Dr. Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter des Brandenburgischen Ministerpräsidenten, Cottbus

Dr. Klaus Freytag, Lausitzbeauftragter des Brandenburgischen Ministerpräsidenten, Cottbus (Bildquelle: Brandenburg.de)

„et“: Sie werden als „Experte und Freund der Lausitz“ bezeichnet. Ist diese Titulierung mehr Bürde oder mehr Chance für Sie?

Freytag: Ich sehe das als eine ehrenvolle Bezeichnung an, die mich motiviert!

„et“: Beschreiben Sie bitte die wichtigsten Aufgaben eines „Beauftragten des Ministerpräsidenten für die Lausitz“ und Ihre persönlichen Erwartungen!

Freytag: Als Ministerpräsident Dr. Woidke im Sommer 2018 die Position schuf, lag die Aufgabe der Strukturentwicklung bei den Wirtschaftsministerien der Länder Brandenburg und Sachsen. Zum Start des Prozesses war das richtig, Strukturentwicklung greift jedoch in alle Politikfelder von Wissenschaft und Bildung bis zu Wirtschaft und Arbeit. Die Koordinierung des Prozesses in der Landesregierung ist unsere Aufgabe. Nach außen, Richtung EU und Bund, sind wir die Geschäftsstelle, die die Entwicklungen steuert, kontrolliert und wenn nötig nachsteuert.

Meine Erwartung ist, dass wir es schaffen, die Menschen hier in der Lausitz davon zu überzeugen, dass in der Strukturentwicklung eine große Chance liegt und wir am Ende gemeinsam eine positive Bilanz ziehen können. Es gibt dazu mancherorts noch Vorbehalte. Aber mit jedem konkreten Projekt – und da gibt es eine ganze Menge – erhöhen wir die Zustimmung. Entscheidend ist, dass die Menschen in der Region ideenreich mitmachen.

„et“: Die Lausitz hat neben dem brandenburgischen noch einen sächsischen Teil. Wie kann daraus Strukturpolitik aus einem Guss entstehen?

Freytag: Der Erfolg solch einer Gemeinschaftsaufgabe hängt vielfach an den handelnden Personen. Die „Lausitz“ stellt mit den beiden Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und Michael Kretschmer die „Chefs“ der Strukturentwicklung, die frühzeitig dafür gesorgt haben, dass sich alle in Verwaltungen, Universitäten, Kammern und vielen anderen Einrichtungen der Lausitz verpflichtet fühlen. Es gibt gemeinsame Kabinettssitzungen, im kontinuierlichen Rhythmus tagt der Revierausschuss auf Minister- und Staatssekretärsebene und monatlich haben die Beauftragten der Länder ihren jour fixe. Das im Strukturstärkungsgesetz verankerte Leitbild der Lausitz gilt für Sachsen und für Brandenburg, unsere Förderrichtlinien sind engstens abgestimmt, Gleiches gilt für die Umsetzungsstrukturen – da passt kein Blatt Papier zwischen uns!

„et“: Mit einem Anteil von 30 % an der regionalen Wertschöpfung ist die Industrie, insbesondere die Energiewirtschaft, mit ihren spezialisierten Wertschöpfungsketten der maßgebliche Wirtschaftsfaktor in der Lausitz. Das ist ein sehr hoher Wert. Wie stark wird er abschmelzen? Was tritt an seine Stelle?

Freytag: Unser Anspruch ist es, den hohen Anteil der industriellen Wertschöpfung zu halten. Die Lausitz soll das industrielle Herz Brandenburgs bleiben. Die Signale, dass wir das schaffen, sind gut. BASF wird am Standort Schwarzheide im Bereich Batteriekomponenten wachsen, viele mittelständische Unternehmen wie der Büromöbelhersteller Reiss und das Unternehmen Schaltanlagenbau UESA wachsen kontinuierlich in ihren Märkten. Ein weiterer großer Wurf ist mit der Ansiedlung der DB Instandhaltung für den neuen ICE 4 im Bahnwerk in Cottbus gelungen. Dort werden weit über 1.000 neue Industriearbeitsplätze entstehen. Natürlich wächst auch der Dienstleistungsbereich, Außenstellen von Bundesministerien und Behörden haben bereits jetzt über 200 neue Jobs in der Lausitz geschaffen. Damit lösen wir uns von jahrzehntealten Monostrukturen hin zu einer breit im Bereich Industrie, Dienstleistung und Handwerk aufgestellten Region.

„et“: Um aus der Lausitz eine europäische Modellregion für den Strukturwandel zu machen, ist eine raumwirksame Vernetzung geplant. Die Mittel dazu werden aus dem Bundesanteil der gesetzlich abgesicherten Strukturhilfen kommen. Wie lassen sich langwierige Planungs-, Genehmigungs- und Realisierungsphasen vermeiden?

