Marc Grünewald, Head of Business Development and New Energies, Power, bei MAN Energy Solutions

»Wir sind seit vielen Jahren ein Pionier der Power-to-X-Technologie«, sagt Marc Grünewald, Head of Business Development and New Energies, Power, bei MAN Energy Solutions (Bildquelle: MAN Energy Solutions)

EHP: Um die Energiewende gestalten zu können, benötigen wir Speichertechnologien und Power-to-X-Lösungen. Wenn von Power-to-X die Rede ist, ist in der Regel die Umwandlung und damit die Nutzung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien gemeint. Aber steht überhaupt so viel überschüssiger Strom zur Verfügung? Wie schätzen Sie das Potenzial von Power-to-X ein?

Grünewald: Wir dürfen nicht den Fehler machen, das Potenzial für synthetische Kraftstoffe und Power-to-X mit dem deutschen Überschussstrom zu verwechseln. Der Weltenergierat sieht die globale Nachfrage nach klimaneutralen Syn-Fuels bis zum Jahr 2050 auf 10 000 bis 20 000 TWh steigen. Das entspricht ca. 50 % des heutigen Erdölbedarfs. Wir sprechen hier also über einen globalen Zukunftsmarkt für eine Technologie, bei der deutsche Unternehmen bislang weltweit führend aufgestellt sind. Diesen Vorsprung müssen wir halten, und um das zu schaffen, müssen wir die Technologie exportreif entwickeln – in Deutschland. Dazu können wir den Überschussstrom einsetzen, den Sie ansprechen. Und auch hier sprechen wir derzeit noch von mehreren Terrawattstunden pro Jahr, also von riesigen Mengen an Strom, die wir abregeln, anstatt sie volkswirtschaftlich zu nutzen.

EHP: Die Umsetzung von Power-to-X geht nur langsam voran. Woran liegt das?

Grünewald: Die regulatorischen Rahmenbedingungen stimmen nicht. Während Industrie und Anlagenbau längst auf Power-to-X-(PtX-) Lösungen setzen, ist die Politik immer noch zu zögerlich. Erst allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass wir diese Technologie für eine erfolgreiche Energiewende zwingend brauchen. Anders lassen sich nämlich all die Sektoren, für die Batterien keine Lösung sind, gar nicht dekarbonisieren. Das Wirtschaftsministerium hat inzwischen Reallabore ausgeschrieben. Das ist ein richtiger Schritt und ein wichtiges Signal. Aber ein PtX-Reallabor soll nach fünf Jahren wirtschaftlich sein. Das ist bei der bestehenden Abgabenlast unmöglich.

EHP: Apropos Wirtschaftlichkeit – die »Power to X Allianz« schlägt ein auf fünf Jahre begrenztes Markteinführungsprogramm vor. Demnach soll für jede Tonne CO2 aus fossilen Energieträgern, die durch die Nutzung von erneuerbaren Energieträgern aus Power-to-X ersetzt wird, ein Innovationsbonus gutgeschrieben werden. Was halten Sie davon?

Grünewald: Der Ansatz ist richtig, denn er setzt darauf, die CO2-Vermeidung zu belohnen. Dieser Mechanismus fehlt bislang im Markt: Jenseits des ETS (Emissions Trading System) kostet der Ausstoß von CO2 nichts. So lange das der Fall ist, kann aber auch kein Markt für Technologien zur CO2-Vermeidung entstehen, wie z. B. Power-to-X. Ich halte aber nichts davon, so ein Instrument befristet einzuführen. Das sieht aus, als wollten wir PtX schönrechnen. Fakt ist aber doch: Die Bundeskanzlerin ist mit der Unterschrift unter den Pariser Klimavertrag eine Verpflichtung zur Dekarbonisierung eingegangen. Bis 2050 soll eine klimaneutrale Weltwirtschaft
geschaffen werden. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. CO2-Emissionen zum Nulltarif haben in einer solchen Welt keinen Platz mehr.

EHP: Was müsste getan werden, um die Umsetzung von Power-to-X-Lösungen voranzutreiben? Welche Weichen müssten gestellt werden?

Grünewald: Erstens: CO2 braucht ein Preisschild. Die Schädigung des Klimas erzeugt immense Kosten, die der Markt bislang nicht abbildet. Solange Emissionen zum Nulltarif zu haben sind, kann auch kein Markt für Technologien zu ihrer Reduzierung entstehen. Weiter muss die Technologie von regulatorischen Ketten befreit werden. PtX-Anlagen sind keine Strom-Endverbraucher. Nur so kann der Betrieb von industriell skalierten Anlagen der Multimegawatt-Klasse auch über die Laufzeit der vom Wirtschaftsministerium ausgeschriebenen Reallabore hinaus rentabel werden.

EHP: In diesen Reallaboren sollen Power-to-X-Anwendungen im industriellen Maßstab erforscht werden. Inwiefern bringt sich MAN Energy Solutions hier ein?

