Umweltwärme mit Grundwasser

Bild 1. Grobkonzept „kalte Nahwärme“

Bild 1. Grobkonzept „kalte Nahwärme“ (Bildquelle: LEW)

Bild 2. Brunnenstation in Friedberg: Von hier aus wird die aus dem Grundwasser gewonnene Wärme mit Wärmeübertragern an einen Solekreislauf übertragen und über das „kalte Netz“ zu den Häusern transportiert

Bild 2. Brunnenstation in Friedberg: Von hier aus wird die aus dem Grundwasser gewonnene Wärme mit Wärmeübertragern an einen Solekreislauf übertragen und über das „kalte Netz“ zu den Häusern transportiert (Bildquelle: Michael Hochgemuth/LEW)

Der Grund ist physikalisch einfach zu erklären: Herkömmliche Nahwärmesysteme erzeugen die Energie für die angeschlossenen Gebäude an zentraler Stelle, z. B. in einem kleinen Heizkraftwerk. Sie erhitzen Wasser auf eine Ausgangstemperatur von rd. 80 °C und mehr und verteilen dieses heiße Wasser über Rohre an die Abnehmer. Um unterwegs möglichst wenig Wärme an die Außenwelt abgeben zu müssen, sind die Leitungen aufwendig gedämmt. Trotzdem aber verliert das System Meter für Meter an Temperatur und büßt damit mehr und mehr Wirtschaftlichkeit ein.

Bei der kalten Nahwärme (Bild 1) dagegen ist nicht die Wärmeerzeugung zentralisiert, sondern lediglich die Quelle für die Umweltwärme Grundwasser oder Erdreich. An einer zentralen Brunnenstation (Bild 2) wird sie mit Wärmeübertragern an einen Solekreislauf übertragen. Die Leitungen des „kalten Netzes“ transportieren also nur die aus Grundwasser gewonnene und mit rd. 10 °C vergleichsweise niedrige Umweltwärme zu den Häusern. Der Wärmeverlust ist dabei selbst an sehr kalten Tagen minimal. Erst in den Gebäuden selbst erzeugen Wärmepumpen das nötige Warmwasser und die Heizwärme. Das Konzept ist damit erheblich effizienter – sowohl gegenüber einem klassischen Nahwärmenetz als auch gegenüber den üblichen Heizsystemen.

Vom Konzept in die Praxis

Umgesetzt wurde eine derartige kalte Nahwärmeinfrastruktur in der Region nun erstmals im Neubaugebiet an der Afrastraße in Friedberg. Für das dafür vorgesehene Areal hat die Stadt Friedberg eine Bebauung mit insgesamt rd. 240 Wohneinheiten geplant. Auf rd. 3 ha sollen fünf Mehrfamilienhäuser, sieben Einfamilienhäuser, vier Doppelhaushälften sowie 19 Reihenhäuser entstehen. Entwickelt wurde das Konzept von den Lechwerken im Auftrag der Stadtwerke Friedberg. Das Ziel: den Planern der Bauherren eine komfortable Grundlage für eine nachhaltige und umweltschonende Wärmeversorgung zu bieten.

Als erstes analysierten die Ex­perten für erneuerbare Energien die lokal vorhandene Grundwassersituation und entwickelten ein passgenaues Konzept für die Gewinnung der Umweltwärme. Die von den Lechwerken dazu durchgeführte Machbarkeitsstudie konnte bereits im Vorfeld bestätigen, dass die Realisierung des Konzepts vor Ort nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Stadt Friedberg entschied sich deshalb dafür, im Neubaugebiet an der Afrastraße keine (zusätzliche) Versorgungsinfrastruktur mit Erdgas anzubieten. Insgesamt haben die Stadtwerke Friedberg rd. 700 000 € in das Projekt investiert.

Zentrale Umweltenergie für dezentrale Heizwärme

Das Herzstück der Nahwärmeinfrastruktur in Friedberg bildet das zentral für das gesamte Baugebiet eingerichtete Wärmegewinnungssystem. Dafür wurden zunächst drei Entnahme- und zwei Schluckbrunnen mit Tiefen zwischen 6 und 10 m angelegt. Die in den Brunnen installierten Pumpen können bis zu 29 l Grundwasser je Sekunde fördern und wieder in den Boden zurückleiten.

Am Übergabepunkt zum kalten Nahwärmenetz errichtete LEW eine Übergabestation. In dem Funktionsgebäude sind auf einer Fläche von etwa 4 m x 7 m die Wärmeübertrager, die Pumpen und die Druckhaltung für die Wärmeverteilung untergebracht. Verteilt wird die Umweltwärme über ungedämmte Kunststoffrohre – von der Übergabestation bis hin zu den einzelnen Gebäuden. Neben der Funktion, die gespeicherte Umweltwärme aus dem Grundwasser zu transportieren, dient dieses Verteilnetz zusätzlich noch als Erdkollektor. Denn über die ungedämmten Kunststoffleitungen kann in der Übergangszeit und im Sommer zusätzlich Erdreichwärme aufgenommem und in das System eingespeist werden. Dadurch können in diesem Zeitraum die Betriebszeiten der Brunnenanlage deutlich reduziert werden.

