Positive Effekte für den Klimaschutz?

„et“: Hat die Corona-Krise positive Effekte für den Klimaschutz?

Bettzüge: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben einen erheblichen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten zur Folge. Damit verbunden ist ein spürbarer Rückgang der Treibhausgas-Emissionen. Weltweit wird der Rückgang um rund 20 % – also etwa auf das Niveau von 2006 – geschätzt. In Deutschland könnte mit einem derart starken Rückgang sogar das Klimaziel der Bundesregierung für 2020 erreicht werden. Die Corona-Pandemie bestätigt also einmal mehr den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsleistung und Emissionen.

Interessanterweise werden die absoluten Rückgänge bei den Emissionen nicht als neue Basis angesehen. Stattdessen werden – parteiübergreifend – Forderungen nach Wirtschaftsbelebung und Investitionsprogrammen erhoben – also nach mehr Energieverbrauch und mehr Emissionen. Daher ist der aktuelle Rückgang bei den Emissionen aller Voraussicht nach nur temporär. Wenn die Wirtschaftsleistung wieder zunimmt, werden auch die Emissionen wieder steigen.

„et“: Gilt das auch global?

Bettzüge: Ja. Die klare Priorität liegt überall auf der Welt auf der wirtschaftlichen Erholung. Der Ehrgeiz der Staaten der Weltgemeinschaft, Emissionen schnell zu vermindern, hat sich durch die Corona-Pandemie sicherlich weiter reduziert. Zumal fossile Brennstoffe günstiger geworden und die Kosten von Vermeidungsmaßnahmen entsprechend gestiegen sind. Die politischen und finanziellen Anstrengungen für den Klimaschutz werden daher weltweit vermutlich eher sinken als steigen. Insbesondere in China und den USA ist eine solche Entwicklung bereits deutlich erkennbar.

„Die Corona-Krise ist temporär, also müssen die Instrumente ebenfalls temporär sein. Die drei T der Konjunkturpolitik lauten: Timely, Targeted, Temporary. Wir dürfen die Instrumente nicht vermischen: Strukturwandel ist langfristig, Konjunkturprogramme sind temporär. Die Auslöser der Krise liegen außerhalb der Wirtschaft: im Lockdown zur Eindämmung der Infektionen.“

Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI); Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der Universität zu Köln

„et“: Steigen damit die Chancen, die EU tatsächlich bis 2050 klimaneutral zu machen, wie es der europäische Green Deal vorsieht?

Bettzüge: Die Verringerung der Emissionen könnte die Diskussion über ambitioniertere Klimaziele verstärken. Aber die Corona-Krise verändert auch die Rahmenbedingungen. Eine Verschärfung der Klimaziele in der EU wäre meines Erachtens mit einer doppelten Herausforderung verbunden. Der Abstand des Ambitionsniveaus zwischen der EU und dem Rest der Welt würde sich vergrößern, und die Finanzierbarkeit noch höherer Ziele ist zweifelhaft.

Denn die Finanzkraft der Mitgliedstaaten ist geschwächt, weil die direkten und indirekten Kosten der Pandemie aufgefangen werden müssen und Steuereinnahmen sinken. Und auch die finanzielle Belastbarkeit der Haushalte und Unternehmen ist gesunken. Ich gehe daher davon aus, dass die bisher nur latenten Zielkonflikte in der Klimapolitik stärker thematisiert werden, und dass möglicherweise eine Repriorisierung der Zieldimensionen auch in Europa in Aussicht steht.

Krisenbewältigung und struktureller Wandel

„et“: Der EU-Finanzsektor soll zum starken Akteur im Klimaschutz und beim nachhaltigen Wirtschaften werden. Konjunktur- und Investitionsprogramme sollen „grün“ werden. Passen Krisenbewältigung und struktureller Wandel zusammen?

Bettzüge: Die Corona-Krise ist temporär, also müssen die Instrumente ebenfalls temporär sein. Die drei T der Konjunkturpolitik lauten: Timely, Targeted, Temporary. Wir dürfen die Instrumente nicht vermischen: Strukturwandel ist langfristig, Konjunkturprogramme sind temporär. Die Auslöser der Krise liegen außerhalb der Wirtschaft: im Lockdown zur Eindämmung der Infektionen.

Der Kapitalstock und das Arbeitspotenzial sind beide nicht gravierend beeinträchtigt. Energie ist günstig und alles andere als knapp. Daher ist eine Rückkehr zur Normalität zu erwarten, sobald die Beschränkungen weltweit aufgehoben werden. Wichtig und dringlich ist jetzt weiterhin, eine Schuldenkrise als Folge der Pandemie zu vermeiden.

„et“: Herr Prof. Bettzüge, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Wieland Kramer, Journalist, Wuppertal, im Auftrag von „et“

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et-Redaktion
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