Grünewald: Wir wollen gemeinsam mit Arge Netz und Vattenfall im Industriepark Brunsbüttel das weltweit erste industrielle Großprojekt zur Herstellung synthetischer Gase aufbauen. Die Anlage soll eine Kapazität von 50 MW haben und regionalen Strom aus erneuerbaren Energien nutzen, um damit grünen Wasserstoff und synthetisches Gas herzustellen, das z. B. in Bussen, Lkw und Schiffen aber auch in Gaskraftwerken zum Einsatz kommen kann. Dieses Projekt wollen wir als Reallabor im Sinne des Wirtschafts¬ministeriums realisieren und haben im April eine entsprechende Projektskizze eingereicht.

EHP: Was versprechen Sie sich von diesem »HySynGas«-Projekt?

Grünewald: In Brunsbüttel haben wir einen Industriestandort, an dem viele Vorteile zusammenkommen. Erneuerbarer Strom ist regional verfügbar, große Industrieunternehmen, die grünen Wasserstoff, Sauerstoff und SNG (Synthetic Natural Gas) verwenden können, sind vorhanden und die Einspeisung von SNG in das Gasnetz ist möglich. Mit diesen Voraussetzungen können eine Vielzahl von möglichen Anwendungsfeldern für PtX realisiert werden. Wir haben zudem bereits potenzielle lokale und überregionale Abnehmer für den er-zeugten Wasserstoff und das SNG.

EHP: Kommen wir zurück auf die Wirtschaftlichkeit, die Sie vorhin angesprochen haben. Wird MAN Energy Solutions gemeinsam mit seinen Partnern das Großprojekt »HySynGas« weitertreiben, auch wenn die Bewerbung auf ein Reallabor scheitern sollte?

Grünewald: Das HySynGas-Projekt ist wirtschaftlich absolut sinnvoll, und wir brauchen solche industriell skalierten Projekte mit solider wirtschaftlicher Grundlage, um PtX aus den Laboren heraus und in die Anwendung zu holen. – Aber selbst dieses Projekt ist unter den gegebenen regulatorischen Rahmen-bedingungen in Deutschland nicht wirtschaftlich betreibbar. Das sollte uns zu denken geben! Wir brauchen also das Reallabor, wenn nicht jetzt, dann später – oder einen regulativen Rahmen, der CO2-Einsparungen be-rücksichtigt.

EHP: Das X in Power-to-X steht für Heat, Gas, Hydrogen, Liquids usw. Welchem X ist Ihrer Meinung nach der Vorzug zu geben?

Grünewald: Wir sprechen ganz bewusst von Power-to-X, weil diese Flexibilität die Stärke der Technologie und ihr Potenzial zu Sektorkopplung ganz maßgeblich ausmacht. Wenn wir uns anschauen, wo der größte Handlungsbedarf mit Blick auf die Energiewende besteht, dann landen wir bei den Sektoren Wärme, Industrie und Verkehr. Ein Konzept zur Dekarbonisierung gibt es bislang allenfalls für den Pkw-Bereich, wo sich der Batterieantrieb anbietet. Diese Lösung funktioniert aber weder für die Schifffahrt noch für die Luftfahrt noch den Fernverkehr. Hier brauchen wir synthetische Kraftstoffe. In der Industrie wiederum wird die Nachfrage nach grünem Wasserstoff steigen. Und im Gebäudesektor brauchen wir grünes Erdgas für die Kraft-Wärme-Kopplung. Das »X« in PtX ist also keine Verlegenheitsvariable, sondern ein Multiplikator, wenn Sie so wollen.

EHP: Wird Power-to-X überflüssig, wenn der Netzausbau abgeschlossen ist?

Grünewald: Ganz klar: Nein. Denn wir brauchen synthetische Kraftstoffe im System. Bei denen hilft das Stromnetz nicht. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Netzausbau jemals fertig wird. 2017 wurden 30 km realisiert – von 7 700 geplanten. Es wäre sogar interessant, einmal auszurechnen, ob es nicht günstiger wäre, erneuerbaren Strom in Gas umzuwandeln und ihn über die bestehenden Gasnetze zu transportieren, anstatt das Stromnetz auszubauen.

EHP: Wie ist MAN Energy Solutions im Power-to-X-Bereich bereits aufgestellt?

Grünewald: Unsere 50-MW-Anlage ist designed, wir können im Prinzip morgen anfangen zu bauen. Wir sind seit vielen Jahren ein Pionier der Power-to-X-Technologie. Bereits 2013 haben wir den größten Methanisierungsreaktor Europas für Audi in Werlte in Betrieb genommen. Bei diesem Prozessschritt sind wir also Experte. Bei der Elektrolyse arbeiten wir mit Partnern zusammen, das wird sich aber langfristig ändern: Wir haben erst vor kurzem 40 % der Anteile an dem Elektrolysetechnologieunternehmen H-Tec Systems übernommen. H-Tec Systems hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in Forschung und Entwicklung der Wasserstoff-technologie. Wir begreifen das als Entwicklungspartnerschaft und als unseren Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Dieser Markt wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren zur kommerziellen Reife entwickeln. Dafür positionieren wir uns. Bis dahin bedienen wir unsere Kunden wie gehabt mit den bestehenden Partnern.

EHP: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grünewald.

Silke Laufkötter

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