniger nah am Endverbraucher – weniger service­orientiert. Die dezentrale und damit kundennahe Energiewelt zeichnet sich demgegenüber durch einen starken Fokus auf Dienstleistung und datenbasierte, kunden­individuelle Energie­lösungen aus.

Über die beschriebene(n) smarte(n) Plattform(en) müssen die „zentrale Energiewelt“ und die von dezentraler Erzeugung/Speicherung sowie Prosumern geprägte „dezentrale Energiewelt“ in Balance gebracht werden. Zum Ausgleich fluktuierender Erzeugung tragen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit große, grundlastfähige Kraftwerke ebenso bei wie Großspeicher und in Zukunft möglicherweise Power-to-X (PTX)-basierte Technologien (Sektorkopplung). Im ersten Schritt (von uns als „CO2-Reduktionsdesign 4.0“ bezeichnet) wird die Ver­sor­gungssicherheit noch von Wasserkraftwerken, Großspeichern sowie auch Gas­kraft­werken geliefert werden. Mittel- bis längerfristig (von uns „CO2-Reduktionsdesign 4.x“ genannt) wird das Thema der Versorgungssicherheit auf zentraler Ebene immer mehr von Ptx-Technologien und Großspeichern bedient werden.

Vor allem in der „dezentralen Energiewelt“ wird die Versorgungssicherheit zunehmend soft­wareseitig bzw. mit Hilfe von KI gewährleistet werden: Die „Digitalisierung der realen Welt“, die Abbildung der Realität durch Sensoren sowie das Angebot an smarten Lösungen zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Smart Industry und Smart Home lassen erwarten, dass auch die Sicherstellung der Versorgungssicherheit immer „smarter“ wird. Für die Zukunft ist insgesamt eine Schwerpunkt­verlagerung von der zentralen in Richtung der dezentralen Energiewelt zu erwarten. Dort werden „traditionelle Energieversorger“ nicht mehr nur untereinander im Wettbewerb stehen, sondern auch auf eine wachsende Konkurrenz mit datengetriebenen Unternehmen, spezialisierten Energiedienstleistern sowie kundenseitig auf „emanzipierte“ Prosumer treffen.

Das angestoßene CO2-Reduktionsdesign hat durch die Corona-Krise einen externen Schock erfahren. Bevor die ökonomischen und energiewirtschaftlichen Effekte betrachtet werden, ist festzustellen, dass die Krise zuallererst eine medizinische Krise mit zumindest in einzelnen Ländern verheerenden Schäden ist. Kommt man dann auf die wirtschaftlichen Auswirkungen zu sprechen, schlägt sich der externe Schock der Corona-Krise in mehrfacher Hinsicht in der Energiebranche nieder: Zumindest kurzfristig zeigen sich negative Effekte in Form eines Absatzrückgangs. Mittel- bis langfristig könnte die Energiebranche jedoch zu den Branchen gehören, die halbwegs unbeschadet und – vielleicht sogar mit neuem Rückenwind – aus der Krise kommen.

Zunächst einmal zu den kurzfristigen Auswirkungen auf der Absatzseite: Laut Daten des BDEW lag der Stromverbrauch in Deutschland Anfang April um 8,7 % unter dem Verbrauchsniveau von Anfang März. Der steigende Haushaltsstromverbrauch wurde klar durch die gedrosselte Industrieproduktion und die Schließungen im Gewerbebereich kompensiert [2]. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass die Energienachfrage weltweit in diesem Jahr um 6 % sinken wird, wenn die Kontaktbeschränkungen über einen Großteil des Jahres bestehen bleiben. Dieser Rückgang um 6 % wäre einmalig in den letzten 70 Jahren und massiver als die Konsequenzen der Ölkrisen in den 1970er Jahren oder der Finanzkrise vor gut zehn Jahren [3].

In Europa wird – wie in anderen entwickelten Industrienationen wie den USA oder Japan – ein im Vergleich zum globalen Durchschnitt noch stärkerer Rückgang der Energienachfrage erwartet: Für Europa rechnet die IEA mit einem Einbruch der Energienachfrage in Höhe von 11 % – bei Strom soll der Rückgang zwischen 5-10 % liegen [4]. Dieser Rückgang beim Stromabsatz führt natürlich zumindest kurzfristig zu entsprechenden Umsatz- und Ergebniseinbußen.

Auf der anderen Seite bedeuten die beschriebenen Entwicklungen aber auch Rückenwind für das CO2-Reduktionsdesign: Bei den CO2-Emissionen wird ein Rückgang um 8 % und damit eine sofortige Kompensation aller CO2-Zuwächse der letzten zehn Jahre erwartet [5]. Zudem ist zu vermuten, dass die erneuerbaren Energien die einzige wachsende Energiequelle in diesem Jahr sein werden, weil sie weltweit politischen Vorzug gegenüber anderen Energie­trägern genießen und in den Betriebskosten zunehmend wettbewerbsfähig bzw. günstiger geworden sind [6]. In Deutschland schreibt Baden-Württemberg als erstes Bundesland eine verpflichtende Installation von PV-Anlagen auf gewerblichen Neubauten vor [7].

