Energiekrise: Abb. Risiken bei der Versorgung mit Rohstoffen in verschiedenen Sektoren von Industrie und Energiewirtschaft der EU

Abb. Risiken bei der Versorgung mit Rohstoffen in verschiedenen Sektoren von Industrie und Energiewirtschaft der EU (Bildquelle: EU-Kommission 2020)

Auch nicht-energetische Rohstoffe werden zum Großteil importiert, stehen in einem sich global verschärfenden Wettbewerb oder sind Bestandteil von Lieferketten, die durch außergewöhnliche Ereignisse, wie die aktuelle Covid-19-Krise, bedroht werden.

Die derzeitige Markt- und Versorgungslage bei fossilen Brennstoffen ist weltweit entspannt. Der Verbrauch von Koks und Kohle in Westeuropa und Nordamerika ist durch die fortschreitende Substitution von Kohle in der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien und Gas sowie strukturelle Veränderungen in der Eisen- und Stahlindustrie geprägt. Die Nutzung unkonventioneller Öl- und Gasressourcen in den USA erhöht das Angebot und hat vor allem die Rolle und Bedeutung des internationalen Seehandels mit verflüssigtem Erdgas erheblich vergrößert. Ein anhaltend niedriges Preisniveau steigert zugleich den Druck auf traditionelle Öl- und Gasproduzenten, ihre Produktion mindestens stabil zu halten oder sogar auszuweiten.

Über das gesamte zurückliegende Jahrzehnt hat diese Entwicklung dafür gesorgt, dass vornehmlich die Industrieländer durch die Verfügbarkeit preiswerter fossiler Energierohstoffe erhebliche Wachstumspotenziale erzielten und einen Teil der zusätzlichen Wertschöpfung in die Transformation ihrer Energiesysteme investieren konnten.

Neue Phase

Mit dem Konzept des Green Deal tritt diese Entwicklung in eine neue Phase. Das 2019 vorgestellte und 2020 konkretisierte Ziel, die EU bis 2050 zu einem klimaneutralen Wirtschaftsraum umzugestalten, erfordert den vollständigen Verzicht auf fossile Brennstoffe, die Ausweitung des Einsatzes von Strom aus erneuerbaren Quellen auf die Sektoren Verkehr und Gebäude sowie die Verwendung kohlenstofffreier Brennstoffe in der Industrie.

Mit dem gesetzlich fixierten Ausstieg aus der Kohlenutzung bis 2038 und einem Anteil der erneuerbaren Stromerzeugung von 65 % bis 2030 am gesamten Stromverbrauch hat sich Deutschland in eine Vorreiterrolle begeben. Damit ist Deutschland aber auch von der jetzt durch die EU-Kommission beschriebenen möglichen Versorgungskrise bei den kritischen Rohstoffen besonders betroffen.

Zu den kritischen Rohstoffen zählen alle wirtschaftlich wichtigen Rohstoffe mit hohem Versorgungsrisiko. Das kann auch unedle Metalle, Industriemineralien und sogar biotische Materialien betreffen.

Erstmals 2011 hat die EU-Kommission eine Liste kritischer Rohstoffe veröffentlicht, die alle drei Jahre aktualisiert wird. Derzeit werden in der Liste 26 Materialien geführt, ihre Zahl hat sich seit 2011 in etwa verdoppelt. Wichtigste Prüfkriterien sind die wirtschaftliche Bedeutung und das Versorgungsrisiko. Neu aufgenommen wurden in diesem Jahr Bauxit, Lithium, Titan sowie Strontium. Ein Aspirant für die künftige Aufnahme dürfte Nickel sein.

Nur bei wenigen kritischen Rohstoffen (Germanium, Siliciummetall, Indium, Strontium) kann die EU auf nennenswerte eigene Vorkommen setzen, bei seltenen Erden besteht eine hohe Abhängigkeit von China, bei den Metallen der Platingruppe von Südafrika und bei Niob sowie Lithium von Brasilien und Chile. Um bis 2050 eine digitale und klimaneutrale Wirtschaft zu erreichen, reicht eine reine Wissensbasis zu den kritischen Rohstoffen nicht mehr aus. Immer wichtiger werden eine Vorausschau der Versorgungslage sowie eine strategische Planung.

