Heiko Harbers, Vorstandsvorsitzender devolo AG, Aachen über das Thema Vernetzung

Heiko Harbers, Vorstandsvorsitzender devolo AG, Aachen über das Thema Vernetzung (Bildquelle: devolo AG)

„et“: Was verstehen Sie unter Digitalisierung in der Praxis: Wie macht sie sich z.B. im Privathaushalt bemerkbar?

Harbers: Es ist inzwischen nicht nur selbstverständlich, die Lieblingsserie zu streamen, sondern auch, dass die Küchenmaschine sich die neuesten Rezepte aus dem Netz holt, die Waschmaschine upgedatet werden kann oder auch, dass die Daten vom Wechselrichter auf dem Smartphone abzulesen sind. Das zeigt: Digitalisierung heißt Vernetzung und sie schreitet auch im Privathaushalt rasant voran. Cisco rechnet z. B. damit, dass die Anzahl vernetzter Geräte weltweit bis 2023 bei über 29 Mrd. liegt, nach gut 18 Mrd. im Jahr 2018. Ein wesentlicher Treiber sei dabei M2M-Kommunikation, worunter auch Smart Meter fielen. Digitalisierung heißt aber auch, der Bandbreitenbedarf wächst, wesentlich verursacht durch Video-Daten. Die Anzahl an 4K-fähigen TV-Geräten steigt pro Jahr im Schnitt um 27 %. Dabei benötigt allein ein UHD-Stream eine mehr als doppelt so hohe Bitrate wie ein HD-Stream.

Schon die wenigen Zahlen machen deutlich: Die Frage, wie flächendeckender, nahtloser Empfang vom Keller bis zum Dachboden mit höchst möglicher Geschwindigkeit erreicht werden kann, ist für die Digitalisierung in privaten Haushalten ganz entscheidend.

„et“: Was geschieht im industriellen Bereich?

Harbers: Auch im industriellen wie gewerblichen Umfeld steigen die Bedarfe rasant. Die standortübergreifende Vernetzung von Anlagen und Maschinen zieht sich durch alle Wirtschaftsbereiche, Stichwort: M2M-Kommunikation. Dabei ist die Sicherung des Firmennetzwerks gegenüber Hackern von enormer Bedeutung. Wir erforschen und entwickeln für diese Anforderungen Hardware-basierte Sicherheitstechnologien in enger Kooperation mit Forschungseinrichtungen und weiteren Industriepartnern. In der Praxis zeigt sich zudem, dass Digitalisierungslösungen in die bestehenden Produktionsanlagen und Arbeitsabläufe integriert werden müssen. Idealerweise ohne bauliche Änderungen vornehmen zu müssen oder gar neue Maschinen anzuschaffen. Retrofit-Kommunikationslösungen stehen somit hoch im Kurs.

„et“: Und in der Energieversorgung?

Harbers: Im Bereich der Infrastruktur der Netzbetreiber und Energieversorger kommen momentan mehrere Digitalisierungsanforderungen zusammen. Zum einen werden Ersatztechnologien für die veraltete Rundsteuertechnik, die Analogtelefonie und den CSD-Funk benötigt, zum anderen hat nun endlich der Rollout von intelligenten Messsystemen begonnen. Mit dem Rollout startet ein völlig neues Digitalisierungskapitel in der Energiebranche.

„et“: An SMGW-Mehrwertdienste werden große Hoffnungen geknüpft. Was können die Kunden hier erwarten?

Harbers: devolo liefert mit dem SMGW die Hard- und Software-Plattform, auf dem dann innovative Mehrwertdienste aufgesetzt werden können. Hier ist es wichtig, dass neue Dienstleistungen auch für bereits verbaute SMGWs verfügbar sind. Privatkunden sowie Industrie und Gewerbe dürfen erwarten, dass viele verschiedene Unternehmen innovative Dienstleistungen über die sichere Kommunikationsinfrastruktur anbieten: Seien es energienahe Dienstleistungen wie Submetering-Lösungen oder intelligente Energiemanagement-Systeme für Privat- oder Großkunden, oder innovative Dienstleistungen, die aus den im Gebäude erfassten Messwerte ergänzende Dienstleistungsangebote generieren. Beispielhaft sei hier auf Ambient Assisted Living (AAL)-Konzepte hingewiesen.

„et“: Der Ausbau von Glasfaserlösungen verläuft in Deutschland schleppend. Wie aber sieht es bei der Vernetzung im Gebäude aus: Gibt es dort greifbare, schnell umsetzbare und bezahlbare Alternativen?

Harbers: Ja, devolo entwickelt derzeit ein neues Produkt, mit dem das schnelle Internet-Signal von der Glasfaser-Anschlussstelle im Keller zum Router im Wohnbereich gelangt. Hierfür lassen sich die Bestandsverkabelungen wie Koax- oder Telefonleitungen nutzen. Alternativ, wenn der Router in der Nähe des Glasfaser-Anschlusses platziert werden kann, eignet sich ein Powerline-DINrail-Modem, der das Internet-Signal direkt im Verteilerkasten auf alle drei Phasen ins häusliche Stromnetz einspeist. So kann an jeder beliebigen Steckdose im Wohnraum ein schnelles WLAN-Netz oder ein LAN-Anschluss mit unserem Standard devolo-Produkten installiert werden.

Der Vorteil beider Lösungen ist, dass keine baulichen Maßnahmen im Gebäude erforderlich sind. Sobald ein Glasfaseranschluss bis ins Gebäude verlegt ist (Fibre to the home, FTTH), kann das Highspeed-Internet schnell, unkompliziert und kostengünstig im Haus verteilt und genutzt werden.