Weil Themen wie klimaschonende Energietechnologien, digitale Geschäftsmodelle und erfolgversprechende Start-ups als Geschäftsfelder der Zukunft gelten und als solche auch gefördert werden, könnte die Energiebranche letztlich von dieser Krise profitieren und die bereits eingeleitete Transformation beschleunigt werden.

Wir gehen davon aus, dass die Corona-Krise einige bereits zuvor angestoßene Trends verstärken wird, die sich auch auf den Strommarkt niederschlagen werden. Die Wochen während des Lockdowns haben gezeigt, dass sich klassische Büroarbeit (unerwartet oft) gut auch außerhalb einer herkömmlichen Büroumgebung erledigen lässt. Der bereits vor Corona vorhandene Trend zum Home-Office und zur Nutzung einschlägiger Konferenz- und Collaboration-Technologien wurde durch die Pandemie verstärkt und es ist zu erwarten, dass diese Form einer „New Work“ auch nach der Krise zumindest in Teilen weiter Bestand haben wird. Dies wird unter anderem Verschiebungen am Immobilienmarkt mit sich bringen. Diese werden sich nicht nur im Flächenbedarf bei Gewerbe- und Privatimmobilien, sondern auch in der energetischen Gebäudeversorgung und der notwendigen IT-Infrastruktur von Gebäuden niederschlagen.

Diese Veränderungen im Immobilien- und Bausektor werden auch für Energieunternehmen von Bedeutung sein. Innovative Geschäftsmodelle [8] in diesem Bereich werden zunehmend intelligente Lösungen zum Beispiel auf Basis von KI nutzen: Ein Beispiel wäre die Bündelung additiver Nachfrageprofile (von Wohneinheiten, Quartieren, Elektrofahrzeugen etc.) zu einem Nachfragecluster.

Von der „Smart Platform“ zur „Educated Platform“

Womit wir schlussendlich wieder bei der smarten Plattform wären: Künftig wird es in der Energiewirtschaft immer weniger um die Vermarktung von „Versorgungsprodukten“ entlang einer vertikalen Wertschöpfungskette – sondern vielmehr um das Angebot von Energie-/Infrastrukturdienstleistungen und innovativen Lösungen über eine smarte Plattform – gehen. Je weiter sich diese Plattform von der Basisplattform mittels KI und entsprechender Dienstleistungen zu einer „Educated Platform“ (Abb. 4) entwickelt, desto bessere innovative Geschäftsmodelle lassen sich dann gestalten. Diese kombinieren physische Stromlieferung, Nachfragecluster, Versorgungssicherheit, Speicher und infrastruk­turnahe Dienstleistungen.

Literatur

[1] Vgl. BDEW-Pressemitteilung vom 1.4.2020: Erneuerbaren-Anteil wegen großer Sondereffekte erstmals bei 52 Prozent, https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/erneuerbaren-anteil-wegen-großer-sondereffekte-erstmals-bei-52-prozent/

[2] Vgl. BDEW Pressemitteilung vom 2.4.2020: Corona-Krise: 8,7 % weniger Strom…, https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/corona-krise-87-prozent-weniger-strom/

[3] Vgl. International Energy Agency (IEA): Global Energy Review 2020 – The impacts of the Covid-19 crisis on global energy demand and CO2 emissions, S. 11.

[4] Vgl. IEA, aaO., S. 15 f. und S. 25.

[5] Vgl. IEA, aaO., S. 4.

[6] Vgl. IEA, aaO., S. 4.

[7] Vgl. FAZ Online vom 15.5.2020: Eine Solardach-Pflicht für alle? https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/baden-wuerttemberg-eine-solardach-pflicht-fuer-alle-16770000.html

[8] Vgl. Nagl, A.; Bozem, K.: Geschäftsmodelle 4.0 – Business Model Building mit Checklisten und Fallbeispielen, Wiesbaden 2018.

Prof. Dr. V. Rath (rath@hochschule-bc.de), Studiengang Energiewirtschaft, Hochschule Biberach; Senior-Beraterin bei bozem, consulting associates munich, München; Dr. K. Bozem (bozem@bozem-consulting.de), Inhaber bozem consulting associates munich, München; Prof. Dr. A. Nagl (anna.nagl@hs-aalen.de), Studiendekanin und Leiterin Kompetenzzentrum für innovative Geschäftsmodelle, Hochschule Aalen; Senior-Beraterin bei bozem consulting associates munich, München

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