Schritte und Wegmarken

Prof. Dr. Lechtenböhmer - Teilnehmer des Strategiegesprächs zum Thema: Wasserstoff – Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft

„Ziel ist, generell CO2-freie Energie ins System zu holen. Wasserstoff erscheint dabei als attraktive Lösung insbesondere im Industriesektor, und dort in der Stahlindustrie und Grundstoffchemie. Wir müssen dafür aber eine entsprechende Logistik hinbekommen. Hinsichtlich der Einsatzprioritäten steht die Industrie an erster Stelle, auch weil dort die größten Mengen gefragt sind; dann der Verkehrssektor mit Schwerlastverkehr und Schiffen, das sich die Batterietechnologie ebenfalls noch stark entwickeln wird, kommt Wasserstoff im Pkw-Verkehr eine geringere Rolle zu. Auch im Wärmemarkt kann Wasserstoff bei einer vorhandenen Infrastruktur zum Beispiel für Nahwärmelösungen mit Brennstoffzellen-Blockheizkraftwerken eine Rolle spielen.“

Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer, Abteilungsleiter „Zukünftige Energie- und Industriesysteme“, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH

„et“: Das Ziel ist klar, die Frage ist nun, in welchen Schritten können wir es effizient erreichen?

Lechtenböhmer: Wir müssen relativ bald darüber diskutieren, grünen Wasserstoff auch zu importieren, es könnte anfänglich auch blauer sein, wobei eben auch da zu prüfen ist, ob der wirklich günstiger ist als der grüne. Wir werden Kostendegressionen bei der Elektrolyse haben und müssen daran denken, dass CCS bislang keineswegs in großem Umfang praktiziert wird. Die Infrastrukturen sollten dafür so flexibel anlegt sein, dass man damit sowohl heimisch produzierten Wasserstoff zu den Verbrauchsschwerpunkten transportieren als auch importieren könnte. Gleichzeitig sollten wir auch mit potenziellen Exportnationen im Nahen Osten, Skandinavien, Australien oder Südamerika sprechen, wo es riesige relativ günstige Stromerzeugungspotenziale auf erneuerbarer Basis gibt. Dabei müssen wir darauf achten, dass Geschäftsmodelle entstehen, die beiden Seiten nutzen und von beiden Seiten gewollt sind.

Theben: Entscheidend für die Schrittfolge ist auch, was politisch sinnvoll ist. Und das ist aus meiner Sicht neben der Regulierungsfrage zunächst der Markthochlauf von Wasserstoff. Wir arbeiten dazu in NRW an unserer H2-Road-Map und werden sie zeitnah vorlegen. Der Bund hat die Veröffentlichung seiner H2-Strategie für das erste Quartal 2020 angekündigt. Wie soll der Hochlauf konkret erfolgen? Wir müssen ein Angebot schaffen, die Nachfrage anreizen und die passende Infrastruktur zur Verfügung stellen.  Unsere chemische und petrochemische Industrie hat jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Wasserstoff. Diese Erfahrung und das bereits existierende 240 km lange Wasserstoffnetz der Air Liquide bilden eine gute Basis für die weitere Entwicklung. Für einen erfolgreichen Markthochlauf müssen wir mit dem Wasserstoff anfangen, der ausreichend und günstig zur Verfügung steht, d.h. vor allem grauer und blauer Wasserstoff. Mittel- und langfristig führt natürlich kein Weg an grünem Wasserstoff vorbei.

„et“: Schauen wir auf die aktuelle Leitungsinfrastruktur. Lässt sich diese leicht ertüchtigen oder geht es um umfangreichere Anpassungen?

Bergmann: Wir haben zur Beantwortung dieser Frage in Abstimmung mit den anderen Fernleitungsnetzbetreibern in Westeuropa ein Forschungsprojekt im Unternehmen aufgesetzt. Dabei untersuchen wir die Qualität der Stähle, Armaturen und Verdichterstationen mit Blick auf den Wasserstofftransport. Wir sind zur Auffassung gelangt, bei den Leitungen ohne großen Aufwand umstellen zu können, bei den Armaturen kann ein Austausch erforderlich werden. Bei den Verdichtern hingegen sind wir auf die Hersteller angewiesen, die mit Hochdruck an diesem Thema arbeiten. 

Der FNB Gas hat die Vision eines Wasserstoffnetzes entwickelt, bei der die Netze sukzessive umgestellt werden, wobei die Synergien aus der Umstellung von L- auf H-Gas genutzt werden können. Das Ergebnis lautet, dass mehr als 90 % der für ein reines Wasserstoff-Gesamtnetz erforderlichen Pipelines umzustellende Erdgasleitungen sind.

„et“: Worauf setzen Sie stärker, auf Beimischung oder reine Wasserstoffleitungen?

