COVID-19 als Katalysator: Wie nachhaltig wirkt der „Corona-Effekt“?

Energiewende: Abb. 1 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H2 2019 und H1 2020

Abb. 1 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H2 2019 und H1 2020 (Bildquelle: McKinsey & Company)

Der Klimaschutz aber kann sich keine Pause leisten. Die jetzt angebrochene Dekade wird darüber entscheiden, ob das Pariser Klimaziel einer maximalen durchschnittlichen Erwärmung von 1,5°C eingehalten werden kann. Der Zielpfad für Deutschland sieht vor, die CO2 Emissionen bis 2030 um 55 % gegenüber dem Basisjahr 1990 zu reduzieren. Stand heute bedeutet dies, dass weitere 30 % CO2 eingespart werden müssten – von zuletzt 804,6 Mt in 2019 auf 562 Mt in zehn Jahren. Wie kann das gelingen und was tragen die Corona-bedingten Klimaeffekte dazu bei? Drei mögliche Modelle:

  • Modell 1: Auf dem Höhepunkt des Lockdown Anfang April ging der tägliche CO2-Ausstoß in Deutschland nach ersten Schätzungen um rund 26 % zurück. Würden die Emissionen auf diesem Niveau bleiben, wären die Klimaziele bis 2030 nahezu erreicht. Doch dass es dazu kommt, ist unrealistisch – und wäre mit einem hohen volkswirtschaftlichen Schaden verbunden: Immerhin wurde die drastische CO2-Absenkung im Frühjahr nur möglich durch eine ebenso drastische Einschränkung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, bei dem allein der Luftverkehr um 85 % und der Lkw-Verkehr um 12 % heruntergefahren wurden. Eine Verstetigung dieses Zustands wäre zwar gut für das Klima, aber verheerend für die deutsche Wirtschaft und ginge mit massiven Einbußen der Lebensqualität einher.
  • Modell 2: Realistischer ist, dass im Zuge von zunehmenden Lockerungen und wirtschaftlicher Erholung die CO2-Einsparungen auf das gesamte Jahr gerechnet deutlich niedriger ausfallen. Laut einer aktuellen Klimastudie unter Mitwirkung des Mercator Research Institute Berlin bewegen sich die EU-weiten Einsparungen in diesem Jahr je nach Entwicklungsszenario zwischen 5,1 % und 8,5 %. In Deutschland entspricht dies einer Reduktion zwischen 41 und 68 Mt. Ausgehend von diesem Niveau (und unter der Annahme, dass die Einsparungen von Dauer sind) müsste der CO2-Ausstoß dann nochmals um insgesamt 174 bis 202 Mt sinken (17 bis 20 Mt pro Jahr), um das Klimaziel 2030 zu erfüllen. Es bräuchte demzufolge noch (je nach Größe) zwei bis fünf mit Corona vergleichbare Schocks, um diese CO2-Einsparungen zu realisieren, wenn keine weiteren Maßnahmen zur Emissionssenkung ergriffen werden.
  • Modell 3: Sollte sich die Konjunktur schnell erholen, könnte sich der „Corona-Effekt“ sogar komplett verlieren. Der Blick nach China legt dies nahe: Schon sieben Wochen nach dem schrittweisen Hochfahren der Wirtschaft kehrte die Kohleverstromung auf ihr Vorkrisenniveau zurück. Und Chinas Luft hatte laut einer Analyse des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) bereits Anfang Mai wieder die gleiche Schadstoffbelastung an Feinstaub und Schwefeldioxid wie vor Ausbruch der Pandemie.

„Grüne“ Stimuli im Konjunkturpaket – die Lösung für Deutschlands Klimaprobleme?

Eine rasche Erholung der Konjunktur ist auch in Deutschland Grundvoraussetzung für die Überwindung der ökonomischen Folgen der Pandemie. Um diesen Prozess zu unterstützen, hat die Bundesregierung ein umfangreiches Konjunkturprogramm in Höhe von 130 Mrd. € aufgelegt. Damit der Klimaschutz beim Wirtschaftsaufschwung nicht auf der Strecke bleibt, enthält das Paket auch einige „grüne“ Stimuli sowie Maßnahmen zur Innovationsförderung, etwa in den Bereichen E-Mobilität und Wasserstofftechnologien. Damit soll das Konjunkturprogramm zugleich auch die Energiewende weiter vorantreiben.

