In der Instandhaltung sind aufgrund der zunehmend digitalen Schutzgeräte neue Prüfmethoden erforderlich. Ziel ist es, die Prüfungen digitaler Schutzgeräte und -system zu vereinfachen und zu verkürzen – und dies bei Erhöhung der Prüfqualität.

In der Instandhaltung sind aufgrund der zunehmend digitalen Schutzgeräte neue Prüfmethoden erforderlich. Ziel ist es, die Prüfungen digitaler Schutzgeräte und -system zu vereinfachen und zu verkürzen – und dies bei Erhöhung der Prüfqualität (Bildquelle: Omicron)

Es ist noch gar nicht so lange her, da bestand die Schutztechnik bei Energieversorgungsunternehmen (EVU) zum größten Teil noch aus Geräten mit elektromechanischem oder analog-statischem Aufbau. Diese Geräte hatten zwei fundamentale Eigenschaften: Erstens waren die Einstellwerte nicht auf einfache Weise präzise einzustellen, zweitens war es wahrscheinlich, dass das durch die Einstellwerte beabsichtigte Verhalten sich im Laufe der Zeit ändert. Zudem war die Zahl der Einstellparameter relativ gering und übersichtlich.

Diese Faktoren waren der Grund dafür, dass die mit der Schutztechnik betrauten Personen von Zeit zu Zeit nachweisen mussten, dass alle Funktionen noch innerhalb der vorgegebenen Toleranzen lagen. Dementsprechend entwickelte sich eine Prüfmethodik, deren Hauptaufgabe die Überprüfung von Ansprechwerten, Rückfallverhältnissen und Reaktionszeiten war.

Digitale Relais von heute haben dagegen eine Vielzahl von Parametern und bieten zahlreiche Schutzfunktionen in einem einzigen Gerät. Ein einmal eingestellter Wert eines Parameters wird sich nicht im Laufe der Zeit ändern und eine eingestellte Kennlinie wird nicht wegdriften. Trotzdem wird heute in der Instandhaltung überwiegend so geprüft, als wären die Prüfobjekte elektromechanischer oder analog-statischer Natur.

Angepasste Prüfmethodik für digitale Schutzgeräte

Dieser Beitrag soll dazu dienen, die Prüfung digitaler Schutzrelais in einem neuen Licht zu betrachten und Denkanstöße für eine Neugestaltung der Vorgehensweise im Unternehmen zu liefern. Dabei gibt es im Lebenszyklus eines Schutzgeräts viele verschiedene Situationen, die dazu führen, dass es geprüft werden kann oder auch muss. Diese sind

  • der Type Acceptance Test (TAT), bei dem untersucht wird, ob das Gerät über die erforderlichen Schutzfunktionen mit dem gewünschten Verhalten verfügt, bevor es im Netz eingesetzt wird
  • die Inbetriebnahmeprüfungen – vom Factory Acceptance Test (FAT) über diverse Prüfungen bei der Inbetriebsetzung bis zum letzten Akzeptanztest vor dem Zuschalten (Site Acceptance Test – SAT), um die Anlage in den betriebsfähigen Zustand zu versetzen
  • die Instandhaltungsprüfungen, um die Anlage in fehlerfreiem Zustand zu halten.

Das Problem bei allen angewendeten Prüfmethoden ist allerdings, dass niemals verifiziert werden kann, dass ein Schutzsystem fehlerfrei ist. Es lässt sich lediglich falsifizieren, ob es sich bei bestimmten Ereignissen korrekt verhält. Die Zahl dieser Ereignisse sind quasi unendlich groß. Deshalb besteht eine Hauptaufgabe darin, die Testmenge unter sinnvollen Randbedingungen zu minimieren.

Arten der Instandhaltungsprüfung für Schutzgeräte

Im Folgenden werden die verschiedenen Arten der Instandhaltungsprüfung näher betrachtet. Dabei ist es sinnvoll zu definieren, was nicht zum Umfang einer Instandhaltungsprüfung zählt. Hier sind zwei wichtige Aspekte zu nennen:

  • Aufdecken von Fehlern aus der Inbetriebnahme
  • Prüfen, um die eigenen Prüffertigkeiten zu erlernen oder zu erhalten.

Wie erwähnt, gibt es in der Phase der Instandhaltung verschiedene Anlässe zum Prüfen. Eine sehr gute Klassifizierung bietet die DIN VDE 0109 »Instandhaltung von Anlagen und Betriebsmitteln in elektrischen Versorgungsnetzen«. Dort wird zwischen Inspektion, Wartung, Verbesserung und Instandsetzung unterschieden. Diese Klassifizierung kann auch auf die digitale Schutztechnik übertragen werden.

Inspektion

Die Inspektion fällt in den Bereich der zustandsbasierten und zeitbasierten Prüfanlässe. Ziel ist es, ein Fehlverhalten zu identifizieren, das das Schutzsystem in der Funktion einschränkt und das sich seit der SAT eingestellt hat. Ursachen können Alterungseffekte sein, aber auch unbeabsichtigtes Verstellen von Geräteparametern. Die Inspektion kann aus einfachen Sichtprüfungen oder dem Abarbeiten von Checklisten und Wiederholungsprüfungen bestehen. Dabei ist Wiederholungsprüfung wörtlich zu nehmen: Bei einer echten Wiederholungsprüfung handelt es sich um die exakte Wiederholung der Prüfsequenzen, da nur so ein echter Vergleich zwischen dem Zustand bei SAT und dem jetzigen Zustand möglich ist. Die Prüfsequenzen aus der SAT müssen deshalb zur Verfügung stehen.

