Stefan Kapferer: Krisen können nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Verwaltung und Legislative Potenzial freisetzen und Innovationen voranbringen.

Stefan Kapferer: Krisen können nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Verwaltung und Legislative Potenzial freisetzen und Innovationen voranbringen. (Quelle: Jan Pauls)

Die Corona-Krise hat die Welt in den vergangenen Monaten überrollt und in Atem gehalten. Noch ist sie nicht überwunden. Aber zumindest in Europa und besonders in Deutschland sehen wir aufgrund rechtzeitiger und umsichtiger Maßnahmen wieder Licht am Ende des Tunnels und können – ja müssen – die Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft analysieren und gestalten. Das gilt auch für die Energiewirtschaft.

Rückblickend können wir festhalten: Versorgungssicherheit und Systemstabilität waren zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd gefährdet. Zwar sank der Stromverbrauch leicht, doch aufgrund dieser sinkenden Nachfrage bei zugleich hohem Aufkommen an Strom aus Wind- und Sonnenenergie haben wir im Netzgebiet von 50Hertz einen Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch von über 65 % verzeichnet. Im Februar 2020 lag der EE-Anteil sogar bei über 85 %. Auch als an einigen sonnenreichen Tagen Ausnahmesituationen auftraten, konnten wir das System gut managen, indem wir zur Bereitstellung von Blindleistung konventionelle Kraftwerke eingesetzt haben. Insgesamt zeigt sich damit einmal mehr, dass die Integration ständig wachsender – und mittlerweile enormer – Mengen von Strom aus witterungsabhängigen Energiequellen selbst in einer Krisensituation technisch gut zu bewältigen ist.

Um die Energiewende- und Klimaschutzziele zu erreichen, muss dieser Weg konsequent fortgesetzt werden. Schon heute sind große Teile unseres Netzgebiets – in erster Linie die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt – das grüne Kraftwerk der Energiewende mit hohen Exportüberschüssen aus Wind- und Sonnenenergie. Und diese Entwicklung wollen wir weiter vorantreiben und auch in anderen Bundesländern fördern. Dazu braucht es verlässliche Rahmenbedingungen für Windenergie- und Photovoltaikanlagen sowie einen weiterhin hohen Fokus auf einen beschleunigten Ausbau der Netzinfrastruktur, um die Erneuerbaren sicher und effizient in das System integrieren zu können. 

Ein ganz wesentlicher und wichtiger Schritt war deshalb die Einigung von Bund und Ländern auf eine Erhöhung der Windenergieleistung auf See von bislang 15 auf 20 GW bis 2030. Ähnliche Signale sind auch für die Ausbauziele an Land erforderlich. Die Einigung der Koalitionsfraktionen über Abstandsregelungen zu Onshore-Windenergieanlagen sowie über den Wegfall des PV-Deckels ist ein Hoffnungsschimmer. Denn nur mit genügend installierter erneuerbarer Energie kann das grüne Kraftwerk ausreichend Energie liefern. 

Ein weiterer wichtiger politischer Schritt war das sehr kurzfristig verabschiedete Planungssicherstellungsgesetz, durch das – zunächst zeitlich befristet – unter anderem die Öffentlichkeitsbeteiligung durch digitale Formate ergänzt wird.  Dieser Gesetzgebungsprozess hat gezeigt, dass Krisen nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Verwaltung und Legislative Potenzial freisetzen und Innovationen voranbringen können. Bei 50Hertz haben wir in den vergangenen zwei Monaten gute Erfahrungen damit gemacht, Menschen über digitale Tools und Telekommunikation an Netzausbauprojekten vor ihrer Haustür zu beteiligen. Online-Marktplätze und Telefonsprechstunden wurden so gut angenommen, dass wir – im Vergleich zu unserem persönlichen Dialog vor Ort – weder bei der Zahl noch bei der Qualität der Wortmeldungen Unterschiede zu den rein analogen Formaten feststellen konnten.

Diesen Digitalisierungsschub sollten wir auch in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen, um die demokratische Teilhabe zu vereinfachen und die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die dringend erforderlichen Netzausbauprojekte zu beschleunigen. Online-Beteiligung sollte daher als Ergänzung zur persönlichen Partizipation sowohl im nicht-förmlichen als auch im förmlichen Beteiligungsverfahren auch in Zukunft eine Selbstverständlichkeit sein. Hier sind wir alle miteinander gefragt, kreative Lösungen zu entwickeln, um die Öffentlichkeitsbeteiligung an Infrastrukturprojekten zu gewährleisten und zugleich die Verfahren zu modernisieren und zu verschlanken.

Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung, 50Hertz Transmission GmbH, Berlin 

Ähnliche Beiträge