Strategien für eine stabile, smarte und ökologische Netzinfrastruktur - Seite 2

Die Energiewende findet vor allem in den Verteilnetzen statt, die sich zunehmend zu Smart Grids weiterentwickeln müssen. Welche Lösungen und Dienstleistungen bietet ABB dafür?

Facchin: Kein Zweifel, wir müssen die bestehende Netzinfrastruktur mit einer digitalen Kommunikations- und Automatisierungstechnologie fit machen für die künftigen Herausforderungen. Im Übertragungsnetz sind wir mit der Digitalisierung bereits sehr weit fortgeschritten und haben auch entsprechende Standardprotokoll wie IEC 61850 für digitale Anwendungen entwickelt. Im Verteilnetz sind wir noch nicht so weit. Hier sind jedoch auch zusätzlich unterschiedliche und zum Teil auch neue Lasten beispielsweise für die Elektromobilität zu berücksichtigen, die sich nur schwer im Voraus planen lassen. All diese Aspekte müssen im Verteilnetz berücksichtigt und über digitale Anwendungen gemanagt werden.

Die Entwicklung hin zu einem Smart Grid ist kein Greenfield-Projekt. Wie ist die richtige Strategie für die Verteilnetzbetreiber?

Facchin: Es reicht sicherlich nicht, sich auf reine Ersatzinvestitionen zu beschränken. Es ist vielmehr ein kontinuierlicher Prozess notwendig, der sich über die gesamte Wertschöpfungskette der Netzbetreiber erstreckt. Dies beginnt bei der Digitalisierung auf Feldebene. Ein Beispiel dafür sind digitale Transformatoren, wie wir sie bereits im vergangenen Jahr auf der Hannover Messe vorgestellt haben. Dabei sind die digitalen Anwendungen integraler Bestandteil des Transformators und nicht nur ein zusätzliches Add-on. Um die steigende Komplexität im Verteilnetz beherrschen zu können, sind dann digitale Automatisierungslösungen in der Leittechnik nötig. Schließlich müssen diese Daten und Informationen aus dem Netzbetrieb auch den obersten Führungsgremien zur Verfügung stehen, um auf dieser Basis die richtigen strategischen Entscheidungen bezüglich Opex und Capex treffen zu können.

ABB Ability ist die Plattform für alle digitalen Lösungen von ABB. Wie profitieren Netzbetreiber davon?

Facchin: Die Anwendungen, die wir über ABB Ability zur Verfügung stellen, konzentrieren sich vor allem darauf, die einzelnen Bereiche in der Wertschöpfung der gesamten Energieversorgung möglichst gut zu verzahnen. Bisher setzten unsere Kunden für die unterschiedlichen Aufgaben meist Stand-alone-Lösungen ein. Damit lassen sich zwar einzelne Bereiche wie eine Erzeugungsanlage oder ein Inselnetz gut optimieren. Um jedoch der zunehmenden Volatilität im Energiesystem und in den Netzen gerecht werden zu können, ist vielmehr ein gesamtheitlicher Ansatz notwendig. So bieten wir zum Beispiel Lösungen, mit denen Netzbetreiber einen umfassenden Blick auf ihr Netzgebiet in Echtzeit erhalten – angefangen von der einzelnen Erzeugungsanlage über die Bedingungen im Netz bis zu den aktuellen und den möglichst exakt prognostizierten Lasten. 

Schlagwort Lasten – die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität wird zunehmend zu einer Herausforderung für die Netze. Welche Entwicklungen erwarten Sie hier?

Facchin: Zu allererst ist die richtige Ladeinfrastruktur entscheidend. ABB investiert hier vor allem in die Schnellladetechnologie, um dem Wunsch der Endkunden nach einer kurzen Ladezeit und einer hohen Reichweite gerecht zu werden. So haben wir auf der Hannover Messe in diesem Jahr eine Lösung mit bis zu 350 kW Ladeleistung vorgestellt. Damit beträgt die Ladezeit für eine Reichweite von 200 km nur rund 8 min. Werden mehrere dieser Stationen gleichzeitig an einem Standort betrieben, können dabei durchaus mehrere Megawatt an Ladeleistung zusammenkommen, was einen Ausbau der Verteilnetze notwendig machen kann. Besser lässt sich dies mit intelligenten Energiemanagementsystemen zum Beispiel in Kombination mit lokalen Batteriespeichern bewerkstelligen. Zwar ist der Anteil der Elek­tromobilität zurzeit noch gering und die Herausforderung für die Netzbetreiber noch überschaubar. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Anteil in den nächsten drei bis vier Jahren deutlich steigen wird. Daher müssen wir bereits heute die richtigen Entscheidungen treffen, um auf den Boom der Elektromobilität in den nächsten Jahren vorbereitet zu sein.

Im Dezember 2018 wurde die Übernahme von ABB Power Grids durch den japanischen Konzern Hitachi bekanntgegeben. Was ändert sich damit für die Kunden?

Facchin: Wichtig ist zum einen, dass wir auch nach der Übernahme die zuvor genannte und auf unsere Kunden ausgerichtete Strategie fortführen werden. Zum anderen ist die Zusammenarbeit mit Hitachi für uns auch nicht neu. Wir kooperieren bereits seit mehr als vier Jahren im HGÜ-Bereich. In dieser Zeit haben wir erkannt, dass ABB Power Grids und Hitachi ähnliche Visionen für eine nachhaltige Energieversorgung mit der entsprechenden Infrastruktur haben. Zusammen bringen wir dafür umfassende Kompetenzen ein – von der erneuerbaren Energieerzeugung über die Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur bis hin zu Lösungen für Smart Cites und Finanzdienstleistungen. Ich bin mir sicher, dass wir zusammen mit Hitachi viele Synergien nutzen können, von denen unsere Kunden profitieren.

Martin Heinrichs
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