Verbesserung

Das elektrische Versorgungsnetz verändert sich kontinuierlich. Dies betrifft zum Beispiel die Einspeiseleistungen und Lasten. All dies kann auch zu veränderten Einstellwerten bei Schutzgeräten führen. Damit gehört diese Art der Prüfung zu den ereignisorientierten Prüfanlässen.

Wartung

Bei der digitalen Schutztechnik kann das notwendige Einspielen eines Firmware-Updates so interpretiert werden, dass es nach DIN VDE 0109 eine »Maßnahme zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrates« ist. Es wurde erkannt, dass eine angenommene Funktionalität des Schutzsystems nicht mehr gegeben ist und folglich die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt. Daher werden entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Da das Einspielen eines Firmware-Updates mit einem Gerätetausch verglichen werden kann, sind hier umfangreichere Prüfungen notwendig als nach einem Parameter-Update.

Instandsetzung

Ist eine Komponente des Schutzsystems defekt, muss sie ausgetauscht werden. Darüber hinaus ist nach einer Über- oder Unterfunktion das Schutzsystem zu untersuchen und Abhilfemaßnahmen zu treffen. Es handelt sich hierbei demnach um ereignisorientierte Prüfanlässe, bei denen individuelle Prüfmethoden anzuwenden sind.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Instandhaltungsprüfungen folgende Aufgaben erfüllen müssen:

  • Faktoren identifizieren, die ein verändertes Verhalten des Schutzsystems hervorrufen – verglichen mit dem Zustand bei SAT (Inspektion)
  • den Sollzustand des Schutzsystems nach Parameteränderungen gewährleisten. Hierbei ist zu unterscheiden, ob bestehende Parameter verändert oder ob neue Schutzfunktionen aktiviert wurden (Verbesserung)
  • den Sollzustand des Schutzgeräts nach einem Firmware-Update gewährleisten (Wartung)
  • den Sollzustand des Schutzsystems nach einem erkannten Fehlverhalten sicherstellen (Instandsetzung).

Um diese Aufgaben erfüllen zu können, ist es notwendig, dass diejenigen Personen, die mit der Instandhaltung betraut sind, vor dem Prüfen eine Prüfspezifikation für die Inspektion, Verbesserung und Wartung definieren. Die Spezifikation muss folgende Fragen beantworten:

  • Was soll geprüft werden?
  • Wie soll geprüft werden?
  • Womit soll geprüft werden?

Beobachtbarkeitsklassen reduzieren Komplexität

Dabei ist aufgrund der zunehmenden Komplexität häufig unklar, wie konkret weiter vorzugehen ist. Das Problem der Komplexität ist allerdings lösbar, wenn das Schutzgerät beziehungsweise das Schutzsystem in kleinere Funktionseinheiten entsprechend ihrer Beobachtbarkeit unterteilt wird. Diese Komponenten sind dann mit unterschiedlichen Prüfmethoden zu testen. Die im Folgenden dargestellte Einteilung der Beobachtbarkeitsklassen nach ihrem Verhalten im Fehlerfall ist denkbar.

Beobachtbarkeitsklasse A

Eine defekte Komponente macht sich nicht selbst bemerkbar. Das Fehlverhalten kann nur durch einen spezifischen Test oder im Fall eines realen Ereignisses erkannt werden. Beispiel: Die Unterbrechung eines Drahtes, der ein Freigabesignal senden soll, kann im normalen Netzbetrieb nicht entdeckt werden.

Beobachtbarkeitsklasse B

Der Ausfall einer Komponente wird sofort bemerkt. Beispiel: Der Ausfall der Signalverbindung zwischen den einzelnen Enden eines Leitungsdifferenzialschutzes führt unmittelbar zur Aktivierung eines Notschutzes.

Beobachtbarkeitsklasse C

Es handelt sich hier um Komponenten mit »Eigenleben«. Darunter werden mikroprozessorgestützte Komponenten verstanden. Die Firmware steuert, regelt und überwacht diverse technische Funktionen. Eine falsche Einstellung in den Schutzparametern, durch vom Anwender selbst erstellte gerätespezifische Logikfunktionen und die Rangierung der Ein- und Ausganssignale, wird erst bei einem Ereignis oder einem spezifischen Test erkannt. Diese Komponentenklasse verhält sich so wie Klasse A. Vorteil ist jedoch, dass Prüfmethoden angewendet werden können, die zwar bei digitalen Schutzgeräten funktionieren, sich bei elektromechanischen oder analog-statischen Geräten nicht anwenden lassen. Ein Beispiel ist der Vergleich des Geräteparametersatzes im aktuellen Zustand mit dem Datensatz aus dem SAT.
Dies alles eröffnet neue Möglichkeiten beim Prüfen. Es können Prüfungen vereinfacht und auch verkürzt werden – und dies bei gleichzeitiger Erhöhung der Prüfqualität.

Diese Themen werden auch auf der ETG-/FNN-Fachtagung Schutz- und Leittechnik 2020 im Workshop 3 »Aktuelle und zukünftige Herausforderungen beim Prüfen von sekundärtechnischen Anlagen« diskutiert. Die Fachtagung findet am 18. und 19. Februar 2020 in Berlin statt.

Dr. Richard Marenbach (richard.marenbach@omicronenergy.com)

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