Voraussichtliche Bedarfsentwicklung

Grundlage für die künftige Versorgungssicherheit bei kritischen Rohstoffen ist die voraussichtliche Bedarfsentwicklung, die sich durch den Green Deal entscheidend gegenüber den Planungen der Vergangenheit verändert. In ihrem zur Mitteilung beigefügten vorausschauenden Bericht [1] beschreibt die EU-Kommission die bevorstehende Nachfrageentwicklung und kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem beim Ausbau der Windenergie große bis sehr große Risiken bei der Deckung des Materialbedarfs bestehen (siehe Abb.).

Besonders kritisch ist die Versorgung mit Seltenen Erden für die Produktion von Permanentmagneten für Windenergieanlagen und Elektrofahrzeuge. Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen (vor allem Dysprosium, Neodym, Praesodym, Samarium) könnte sich nach den Berechnungen der EU-Kommission bis 2050 gegenüber 2020 verzehnfachen. Bereits heute kann die EU nur etwa ein Prozent des Materialbedarfs für die Herstellung von Windenergieanlagen aus heimischen Ressourcen decken.

Für stationäre und mobile Energiespeicherung benötigt die EU im Rahmen ihrer Green-Deal-Ziele bis 2030 etwa 18-mal soviel Lithium und 5-mal mehr Kobalt als gegenwärtig. Bis 2050 steht beim Lithium eine 60-fache Erhöhung des Bedarfs und beim Kobalt eine 15-mal höhere Menge in der Vorausschau. Diese Entwicklung trifft nach Ansicht der EU-Kommission auf eine weltweit steigende Nachfrage nach den Materialien.

Bereits 2017 beschrieb die Weltbank eine enge Korrelation zwischen Rohstoffbedarf und Klimazielen [2]. Allein für die Produktion von Akkumulatorenbatterien werde der Bedarf an Aluminium, Kobalt, Eisen, Blei, Lithium, Mangan und Nickel bei Anlegung des 2-Grad-Ziels um mehr als 1.000 % steigen. Die OECD erwartet bei den Metallen einen Anstieg des Bedarfs im Zeitraum 2011 bis 2060 von 8 auf 20 Mrd. t und damit um 150 %, wobei Effekte der Ressourceneffizienz bereits eingerechnet sind [3]. In ihrer Bewertung schreibt die OECD, dass die Zunahme des Materialverbrauchs und die damit verbundenen sozialen, politischen und ökologischen Auswirkungen bei der weiteren Umstellung der Energiesysteme auf kohlenstoffarme Technologien zwingend berücksichtigt werden müssen. Es bestehe ein großes Risiko, dass die Senkung des Treibhausgasausstoßes und die Erreichung regionaler Klimaziele mit der Zerstörung von Lebensräumen und einer tiefgreifenden Ressourcenerschöpfung in vielen Teilen der Welt verbunden ist. Die Covid-19-Krise hat bereits gezeigt, dass die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten auch bei den Rohstoffen dringend verbessert werden muss.

Aktionsprogramm

Anders als der europäische Wirtschaftsraum arbeiten China, die USA und Japan bereits intensiv daran, ihre zukünftige Rohstoffversorgung abzusichern, vor allem durch neue Rohstoffpartnerschaften. Das Arbeitsprogramm der EU umfasst deshalb vier Strategien, damit sich der Abstand zu anderen Industrieländern nicht weiter vergrößert.

Die in der EU vorhandenen Wertschöpfungsketten bei kritischen Rohstoffen sind dringend verbesserungsbedürftig. Für innerhalb der EU gewonnene Rohstoffe gibt es, wie z.B. bei Lithium, derzeit in Europa keine Verarbeitungsmöglichkeiten. Hinreichende metallurgische Kompetenzen und Technologien sind nach Ansicht der Kommission ein entscheidender Bestandteil geschlossener Wertschöpfungsketten bei der Rohstoffversorgung. Angemessene Lagerkapazitäten, neue und zusätzliche Bezugsquellen, engere Rohstoffpartnerschaften und Investitionen in einen ressourceneffizienten Verbrauch sollen die Wertschöpfungsketten nachhaltig stabilisieren.

