Grafik zum Thema der Kohlausstiegsdebatte - Besser als deutsche Kraftwerke stillzulegen wäre es, im europ. Strommarkt auf wirksamen Klimaschutz durch europ. Regulierung (EU ETS) zu setzen

Besser als deutsche Kraftwerke stillzulegen wäre es, im europ. Strommarkt auf wirksamen Klimaschutz durch europ. Regulierung (EU ETS) zu setzen (Bild: Fotolia | Pixelot)

Angesichts des anstehenden Vollzugs des Kernenergieausstiegs und erheblicher altersbedingt anstehender Stilllegungen von Kohle- und Gaskraftwerken führt eine Forcierung des – infolge des Erneuerbaren-Ausbaus langfristig ohnehin stattfindenden – Kohleausstiegs zur Verschärfung der in den 2020er Jahren absehbar entstehenden Knappheit an gesichert verfügbarer Kraftwerkskapazität. Anstatt den Kohleausstieg noch zu beschleunigen, wäre es sinnvoller, die strukturellen Probleme der deutschen Klimaziele aufzulösen. Klimaschutz sollte nicht länger gegen den Markt betrieben werden, sondern der Markt sollte in den Dienst des Klimaschutzes gestellt werden.

Die aktuelle Klimaschutz- und Kohleausstiegsdebatte, mit der sich zurzeit die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (sog. Kohlekommission) befasst, bezieht sich vielfach auf den Vorschlag, zwei Maßnahmen miteinander zu kombinieren: einerseits die Stilllegung oder Beschränkung der Fahrweise von Kohlekraftwerken und andererseits die Löschung von CO2-Emissionsrechten. Damit soll ein Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaziele geleistet und sichergestellt werden, dass im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (EU ETS) auch tatsächlich CO2 reduziert wird.

Das klingt auf den ersten Blick plausibel. Es ist aber mit einer Reihe von Problemen verbunden, die durch den Vorschlag teilweise verschärft und auch verschleiert werden. Die Verschleierung rührt daher, dass durch die Kombination der beiden Maßnahmen (Kraftwerksstilllegungen und Zertifikatslöschungen) nicht mehr erkennbar ist, welche Maßnahme welche Wirkung auslöst.

Die Nachteile eines nationalen Kohleausstiegs

Kraftwerksstilllegungen oder andere Restriktionen für den Betrieb von Kohlekraftwerken in Deutschland führen im EU-Strombinnenmarkt infolge des länderübergreifenden Erzeugerwettbewerbs zur Verlagerung von Stromerzeugung und damit verbundenen Emissionen in unsere Nachbarländer. Das ist wenig überraschend. Denn wenn im Wettbewerb einseitig einem Akteur eine Beschränkung auferlegt wird, beispielsweise durch erzwungene Kraftwerksstilllegungen, dann passiert, was in jedem anderen Markt auch passiert: Die Wettbewerber freuen sich und übernehmen das Geschäft. Zu den Profiteuren zusätzlicher Emissionsrestriktionen im deutschen Teil des europäischen Stromsystems zählen vor allem Steinkohlekraftwerke in Polen, Tschechien, Niederlande und Dänemark. Dort würden Stromerzeugung und Emissionen infolge eines deutschen Kohleausstiegs hauptsächlich hinverlagert [1].

In der längeren Frist wird der Verlagerungseffekt zwar etwas gedämpft, wenn unsere Nachbarn ähnliche Maßnahmen ergreifen – im Gesamtbild bleibt es aber dabei, dass derartige nationale Eingriffe in den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu Verlagerungen führen, und dass die beabsichtigte emissionsmindernde Wirkung nationaler Maßnahmen im Wesentlichen verpufft. Das ändert sich auch durch die jüngste Reform der Marktstabilitätsreserve (MSR) nur wenig, da zusätzliche Zertifikatslöschungen infolge nationaler Klimaschutzmaßnahmen durch die MSR-Reform vorübergehender Natur sind, schwerpunktmäßig zeitnah erfolgen und dann abklingen. Dieser neue Mechanismus ist insgesamt wenig transparent und schwer prognostizierbar [2]. Was bleibt, wären kohleausstiegsbedingte Verlagerungen, die hinsichtlich CO2 zulasten unserer Nachbarn, hinsichtlich Stromerzeugung und Wertschöpfung zulasten Deutschlands gehen, und welche die Gesamtkosten im europäischen Stromsystem erhöhen. All das ist unerwünscht.

Wichtig ist, Folgendes zu erkennen: Wenn Stilllegungen von Kohlekraftwerken oder Beschränkungen ihrer Fahrweise, z.B. durch Emissionsbudgets, mit Zertifikatsstilllegungen kombiniert werden, wie das vielfach vorgeschlagen wird, dann werden die resultierenden Emissionsreduktionen im europäischen Stromsystem und ETS ausschließlich durch die Zertifikatsstilllegungen hervorgerufen, nicht durch die Kraftwerksstilllegungen. Es bleibt dabei, dass politisch erzwungene Kraftwerksstilllegungen im europäischen Strommarkt und ETS ein Fremdkörper sind, der für tatsächliche Emissionsminderung weder notwendig noch hinreichend ist.

Politisch forcierte nationale Kraftwerksstilllegungen sind im europäischen Marktzusammenhang nicht nur systemfremd und diskriminierend und darum mit Entschädigungsforderungen verbunden, sondern auch mit einer Reihe weiterer Nachteile. Ein wesentlicher Nachteil ist, dass die Aufrechterhaltung der Stromversorgungssicherheit durch forcierte Kraftwerksstilllegungen erschwert wird: Da Strom aus Sonne und Wind zwar Brennstoffe einspart, aber praktisch keine steuerbaren Kraftwerke ersetzt, muss die Spitze der Residuallast (Strom-nachfrage minus fluktuierender Einspeisung) jederzeit durch die übrigen Technologien sicher gedeckt werden können. Der gesicherte Beitrag von Speicher- (Wasser-) Kraftwerken ist durch die zur Verfügung stehenden Speicherkapazitäten limitiert. Durch zeitweise Verschiebung von Stromnachfrage, sei es in Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen oder privaten Haushalten, ist ebenfalls ein Beitrag zur Spitzensicherung möglich, dessen Umfang nach Berücksichtigung von Anforderungen an Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit aber begrenzt ist. Somit ist die Aufgabe der gesicherten Spitzen-deckung abgesehen von Biomassekraftwerken in den kommenden ein bis zwei Dekaden weit überwiegend durch einen Mix aus Steinkohle-, Braunkohle- und Gaskraftwerken zu erfüllen. Wenn man nun bedenkt, dass in den kommenden Jahren

  • bestehende Kohle- und Gaskraftwerke in erheblichem Ausmaß altersbedingt ohnehin stillgelegt werden,
  • dies zeitlich mit dem Vollzug des Kernenergieausstiegs zusammenfällt und
  • Investitionsanreize zum Bau benötigter neuer Kraftwerke derzeit vollkommen ungewiss sind,

dann ist klar, dass politisch forcierte zusätzliche Kraftwerksstilllegungen erhebliche Risiken bergen. Das gilt umso mehr, als die absehbaren technischen Fortschritte in Richtung weiterer Automatisierung, Mechanisierung und Digitalisierung allesamt zusätzlichen Stromeinsatz erfordern und angesichts der vorgesehenen weiteren Elektrifizierung im Zuge der „Sektoren-kopplung“ (Power-to-Heat, Power-to-Chemicals, Power-to-Fuel, Elektromobilität) die Stromnachfrage trotz Energieeffizienzerhöhungen erheblich zunehmen könnte.

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