Zahlreiche Studien belegen, dass staatliche Konjunkturhilfen so ausgestaltet werden können, dass sie nicht nur der Volkswirtschaft, sondern auch dem Klimaschutz zu Gute kommen. Beispiel Beschäftigungsförderung: Eine 2017 im Fachjournal Economic Modelling veröffentlichte Studie hat ergeben, dass die Investition von 1 Mio. € in konventionelle Energieträger etwa drei neue Arbeitsplätze schafft, während durch Investition derselben Summe in erneuerbare Technologien nahezu dreimal so viele Arbeitsplätze entstehen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien tendenziell arbeitsintensiver ist als konventionelle, da ein größerer Teil der Ausgaben auf Installation und Wartung entfällt, während die Kostenstruktur der konventionellen Erzeugung durch die häufig weniger arbeitsintensive (und oft im Ausland ausgeführte) Rohstoffförderung geprägt ist.

Die „grünen“ Stimuli im Konjunkturpaket der Bundesregierung dienen unmittelbar dem Umwelt- und Klimaschutz. Das Spektrum der konkreten Fördermaßnahmen reicht vom Solar- und Windkraftausbau über die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors bis zur Förderung klimafreundlicher Wasserstofftechnologien:

  • Windkraft- und Solarausbau: Zwei Maßnahmen waren bereits vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Planung und werden nun umgesetzt: Um den EE-Ausbau neu zu beleben, wird zum einen das 2030er-Ziel für Offshore-Windkraft von 15 auf 20 GW erweitert. Zum anderen entfällt der Förderdeckel für Solaranlagen, der die Förderung bislang auf eine Gesamtkapazität von 52 GW beschränkte. Diese Zielmarke wäre vermutlich schon in diesem Jahr erreicht worden und hätte damit den weiteren PV-Ausbau ausgebremst.
  • Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors: In den Bereichen E-Mobilität und Gebäudeförderung werden die bisherigen Impulse nochmals verstärkt. Die Kaufprämie für E-Autos wurde von 3.000 auf 6.000 € und das Gebäudesanierungsprogramm um eine weitere Milliarde auf 2,5 Mrd. € aufgestockt. Vor allem der E-Mobilität verleiht die Förderung zusätzlichen Schwung: Bereits in den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die Nachfrage trotz Corona-Krise deutlich gestiegen: Von Januar bis März wurden 44.712 E-Autos verkauft, 228 % mehr als im Vorjahreszeitraum. Auch für den Ausbau grüner Verkehrsinfrastruktur hält das Paket Fördermittel bereit: Der Bau weiterer Ladesäulen soll mit 2,5 Mrd. € und die Airline-Flottenmodernisierung mit 1 Mrd. € unterstützt werden.
  • Förderung von Wasserstofftechnologien: Das größte Förderpaket im Bereich Klimaschutz entfällt mit 7 Mrd. € auf die Entwicklung moderner Wasserstofftechnologien im Rahmen einer von der Bundesregierung vorangetriebenen nationalen Wasserstoffstrategie. Bis 2030 sollen industrielle Produktionsanlagen von bis zu 5 GW für sog. grünen Wasserstoff entstehen, einschließlich der dafür erforderlichen Off- und Onshore-Windanlagen. Bis spätestens 2040 soll die Kapazität um weitere 5 GW erhöht werden. Aufgrund des langfristigen Horizonts wird es allerdings noch Jahre brauchen, bis sich die Förderungen im Energiewende-Index niederschlagen. Gleichwohl sind Investitionen in diese Schlüsseltechnologie notwendig, um eine umfassende Sektorkopplung herbeizuführen. Doch angesichts der ehrgeizigen Wasserstoffpläne in anderen Ländern (etwa in Saudi-Arabien im Zusammenhang mit der neuen Megastadt Neom oder das Pilbara-Projekt in Australien) stellt sich die Frage, ob die deutschen Ziele ambitioniert genug ausfallen.
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