Eine wichtige Rolle bei der Rohstoffversorgung sollen künftig Sekundärrohstoffe übernehmen. Der Übergang zu einer ausgeprägten Kreislaufwirtschaft ist auch zentraler Bestandteil des Green Deal. Während bei Metallen wie Aluminium, Eisen, Zink oder Platin die Sekundärrohstoffproduktion bis zu 50 % der Rohstoffnachfrage in der EU deckt, leistet die Kreislaufwirtschaft bei Seltenen Erden bisher nur geringfügige Beiträge zur Deckung des Bedarfs. Damit verbunden sind nach Ansicht der EU-Kommission enorme Wertverluste sowie vermeidbare Belastungen für Klima und Umwelt.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass auch die Gewinnung von Primärrohstoffen aus innereuropäischen Quellen bedeutsam bleibt und weiter gefördert werden muss. Es mangele trotz langer Bergbautradition in Europa an Investitionen, gebe zu lange innerstaatliche Genehmigungsverfahren und eine zu geringe öffentliche Akzeptanz. Dabei biete Europa insbesondere bei der Gewinnung der zukünftig verstärkt benötigten Batterierohstoffe (Lithium, Nickel, Kobalt, Grafit und Mangan) interessante Perspektiven.

Letztlich gehe es darum, ähnlich wie bei der bestehenden Abhängigkeit von Energieimporten auch bei der Rohstoffversorgung auf Diversifizierung der Bezugsquellen zu achten. Dabei seien Grundsätze der verantwortungsvollen Beschaffung und Sorgfaltspflicht (Due Diligence) zu beachten.

Die Bundesregierung hat den Aktionsplan der EU zu den kritischen Rohstoffen begrüßt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte, dass für den Umbau der Energieversorgung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft eine sichere und vor allem nachhaltige Rohstoffversorgung zwingend erforderlich ist. Es gelte jetzt, die Widerstandsfähigkeit der EU in den Wertschöpfungsketten für Seltene Erden und Magnete zu erhöhen. Diese sind für viele Industriesektoren, wie beispielsweise bei erneuerbaren Energien oder im Bereich Raumfahrt von hoher Bedeutung. In einem weiteren Schritt soll der Fokus auf andere kritische Rohstoffe sowie Basismetalle ausgeweitet werden.

Fazit

Es besteht die Gefahr, dass sich in der Europäischen Union die aktuelle Abhängigkeit von überwiegend importierten fossilen Energierohstoffen auf kritische Rohstoffe, die ebenfalls zum größten Teil aus dem Ausland stammen, verlagert. Vor allem für Windenergieanlagen, elektrische Antriebsaggregate und Batterien steigt der Rohstoff- und Ressourcenbedarf nicht nur in Europa dynamisch an. Ohne eine sichere Rohstoffversorgung geraten vor allem die Ausbauziele für die Energiegewinnung und -speicherung aus erneuerbaren Energiequellen in Gefahr.

Neben neuen internationalen Rohstoffpartnerschaften und der verstärkten Bereitstellung von Sekundärrohstoffen befürwortet die EU-Kommission auch die Stärkung des heimischen Rohstoffsektors. Außer der quantitativen Sicherung der Rohstoffversorgung muss angesichts eines globalen Nachfrageanstiegs bei den strategischen Rohstoffen auch die Preisentwicklung Bestandteil einer Rohstoffstrategie sein. Letztlich ist auch zu prüfen, ob ein angemessener Zugriff auf die fossilen Energieressourcen und ihre gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den Anwendungssektoren der Nutzenergie solange offenbleibt, bis das Ziel der Klimaneutralität erkennbar erreicht wird.

Einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der anstehenden Probleme bei der Rohstoffversorgung soll die Europäische Rohstoffallianz (ERMA) leisten, an der EU-Institutionen, Ministerien der Mitgliedsländer, Industrie, Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft sowie wichtige Akteure der Industrie beteiligt sind. ERMA soll Hindernisse, Chancen und Investitionsfelder identifizieren, um die Wertschöpfungskette der Rohstoffversorgung zu stärken. Das Spektrum reicht vom Bergbau bis zur Abfallverwertung. In einer ersten Phase konzentriert sich das Bündnis auf die Widerstandsfähigkeit der EU in den Wertschöpfungsketten für Seltene Erden und Permanentmagnete.

Quellen

*) COM(2020)474final – Mitteilung der Kommission. Widerstandfähigkeit der EU bei kritischen Rohstoffen. https://www.kowi.de/Portaldata/2/Resources/fp/COM-20020-Raw-Materials-Resilience.pdf

[1] Report on Raw Materials for strategic technologies and sectors. https://ec.europa.eu/docsroom/documents/42881

[2] The Growing Role of Minerals and Metals für a Low Carbon Future. https://documents.worldbank.org/en/publication/documents-reports/documentdetail/207371500386458722/the-growing-role-of-minerals-and-metals-for-a-low-carbon-future

[3] Global Material Resources Outlook to 2060. https://www.oecd.org/environment/waste/highlights-global-material-resources-outlook-to-2060.pdf

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et-Redaktion

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