Die Rohre selbst sind in 1,5 m Tiefe strahlenförmig bis zu jedem einzelnen Bauplatz verlegt. Das „kalte“ Leitungsnetz in der Friedberger Neubausiedlung hat eine Gesamtlänge von 1 300 m. Die maximale Entfernung zwischen Übergabestation und Gebäude liegt bei rd. 300 m. Der Solekreislauf, der durch die Kunststoffrohre fließt, ist auf eine Transportkapazität bis 85 m3/h ausgelegt und ermöglicht damit eine Beheizung von insgesamt etwa 18 000 m2 Wohn- und Nutzfläche.

Erste Betriebserfahrungen

Seit September 2018 bezieht der erste Gebäudekomplex nun seine Umweltenergie für sein Heizsystem über das kalte Nahwärmenetz. Bereits jetzt werden fünf Mehrparteienhäuser mit insgesamt 220 Wohneinheiten und zehn Wärmepumpen versorgt. Über die anschlussfertig vorbereiteten Zugänge an jedem Grundstück ist zudem sichergestellt, dass auch die übrigen geplanten Gebäude pro­blemlos in die Nahwärmeversorgung integriert werden können.

Der laufende Betrieb zeigt bereits heute, dass das erwartete Temperaturniveau von durchschnittlich 10 °C bei der Gewinnung der Umweltwärme erreicht wird. Die Eintrittstemperaturen des Grundwassers bewegen sich je nach Jahreszeit zwischen 8 und 13 °C. Auch der nahezu verlustfreie Transport der Umweltwärme durch den Solekreislauf bis zu den einzelnen Gebäuden hat sich bestätigt.

Außerdem hat sich gezeigt, dass über das kalte Nahwärmenetz mit ungedämmten Kunststoffrohren, die in frostfreier Bodentiefe verlaufen, ein erheblicher Energie­eintrag erzielt werden kann. Die Kollektorwirkung des mit Sole befüllten Netzes ist so hoch, dass die Brunnenpumpen teilweise bis zu drei Wochen am Stück in der Übergangszeit und im Sommer nicht angefordert werden mussten. Gegenüber Einzelanlagen ergibt sich daraus ein hohes Einsparpotenzial an Pumpenergie für die Förderung des Grundwassers.

Win-win-Effekt für Kommune und Bürger

Das Konzept der kalten Nahwärme eröffnet Kommunen neue Chancen, aktiv einen Beitrag zur Wärmewende und zum Klimaschutz zu leisten. Die Erschließung von Neubauge­bieten mit der anschlussfertigen Infrastruktur zur Nutzung von Umweltwärme macht zudem die Anbindung an das Erdgasnetz verzichtbar. Versorgungsunternehmen oder die Kommunen übernehmen dabei die Einrichtung und den Betrieb der ökologisch und wirtschaftlich besonders effizienten Variante zur Wärmeversorgung und bieten somit den Grundstückseigentümern einen zukunftssicheren Mehrwert. Die Bauherren und Bauträger schließlich können eine hocheffiziente Heiztechnik nutzen und dabei ohne Eigenerschließung auf die vorhandene Wärmequelle zurückgreifen. Sie erfüllen dadurch die Vorgaben der EnEV und können staatliche Förderungen in Anspruch nehmen. Diese stehen über entsprechende Programme der KfW-Bank in Form von Tilgungszuschüssen oder zinsgünstigen Darlehen sowie über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) als Zuschuss zur Verfügung.

Kalte Nahwärme Friedberg – die Fakten

•    Erschließung des rd. 3 ha großen Neubaugebiets
•    Bebauung: rd. 240 Wohneinheiten
•    Gewinnung von Wärmeenergie aus dem Grundwasser
•    3 Entnahme- und 2 Schluckbrunnen
•    Brunnentiefen von 6 bis 10 m
•    Übergabestation: Wärmeübertrager, Druckhaltung, Netzpumpen und Anbindung an Solekreislauf
•    1 300 m Nahwärmenetz mit ungedämmten Kunststoffrohren
•    Solekreislauf mit bis zu 85 m3/h Förderleistung
•    nahezu verlustfreier Wärmetransport
•    Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser dezentral über Wärmepumpen in den Gebäude

 

Ingo Butters, Kommunikation und Marketing, Presse­sprecher, Lechwerke AG, Augsburg, ingo.butters@lew.de, www.lew.de

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