Bergmann: Auf der Fernleitungsebene sehen wir neben Erdgasleitungen eher reine Wasserstoffleitungen und weniger Beimischung. Das liegt an der Kundenstruktur. Viele Industriekunden brauchen für ihre Prozesse eine sehr gleichbleibende Gasqualität, die bei einer Beimischung schwer zu realisieren ist. Mit reinem Wasserstoff können die Industrie und der Verkehr beliefert werden. Für den Wärmemarkt könnte man auf der Verteilnetzebene ein relativ konstantes Mischungsverhältnis herstellen, indem man beim Übergang aus dem Fernleitungsnetz die Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas vornimmt.  Das ist unser Zielbild. Dorthin kommt man am besten über regionale Inseln, bei denen reichlich Bedarf gegeben ist.

„et“: Wie stellt sich Ihnen generell das Investitionsthema dar?

Lechtenböhmer: Für die Erzeugung brauchen wir die Skalierung bei den Elektrolyseuren in Deutschland, aber auch bei internationalen Bezugsquellen. Das alles als Mischung anfänglich auch mit blauem Wasserstoff in ein bestehendes Pipelinenetz einzuspeisen, ist ein wichtiges Unterfangen. Die Crux besteht darin, dass wir mehrere Dinge gleichzeitig entwickeln müssen: Erzeugung, Transport und Abnehmer von Wasserstoff.

Theben: Investitionsentscheidungen der Industrie orientieren sich an nachhaltigen Lösungen, d.h., sie müssen bezogen auf die Treibhausgasziele „klimasicher“ sein. Dies liegt vor allem an den teilweise sehr langen Amortisationszeiten von mehreren Jahrzehnten. Daher ist es zunächst entscheidend, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland und in der EU für klimasichere Investitionen gesetzt werden, die gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie erhalten bzw. stärken. Hier erwarte ich starke Impulse von der für März vorgesehenen EU-Industriestrategie im Rahmen des Green Deals. Nur so vermeiden wir carbon leakage. Bezogen auf das Thema Wasserstoff bedeutet dies, dass sehr schnell reiner, bezahlbarer Wasserstoff zur Verfügung stehen muss. Für die Stahl- und Chemieindustrie reicht eine Beimischung nicht aus. Die Erdgasleitungen müssen so umgerüstet werden, dass wir in NRW spätestens 2025 große Abnehmer mit Wasserstoff versorgen können.

Bergmann: Wenn man nur an eine geringe Beimischung denkt, braucht man kaum etwas in die Infrastruktur investieren. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass bis 2030 einige Regionen komplett auf Wasserstoff umgestellt sein werden. Wir werden bis dahin kein flächendeckendes Wasserstoffnetz haben, aber Inseln, in denen wir die Industrie regional mit Wasserstoff versorgen können. Und dieses System wird sukzessive weiterwachsen.

„et“: Gibt es ähnliche Aktivitäten zu Wasserstoff auch in anderen Ländern Europas?

Theben: Es gibt erste Ideen auf europäischer Ebene für reine Wasserstoffleitungen, die sich wie ein X über Europa legen, also von Skandinavien bis Spanien, ggf. mit Anschluss an Nordafrika und von Großbritannien bis nach Italien und Südosteuropa. Dies zeigt, dass auf europäischer Ebene über das Thema Wasserstoff und entsprechende Infrastrukturen nachgedacht wird. Aber auch auf nationaler und regionaler Ebene gibt es ähnliche Initiativen wie in Deutschland. Hervorheben möchte ich Schottland, das enorme Potenziale an Erneuerbaren aufweist und sich intensiv mit dem Thema Wasserstoffproduktion auseinandersetzt. Aber auch die Niederlande priorisieren das Thema Wasserstoff. Nordrhein-Westfalen arbeitet derzeit in zwei Projekten mit den Niederlanden an einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Infrastruktur.

Lechtenböhmer: Ich bin ebenfalls der Auffassung, dass es beim Wasserstoff auf einen internationalen Ansatz ankommt und man deshalb z. B. NRW, die Niederlande und Belgien zusammen als ein regionales Cluster betrachten sollte.

Bergmann: Was Westeuropa betrifft, zielen die Aktivitäten vieler Staaten in dieselbe Richtung. Die Niederlande sind sehr aktiv in Bereichen der direkten Umwandlung von Windstrom in Wasserstoff. Frankreich und Italien waren aber zunächst in Richtung Biomethan unterwegs, nun zeigt sich auch hier die Tendenz, stark in Richtung Wasserstoff zu gehen. Da die Ferngasleitungen nicht an Grenzen enden, ist hier ein gemeinsamer Fokus sehr wichtig. Wir brauchen deshalb einen grenzüberschreitenden Austausch und einen Rahmen, der damit kompatibel ist.

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