Abbildung zum Thema: Erneuerbare Energien - Methodenstreit sorgt für Verwirrung

Abb.: Anteil des Stroms aus regenerativen Energiequellen (Quelle: BDEW, AGEB Stand 06/2019)

Die Steigerungsraten sind ein wichtiger Hinweis darauf, ob das anvisierte Ziel, bis 2030 mindestens 65% des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen zu decken, erreicht wird. Aktuelle Abschätzungen zum Jahreswechsel, die auf unterschiedlichen Bezugsgrößen beruhen, sorgen für Verwirrung statt Klarheit.

Die aktuelle Position der Erneuerbaren im deutschen Strommix – und die komplementäre Veränderung bei den anderen Energieträgern – ist von hoher energiepolitischer Relevanz. Entsprechend hoch ist die Erwartungshaltung von Politik und Gesellschaft und der Bedarf an einer aktuellen Abschätzung. Die erste Zahl, die zum Jahreswechsel veröffentlicht wird, beruht auf Schätzungen, denn amtliche Daten liegen erst später vor. Doch gibt es inzwischen mehrere Schätzungen, und zwischen den Schätzern wird vermutlich erneut Uneinigkeit bestehen, welche Zahl für 2019 richtig und verlässlich ist.

Differenzen gab es schon bei den Schätzungen für 2018. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart publizierten Mitte Dezember 2018 einen Anteilswert für die Erneuerbaren von 38%. Das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg kam dagegen wenige Wochen später zu einer weit höheren Zahl, nämlich 40,4%.

Der beträchtliche Unterschied führte zu einiger Verwirrung in Medien und Politik. Nicht zu Unrecht, darf die Frage gestellt werden, wie es zu diesen Differenzen kommt und welche Zahl die richtige ist. Eine überregionale Tageszeitung titelte „Deutscher Ökostromanteil systematisch überschätzt“. In den sozialen Netzwerken war von „Fake News aus Freiburg“ zu lesen.

In der Statistik und ganz besonders in der Energiestatistik kommt es auf die Bezugsgrößen und die Annahmen an. Es gilt also, zunächst zu prüfen, welchen Anteil die beiden Schätzungen überhaupt berechnet haben.

BDEW/ZSW beziehen den Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf den Bruttostromverbrauch in Deutschland und orientieren sich damit an den Definitionen und Zielvorgaben der Europäischen Union, des Energiekonzepts der Bundesregierung [1] und des EEG 2017. Auch der Koalitionsvertrag 2018 und die Netzentwicklungspläne der Übertragungsnetzbetreiber verwenden diese Anteils-Definition. Die BDEW/ZSW-Quote ist also konsistent zu den politischen Zielvorgaben und gibt damit ein klares Bild über den Kurs der Zielerreichung.

Fraunhofer ISE hingegen berechnet mit den 40,4% eine ganz andere Quote. Es wird ein Ansatz verfolgt, der auf die Nettostromerzeugung und den in das „öffentliche“ Netz eingespeisten Strom abstellt statt auf den Bruttostromverbrauch. ISE will damit den Strommix ausweisen, der bei den Verbrauchern aus der Steckdose kommt. Da bei dieser Berechnung weder der Eigenverbrauch von Kraftwerken der allgemeinen Versorgung noch der eigenerzeugte und selbstverbrauchte Strom von Industriekraftwerken erfasst werden, verringert sich die Strommenge, auf die die Erzeugung aus erneuerbaren Energien bezogen wird, um rund 10% und es ergibt sich dadurch ein höherer Wert.

Methodisch ist der Ansatz von Fraunhofer ISE genauso vertretbar wie der von BDEW/ZSW. Allerdings fällt bei ISE ein guter Teil der Erzeugung (für den Kraftwerks-Eigenverbrauch) und des Verbrauchs (die Eigenversorgung der Industrie) unter den Tisch. Der gravierende Nachteil dieser Berechnung ist demnach, dass ein Bezug zu den Emissionen, speziell zum CO2-Ausstoß, unmöglich wird. Die Bezugsgröße Brutto-Inlandsstromverbrauch hingegen bildet das komplette Stromsystem ab.

Kritik lässt sich auch an dieser Rechenweise üben. So wird der Brutto-Stromverbrauch um den Stromaustauschsaldo bereinigt und unterstellt, dass die grüne Eigenschaft des Stroms vollständig im Inland verbleibt. Dieses Problem lässt sich ohne ein durchgängiges Herkunftsnachweissystem für Grünstrom nicht lösen. Die Annahme ist aber konsistent zur Bilanzierung der CO2-Emissionen aus fossiler Stromerzeugung, da hier die Umweltauswirkungen der Stromerzeugung ebenfalls im Inland verbleiben und nicht mit dem Strom über die Landesgrenzen exportiert werden.

Warum Fraunhofer ISE die Berechnungsmethode „Netto-Stromerzeugung“ verwendet, wird nicht ganz deutlich. Niemand zweifelt ernsthaft an der Rolle, die den Erneuerbaren bereits heute für eine klimaschonende Energieversorgung zukommt und die sie erst recht bis 2050 einnehmen müssen, so dass ein bemühtes Hochrechnen des Erneuerbaren-Anteils wohl keinen Sinn (mehr) ergibt. Jedenfalls sind Zweifel an der Relevanz des ISE-Werts für die politische Debatte um Energieeinsparung und Klimaschutz angebracht, da sich die Ziele der Bundesregierung, wie oben dargestellt, auf den Brutto-Stromverbrauch beziehen.

Ziel der ISE-Arbeiten ist es laut eigener Aussage, Transparenz und Versachlichung der Diskussion um die Energiewende zu fördern. Betrachtet man die Reaktionen aus Politik und Medien in diesem Fall, so erreicht ISE eher das Gegenteil, nämlich Verwirrung und Unverständnis. Der Sache tut man sicher keinen Gefallen, wenn damit Zweifel an der Zielmessung und letztlich auch an der Energiewende selbst gesät werden.

Quellen

[1] Energiekonzept der Bundesregierung vom 28. September 2010. S. 4f: Bis 2020 soll der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch 35% betragen. Danach strebt die Bundesregierung folgende Entwicklung des Anteils der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch an: 50% bis 2030, 65% bis 2040, 80% bis 2050 (Online verfügbar)

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