„et“: Für das Gelingen der Energiewende spielt insbesondere die Integration erneuerbarer Energien eine wichtige Rolle ….

Harbers: … Es geht nicht mehr um die Integration Erneuerbarer in das bisherige Stromnetz, sondern um eine Energieversorgung, die zukünftig allein oder zumindest größtenteils auf regenerativen Energien beruht. Dafür ist ein intelligentes Stromnetz zwingend erforderlich. Energiegewinnung, -speicherung und -verbrauch müssen bestmöglich aufeinander abgestimmt werden. Im Gesamtsystem spielt dann auch die Sektorenkopplung eine große Rolle. Überschüssiger Wind- oder Sonnenstrom kann in Elektrofahrzeugen gespeichert oder in grünes Gas umgewandelt werden. Letztendlich bedarf es einer kommunikativen und vor allem sicheren Vernetzung der beteiligten Systeme, Anlagen und Teilnehmer. Der Rollout intelligenter Messsysteme in Deutschland ist dabei ein wichtiger Schritt in die Digitalisierung der Energiewende.

„et“: Woran arbeitet man diesbezüglich in Ihrem Hause?

Harbers: Bei devolo erforschen, entwickeln und vertreiben wir einerseits Vernetzungslösungen, die innerhalb von Gebäuden zur Anwendung kommen, beispielsweise um Messwerte von Spartenzählern einzusammeln oder um PV-Wechselrichter unkompliziert an das Internet anzubinden. Andererseits entwickeln wir ein leistungsstarkes Breitband-Powerline-Portfolio für Stromnetzbetreiber. An ein Powerline-Netz, als flächendeckende Kommunikationsinfrastruktur, können sowohl die intelligenten Messsysteme als auch Mess- und Schaltgeräte der Netzbetreiber angeschlossen werden. Zudem müssen Ladesäulen für Elektrofahrzeuge kommunikativ in das Gesamtsystem eingebunden und können in ein Powerline-Netzwerk integriert werden. Übrigens: Für die Kommunikation zwischen Ladesäule und E-Auto wird ebenfalls die Stromleitung bzw. das Ladekabel genutzt. In den Ladesäulen kommt unser GreenPHY-Modul zum Einsatz.

„et“: Blockchain gilt als wichtige Schlüsseltechnologie der Digitalisierung. Wie schätzen Sie das Potenzial ein?

Harbers: Die Blockchain-Technologie wird ein wichtiger Baustein einer dezentralen Energielandschaft sein. devolo ist Partner im europäischen Progressus-Projekt, welches im April 2020 gestartet ist. Dort wird erforscht, wie Klimaschutz durch autarke und Blockchain-gestützte Mikronetze unterstützt werden kann. Im deutschen Konsortium arbeiten Partner aus Industrie und Forschung gemeinsam an Ladesäulen mit integrierten Speicherbatterien, die zu einem Mikronetz zusammengeschlossen und mit dem Stromnetz verbunden sind. Die Energiespeicherung sowie die Kommunikation der Säulen untereinander, welche über verteilte Datenbanken (Blockchain) abgesichert sind, erhöhen die Stabilität im Stromnetz und machen es einfacher, Lastspitzen zu reduzieren.

In dieser lokalen, hoch sicheren Vernetzung sehen wir den Schlüssel für ein effizienteres Energiemanagement, einer optimalen Ausnutzung des Stromnetzes, der optimalen Integration von regenerativen Energien, sowie schlussendlich der Senkung des Gesamtenergiebedarfs. Zentraler Bestandteil des deutschen Forschungsschwerpunktes ist die Hardware- und Systemsicherheit des Mikronetzes. Die deutschen Erfahrungen bei der Sicherheitsarchitektur im dezentralen Energienetz, Stichwort Smart-Meter-Gateway, fließen so in das europäische Projekt mit ein.

„et“: Klingt vielversprechend. Wie stehen die Chancen im Energiehandel?

Harbers: In einem zweiten Projekt, welches in diesen Tagen startet, wird der Mikro-Energiehandel auf lokaler Ebene untersucht. Ziel des tbiEnergy-Projektes ist es, in einem Demonstrator zu zeigen, wie auch Kleinsterzeuger Energie einfach und lokal handeln können. Über den Mehrwertdienstansatz des SMGW können Nutzer bspw. unter Verwendung der Blockchain-Technologie mit sog. Smart Contracts virtuelle Güter und Dienstleistungen lokal vermarkten. Ein einfaches Szenario ist der Verkauf von Energie aus Solarzellen in die direkte Nachbarschaft. Es sind aber auch deutlich komplexere Szenarien mit Energiespeicher, Flexibilitäten wie Wärmepumpen, Heißwasserspeichern und weiteren Marktgegenständen vorstellbar.

Dafür müssen neue Blockchain-Lösungen entwickelt werden, denn bestehende sind nicht für die Besonderheiten des deutschen Energiemarktes konzipiert. Ein Hauptaugenmerk setzt das Projekt dabei auf ein stringentes Hardwaresicherheitskonzept im Zusammenspiel mit dem Smart Meter Gateway. Durch die Verwendung der kryptographischen Blockchain-Technologie in direkter Kombination mit hardware-gesicherten IoT-Geräten bzw. Smart Meter Gateways wird eine Einflussnahme durch Dritte unterbunden.

„et“: Herr Harbers, vielen Dank für das Interview.

et-Redaktion

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