Teilnehmer des Strategigesprächs zum Thema: Wasserstoff – Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft

Diskussion über den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland Mitte Dezember 2019 bei der OGE in Essen (v.l.n.r.): F. Lamprecht, „et“-Redaktion; M. Theben, MWIDE; J. Bergmann, OGE; S. Lechtenböhmer, Wuppertal Institut; M. Czakainski, „et“)

Motivation, Potenziale und Technologien

„et“: Was motiviert einen Fernleitungsnetzbetreiber wie die OGE, sich im Rahmen der Energiewende intensiv mit der Option Wasserstoff zu beschäftigen?

Bergmann: Wir verfügen über Deutschlands größtes Gastransportnetz und investieren gemäß Netzentwicklungsplan gegenwärtig 500 Mio. € im Jahr. Da wir Abschreibungszeiten von 55 Jahren haben, stellt sich für uns zwingend die Frage, was wir in unseren Leitungen 2030, 2040, 2050 und danach transportieren wollen. Auf der anderen Seite wollen wir zu einer ganzheitlichen und effizienten Energiewende maßgeblich beitragen. Aktuell gibt es einen Energiebedarf von rund 2.600 TWh in Deutschland. 80 % davon sind Moleküle (Gas und Flüssigkeiten) und nur 20 Prozent sind Elektronen. Daher müssen wir, wenn wir die Klimaziele ernst nehmen, an die 80 % ran. Die Potenziale der Gasinfrastruktur in Kombination mit Wasserstoff liegen für mich auf der Hand. Für uns geht es also darum, unsere Assets zukunftsfähig und energiewendedienlich weiterzuentwickeln.

„et“: Wie bedeutsam ist die Wasserstoffoption für die NRW-Landespolitik?

Theben: Wir verbinden mit Wasserstoff im Wesentlichen zwei Aspekte: Zum einen hilft Wasserstoff, unsere Klimaschutzziele kosteneffizient zu erreichen, zum anderen liefert er die Antwort darauf, wie in einer defossilisierten Welt der industrielle Energie- und Rohstoffbedarf Deutschlands sicher und bezahlbar gedeckt werden kann. Neben in Deutschland erzeugten Wasserstoff brauchen wir dringend auch Importe. Zum einen verfügen wir nicht über ausreichend erneuerbar erzeugten Strom, zum anderen versprechen wir uns Kostenvorteile durch mehr Wettbewerb. Ein vielversprechender Weg, um diesen Wettbewerb zu ermöglichen, führt über das bestehende Pipelinenetz.

„et“: Wie ordnet die Wissenschaft die Option Wasserstoff ein? Wo gibt es den größten Bedarf?

Lechtenböhmer: Ziel ist, generell CO2-freie Energie ins System zu holen. Wasserstoff erscheint dabei als attraktive Lösung insbesondere im Industriesektor, und dort in der Stahlindustrie und Grundstoffchemie. Wir müssen dafür aber eine entsprechende Logistik hinbekommen. Hinsichtlich der Einsatzprioritäten steht die Industrie an erster Stelle, auch weil dort die größten Mengen gefragt sind; dann der Verkehrssektor mit Schwerlastverkehr und Schiffen, da sich die Batterietechnologie ebenfalls noch stark entwickeln wird, kommt Wasserstoff im Pkw-Verkehr eine geringere Rolle zu. Auch im Wärmemarkt kann Wasserstoff bei einer vorhandenen Infrastruktur z.B. für Nahwärmelösungen mit Brennstoffzellen-Blockheizkraftwerken eine Rolle spielen.

„et“: Wo kommt nun der Wasserstoff her?

