Angesichts der Unsicherheiten erscheint ein großflächiger Zubau an konventionellen Erzeugungskapazitäten fragwürdig

Abb. 2: Entwicklung der Strompreise in unterschiedlichen Szenarien für den Kraftwerksneubau [€/MWh]

Abb. 2: Entwicklung der Strompreise in unterschiedlichen Szenarien für den Kraftwerksneubau [€/MWh] (Bildquelle: Oliver Wyman)

Um diesen wirtschaftlich-rationalen Pfad zu beschreiten, wäre ein signifikanter Zubau an Gaskraftwerken (circa 18 GW bzw. 30 Kraftwerke à 600 MW bis zum Jahr 2030) bei gleichzeitiger Nutzung von Flexibilitätsoptionen, wie Demand-Side-Management, dezentralen Speichern sowie einer Kapazitätsreserve, notwendig. Selbst unter diesen Bedingungen ist bereits fraglich, ob die Versorgungssicherheit auf aktuellem Niveau gehalten werden kann.

An dieser Stelle ergibt sich eine der wesentlichen offenen Fragen in der Systembetrachtung. Unsere Modellierung unterstellt hier ein Handeln der Akteure im Sinne des Homo Oeconomicus. Das heißt, neue Kraftwerke werden auf Basis der Modellparameter gebaut, sobald diese oberhalb der „Hurdle Rate“ liegen. In der Praxis sehen sich mögliche Investoren und Betreiber allerdings mit einer Vielzahl von Unsicherheiten konfrontiert: lange Genehmigungsverfahren, zunehmende gesellschaftliche Ablehnung konventioneller Stromerzeugungsverfahren, häufige politische bzw. gesetzliche Veränderungen der Rahmenparameter, Taxonomie für Finanzanlagen.

Gleichzeitig zeigt sich, dass unter diesen Rahmenparametern die gesetzten Ziele zur CO2-Reduktion nicht zu erreichen sind. Damit stellt sich die Frage, ob Investitionsentscheidungen in gasbasierte Erzeugung im erforderlichen Maße zur Sicherstellung ausreichender Erzeugungskapazitäten getroffen werden bzw. realisierbar sind.

Daher wurde zusätzlich untersucht, welche Auswirkungen sich ergeben, wenn der Zubau an Kraftwerkskapazität auf Grund der beschriebenen Faktoren geringer ausfällt.

Auf Basis dieser Untersuchung wird klar, dass das tatsächliche Neubauvolumen einen erheblichen Einfluss auf die Strompreise hat. Selbst die Annahme, dass drei neue Gaskraftwerke à 600 MW pro Jahr gebaut würden, würde den Rückgang der Preise deutlich geringer ausfallen lassen. Wenn nur ein Kraftwerk pro Jahr gebaut würde, fände quasi kein Preisrückgang mehr statt und das Preisniveau würde sich bei rund 80 € pro MWh einpendeln. Zudem würde sich die Versorgungssicherheit gegenüber dem Basisfall weiter verschärfen (siehe Abb. 2).

 

Als Alternative zu Gas bieten sich Speicher und wasserstoffbasierte Erzeugung als CO2-freie Möglichkeiten an

Aktuell sind diese jedoch nicht ausreichend wirtschaftlich tragfähig

In einer solchen Umgebung und insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Volatilität in der Stromerzeugung und damit in den Preisen nimmt die Bedeutung von Speichern sowie die Erzeugung auf Basis von Wasserstoff und grünen Gasen deutlich zu. Sind „Nullpreise“ oder „Markträumung“ auf Grund der EE-Einspeisung heute noch recht selten, so nehmen diese Phänomene in der Zukunft stark zu. Speicher und wasserstoffbasierte Erzeugung sind in diesem Zusammenhang aus zwei Gründen bedeutsam:

  • Zum einen dienen sie der Systemstabilität und können überschüssigen Strom aufnehmen sowie Engpässe durch Ausspeicherung überbrücken.
  • Zum anderen führen die starken Preisunterschiede dazu, dass sich für Speicher zunehmend wieder ein wirtschaftliches Geschäftsmodell im Intraday-Handel, jenseits der Netzstabilisierung, ergibt.