Freytag: Mit der gesetzlichen Verankerung der Infrastrukturprojekte im Kontext der Strukturentwicklung ist ein wichtiger verfahrensbeschleunigender Grundstein gelegt. Wir diskutieren nicht mehr ein Ob, sondern maximal das Wie. Gleichzeitig wurden mit den Projekten auf Bundesebene die zuständigen Behörden mit zusätzlichem Personal aufgestockt. Wenn jetzt noch die Menschen, die so lange auf neue Gleise und bessere Straßen gewartet haben, die Projekte positiv begleiten, kann das schnell gehen – wobei wir auch dann immer noch in Jahren rechnen müssen.

„et“: Was passiert mit dem ländlichen Raum in der Lausitz im Kontext der Tagebaufolgen-Entwicklung?

Freytag: Die aktiven wie auch die bereits stillgelegten Tagebaue hatten über die Braunkohlenplanung immer den ländlichen Raum und damit die Bereiche der Landwirtschaft und Forstwirtschaft im Blick. Wie in allen Revieren sind die Rekultivierungsleistungen der Braunkohlenindustrie eine Erfolgsgeschichte. Dazu gehört die bei uns entstehende Seenlandschaft. An manchen Ufern wachsen sogar schon Weintrauben.

„et“: Der Tagebau Jänschwalde wird voraussichtlich schon 2023 seinen Betrieb beenden. Das dazugehörige Kraftwerk geht schrittweise bis Ende 2028 vom Netz. Hat der nördliche Teil des Lausitzer Reviers damit eine besondere Priorität in Ihrer Arbeit?

Freytag: Wir haben den Norden unseres Reviers im Blick. Der Industriestandort Jänschwalde ist von Anbeginn einer der Schwerpunkte unserer Arbeit. Mit dem Format der Standortkonferenz haben wir die lokale Verwaltung, dortige Unternehmen und benachbarte Standorte, den Kraftwerksbetreiber und die Wirtschaftsförderung an einen Tisch geholt. In den Verhandlungen zum Kohleausstieg zwischen Bund und Ländern im Januar dieses Jahres hat Ministerpräsident Woidke ein Gas-Kraftwerk für den Standort ausgehandelt.

„et“: Im „Lausitzprogramm 2038“ ist von „Innovationsmotoren“ die Rede, die nicht nur für Beschäftigung und Wertschöpfung, sondern auch für eine neue Identität sorgen sollen. Gibt es schon Projekte, die die Anforderungen eines Innovationsmotors erfüllen?

Freytag: Unsere Innovationsmotoren heißen DB-Instandhaltungswerk, Universitäre Medizinerausbildung an der Cottbuser Universität, Batteriekomponentenproduktion bei der BASF und der vor unseren Toren liegende neue Hauptstadtflughafen BER, um die wesentlichen zu nennen. Wir können aber keinem Investor vorschreiben, wo er seine Zelte aufschlägt. Das ist – im Rahmen der Genehmigungsmöglichkeiten – eine Investorenentscheidung. Die Ansiedlung von Tesla in der Peripherie von Berlin wird auch in unsere Region wirken, Zulieferer, Forschungsstandorte und die gesicherte Stromversorgung werden aus der Lausitz kommen. Entscheidend ist, dass dieses Werk in Brandenburg entsteht!

„et“: Die Lausitz erhält bereits Fördergelder aus verschiedenen europäischen Struktur- und Investitionsfonds. Werden die europäischen Zuwendungen fortgeführt und welchen Stellenwert haben sie im Kontext der nationalen Maßnahmen zum Strukturwandel?

Freytag: Die Gelder aus dem Strukturstärkungsgesetz sind zusätzliche Finanzhilfen des Bundes für den per Gesetz beschlossenen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Ein gegenseitiges Aufrechnen der Fördermittel würde auf den harten Widerstand der Kohleregionen stoßen. Mit den weiteren EU-Mitteln, die davon unabhängig sind, haben wir die Chance, attraktive Förderarchitekturen zu entwickeln, die ein unternehmerisches Engagement zusätzlich anreizen.

„et“: Die Zukunftsvision für die Lausitz kreist bis dato um die Begriffe wettbewerbsfähig, nachhaltig und klimafreundlich. Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt bereits ein konkreteres Bild entwerfen und zukunftsfähige Alleinstellungsmerkmale benennen?

Freytag: Zum Anfang eines über Jahrzehnte angelegten Prozesses stehen immer Bilder und Worte. Damit zeigt die Region den Weg auf. Schritt für Schritt wird es konkreter. So mit dem im September verabredeten Neubau des Bahnwerkes, der medizinischen Hochschulausbildung, der Entwicklung von CO2-freien Wohnquartieren in den Orten an den Bergbauseen, der Umrüstung des ÖPNV auf Wasserstoff, bis hin zu den Projekten der regenerativen Stromerzeugung und der Kreislaufwirtschaft der Lausitzer Energie AG. Der Rahmen ist gesetzt und die Lausitz baut tatkräftig an ihrer Zukunft.

„et“: Herr Dr. Freytag, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Wieland Kramer, Journalist, Wuppertal, im Auftrag der „et“

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