Lechtenböhmer: Hier gibt es mehrere Möglichkeiten: im Wesentlichen aus erneuerbaren Energien (grüner Wasserstoff) oder fossilen Energieträgern mit Kohlenstoffabtrennung und -speicherung (blauer Wasserstoff). Langfristigen Klimaschutz erreicht man aufgrund der unvermeidbaren Restemissionen bei der Herstellung von blauem Wasserstoff am Ende des Tages nur mit grünem Wasserstoff. Man kann aufgrund des potenziell großen Bedarfs aber mindestens für einen Übergangszeitraum auch an blauen, aus dem Ausland importierten Wasserstoff denken, wo dann das CO2 per CCS abgeschieden und in unterirdische Lagerstätten gepresst wird. Eine Lagerung von CO2 ist in Deutschland aus Akzeptanzgründen derzeit nur schwer vorstellbar.

„et“: Die Kostenfrage ist für den Erfolg enorm wichtig. Wo stehen wir dabei?

Bergmann: Blauer Wasserstoff liegt relativ nah an den Kosten für grauen Wasserstoff, beim grünen kommt es auf verschiedene Umstände an: Gestehungskosten des erneuerbar erzeugten Stroms, wie hoch ist die Abgabenbelastung dabei etc.. Bei der Elektrolyse stehen wir in der industriellen Skalierung erst am Anfang. Verschiedenen Studien zufolge werden wir 2030 Elektrolyseanlagen im GW-Bereich brauchen, heute befinden wir uns im einstelligen MW-Bereich. Wir planen in unserem hybridge-Projekt mit Amprion einen Elektrolyseur in einer Größenordnung von 100 MW – auf der obersten Systemebene in der Kopplung von Strom- und Gasnetzen. Mit einer Investitionssumme für das Projekt von 150 Mio. € wollen wir die Sektorenkopplung im industriellen Großmaßstab vorantreiben.

„et“: Das ist sicherlich ein wichtiger Schritt. Gibt es noch weitere Projekte?

Bergmann: Entscheidend ist, absehbar einen Markthochlauf für Wasserstoff hinzubekommen. Dafür müssen wir Verschiedenes ausprobieren, auch international. Wie im Projekt H2morrow, das wir gemeinsam mit dem norwegischen Partner Equinor durchführen. Dabei geht es um blauen Wasserstoff, der aus Erdgas durch Abspaltung des CO2 gewonnen wird. Wir suchen in NRW und im südlichen Niedersachsen einen geeigneten Standort, an dem dann mittels Dampfreformer Wasserstoff aus Erdgas erzeugt wird. Während dieser an verschiedene Kundengruppen geht, wird das abgeschiedene CO2 per Schiff über den Rhein sowie das Meer nach Norwegen transportiert und dort dauerhaft unterirdisch gespeichert.

„et“: Nutzen Sie auch Reallabore als neue Testräume für Innovation?

Bergmann: Natürlich. Im Rahmen der Reallabore probieren wir etwas in kleinem Maßstab aus. So sind wir am Reallabor Westküste 100 beteiligt. Hier können wir ebenfalls die gesamte Wasserstoffkette erkunden und wichtige Erfahrungen sammeln. Wir müssen aber unbedingt danach rasch in die industrielle Skalierung kommen. Jetzt liegt der Ball bei der Politik. Wenn der gesetzliche und regulatorische Rahmen nicht angepasst wird, werden die Reallabore Strohfeuer werden.

„et“: Wie hoch wird der Bedarf an grünem Wasserstoff eingeschätzt?

Theben: Die Agora-Studie zur klimaneutralen Industrie geht von 700 TWh Wasserstoffbedarf für Deutschland in 2050 aus. Davon geht der größte Anteil auf die Industrie und hier insbesondere den Feedstock der chemischen Industrie zurück. Für die Produktion von 700 TWh grünem Wasserstoff werden etwa 900 TWh erneuerbar erzeugter Strom benötigt. Das entspricht ungefähr dem deutschen Potenzial für Strom aus erneuerbaren Quellen im Jahr 2050, der sicherlich im Wesentlichen für andere Zwecke genutzt wird. Am Import führt also kein Weg vorbei und wir sollten schon heute beginnen, die Weichen dafür zu stellen.

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