Wasserstoffbasierte Erzeugung ist dabei als komplementäre Technologie zu Lithium-Ionen-Speichern zu verstehen, indem überschüssiger Strom mittels Elektrolyse in Wasserstoff gewandelt wird, der anschließend in Engpasszeiten wieder verstromt werden kann. Gleichzeitig ist zur Erreichung der Klimaziele ein stärkerer Speicherausbau sowie die Nutzung von wasserstoffbasierten Technologien als aktuell angedacht notwendig, da diese die einzige Möglichkeit sind, überschüssigen EE-Strom sinnvoll zu nutzen. Zusätzlich ist kritisch zu hinterfragen, ob ausreichende Mengen an grünem Wasserstoff sinnvoll in Deutschland hergestellt werden können oder ob hierfür nicht internationale Anstrengungen notwendig sind.

Langfristig bedarf es eines völlig neuen Marktmodells

Spätestens ab Ende der 2030er Jahre ist das bisherige Marktmodell kaum noch tragfähig

In Zukunft werden die Zeiten, zu denen konventionelle Erzeugung notwendig ist, um den Strombedarf zu decken, immer weiter abnehmen. Im aktuellen Marktmodell bedeutet dies, dass in diesen Zeiten der Strompreis gleich Null (oder negativ) ist. In Zeiten mit nicht ausreichender EE-Einspeisung wird der Markt im Gegenzug teilweise vollständig geräumt, sodass alle verfügbaren Anlagen laufen und sehr hohe Preise abgerufen werden.

In diesem Umfeld ist der wirtschaftliche Betrieb – insbesondere der Anlagen zur Abdeckung der Spitzenlast – nur sehr schwer realisierbar. Gleichzeitig wird die Beschaffung vor große Herausforderungen gestellt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob mittel- bis langfristig ein neues Strommarktdesign notwendig ist, dass die veränderten Rahmenbedingungen besser reflektiert. Dieses müsste – unabhängig von konkreter Ausgestaltung – folgende Rahmenbedingungen erfüllen:

  • Kapazitätsbereitstellung oder „sichere Verfügbarkeit“ hat einen expliziten Wert.
  • Technologieneutralität – damit sowohl Gaskraftwerke, Speicher, Wasserstoff und weitere Technologieoptionen miteinbeziehen.
  • Gesamtwirtschaftliche Optimierung und damit Berücksichtigung sowohl der EE, Speicher und wasserstoffbasierten Erzeugung als auch Gas für Strom- und Wärmemarkt sowie darüber hinaus insbesondere mit Blick auf den Verkehr mit dem Ziel der Erreichung der CO2-Einsparziele zu minimalen Kosten.

Chance für Energieversorger

Balance zwischen wirtschaftlich tragfähigen und gesellschaftlich präferierten Lösungen im Dialog finden

Dem Stromerzeugungsmarkt steht ein weiterer grundlegender Wandel bevor: Bestehende Kohlekraftwerke werden in absehbarer Zeit den Markt verlassen, Gas wird aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten dominant, ist jedoch gesellschaftlich und politisch gesehen möglicherweise mittel- und langfristig nicht zukunftsfähig. Alternative CO2-freie Technologien wie Speicher oder wasserstoffbasierte Erzeugung auf der anderen Seite sind heute noch nicht wirtschaftlich tragfähig.

Gleichzeitig werden sich wahrscheinlich auch die Marktmechanismen in der konventionellen Erzeugung ändern und sich mehr denen der Erneuerbaren Energien annähern – perspektivisch könnten beide Systeme sogar zusammenwachsen. Daher werden eine politische Diskussion des Themas und die intensive Auseinandersetzung damit zu einem der zentralen Elemente für die erfolgreiche Gestaltung. Dies bedeutet für Energieversorger, dass sie sich – abhängig von ihrer aktuellen Strategie und Marktsituation – bereits heute auf diese Veränderungen einstellen und vorbereiten sollten:

  • Klare Roadmaps für den Ausstieg aus der Kohle – dabei insbesondere in der Steinkohle den bestehenden Handlungsspielraum optimal ausnutzen – sowie den damit verbundenen Transformationsaufwand aufstellen;
  • Enge Abstimmung mit Regierung und Regulierungsbehörden suchen, mit dem Ziel, einen gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich tragfähigen Konsens zu finden, wie die zukünftige Strom- und Wärme-Erzeugungslandschaft aussehen soll;
  • Damit die Gefahr von „Stranded Assets“ möglichst geringhalten und Möglichkeiten schaffen, schon frühzeitig in nachhaltige Technologien zu investieren.

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J. Stäglich, Partner und global Head of Utilities, Dr. T. Fritz, Partner, D. Manteuffel, Principal, A.-A. Willendorf, Practice Research Expert, Oliver Wyman, München, Joerg.staeglich@oliverwyman.com

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