Schwerpunkte bei der Weiterentwicklung von Ladestationen

Michael Heinemann: Ohne den Pioniergeist eines kalifornischen Start-up-Unternehmens wären wir bei der Elektromobilität sicherlich nicht so weit, wie wir es heute sind.

Michael Heinemann: Ohne den Pioniergeist eines kalifornischen Start-up-Unternehmens wären wir bei der Elektromobilität sicherlich nicht so weit, wie wir es heute sind. Quelle: Phoenix Contact)

Joachim Pucker: Neben der Ladeleistung ist für uns vor allem das Thema Sicherheit entscheidend. Schließlich sprechen wir aktuell von Leistungen bis 500 kW, die man beim Laden mit dem Ladestecker als normaler Verbraucher quasi in der Hand hält.

Joachim Pucker: Neben der Ladeleistung ist für uns vor allem das Thema Sicherheit entscheidend. Schließlich sprechen wir aktuell von Leistungen bis 500 kW, die man beim Laden mit dem Ladestecker als normaler Verbraucher quasi in der Hand hält. (Quelle: Phoenix Contact)

Was sind neben der Ladeleistung die wesentlichen Schwerpunkte bei der Weiterentwicklung von Ladestationen?

Pucker: Neben der Ladeleistung ist für uns vor allem das Thema Sicherheit entscheidend. Schließlich sprechen wir aktuell von Leistungen bis 500 kW, die man beim Laden mit dem Ladestecker als normaler Verbraucher quasi in der Hand hält. Daher besteht unser HPC-Stecker nicht nur aus Kunststoff und Metall. Es handelt sich vielmehr um ein Smart Device mit viel Elektronik, eigenem Mikrocontroller, mit verschiedenen Sensoren und einem Co-Prozessor, sodass bereits im Stecker der gesamte Ladeprozess und alle damit zusammenhängenden Sicherheitsaspekte überwacht werden können.

Deutschland hinkt im Bereich der Elektromobilität im Vergleich mit anderen Ländern hinterher, so wird häufig argumentiert. Wie bewerten Sie dies zum einen bezüglich des Bestands an Elektrofahrzeugen als auch bezüglich des Engagements der deutschen Automobilindustrie?

Heinemann: In der Vergangenheit war diese Aussage sicherlich richtig. Ohne den Pioniergeist eines kalifornischen Startup-Unternehmens wären wir bei der Elektromobilität sicherlich nicht so weit, wie wir es heute sind. Mittlerweile haben aber alle deutschen OEM ihre Strategie angepasst. War in der Vergangenheit die Fahrzeugplattform auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet, die an die Gegebenheiten von Elektrofahrzeugen angepasst wurde, so ist dies heute andersherum. Die komplette Fahrzeugplattform ist auf einen elektrischen Antrieb hin optimiert. Dieses Umdenken hat bei allen namhaften deutschen OEM stattgefunden. Dass die deutsche Automobilindustrie den Anschluss vielleicht auch ein Stück weit verpasst hat, wird Stück für Stück wettgemacht – und ich würde sogar sagen, dass es diesen Rückstand heute gar nicht mehr gibt.

Seit Ende 2020 bündelt Phoenix Contact sein E-Mobility-Angebot unter dem Namen Charx. Welche Produkte und Lösungen umfasst dieses Portfolio?

Pucker: Charx ist ein Kunstwort aus Laden (Charge) und X für Vielfalt. Unter der Marke Charx bündeln wir alle Komponenten für den Ladeprozess von Elektrofahrzeugen, also nicht nur die Produkte aus der E-Mobility GmbH, sondern auch aus anderen Business Units von Phoenix Contact. Beispiele hierfür sind die Stecker und Ladekabel (Charx Connect), die Ladecontroller (Charx Control), aber auch spezielle Leistungselektronik, Überspannungsschutzmodule und DC-Schütze. Bis auf das Gehäuse bietet Phoenix Contact somit alle Komponenten für den Aufbau von Ladestationen.

Gibt es für die unterschiedlichen Anwendungsfälle Standardlösungen oder ist jede Ladestation eine individuelle Entwicklung?

Heinemann: Grundsätzlich lassen sich Ladestationen standardisieren und wir bieten dafür auch Sets für unterschiedliche Anwendungsfälle an. Aber die meisten Projekte haben ihre Besonderheiten und die Hersteller versuchen auch unterschiedliche Mehrwerte zu bieten, um sich von anderen Anbietern zu unterscheiden. Häufig ist hier jedoch nicht die Hardware entscheidend, sondern die Anpassungsfähigkeit der Software. Dies haben wir in unserer neuen Ladesteuerung berücksichtigt, die seit April 2021 zur Verfügung steht: Sie ist Linux-basiert und bietet eine offene Plattform für eigene Anwendungen. Damit können unsere Kunden individuelle Anpassungen vornehmen und zusätzliche Funktionen entwickeln.

Pucker: Wir werden so den individuellen Anforderungen unserer Kunden gerecht – mit all ihren unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Das eigentliche Laden ist hier quasi nur die Standardfunktion – das müssen alle Lösungen beherrschen. Über unsere neue Linux-Plattform erhalten unsere Kunden jedoch Zugang zu den Informationen des gesamten Ladeprozesses, sodass sie auf dieser Basis eigene Softwarepakete und damit Mehrwerte entwickeln können. Das geht zum Beispiel so weit, dass auf dem Display während des Ladevorgangs Werbung geschaltet werden kann, die zentral von einem Server gesteuert wird.

Wesentlich beim Aufbau der Ladeinfrastruktur ist deren Integration in die Stromnetz- und Gebäudeinfrastruktur. Welche Lösungen bieten Sie dafür?

Heinemann: Als Teil der Phoenix-Contact-Gruppe profitieren wir von der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen, die sich mit der Netzautomatisierung und mit der Gebäudeautomatisierung beschäftigen. Sehr häufig sprechen wir hier über ein Schnittstellenthema – es geht also darum, wie der Ladecontroller mit dem übergeordneten System kommuniziert. Über die eben beschriebene offene Plattform können wir jeglichen Treiber integrieren, sodass die Kommunikation auch mit den spezifischen Protokollen der Energieautomatisierung möglich ist. Diese Flexibilität ist auch notwendig, denn bei den Stadtwerken und Netzbetreibern sind ganz unterschiedliche Lösungen für Leitsysteme im Einsatz, sodass auch unterschiedliche Kommunikationsprotokolle verwendet werden.

Thema Standardisierung. Was fehlt noch?

Pucker: Grundsätzlich benötigen wir für die Ladeinfrastruktur ein ähnliches System, wie wir es bei den erneuerbaren Energien mit dem Einspeisemanagement praktizieren. Das gibt es aber leider noch nicht. Daher stellen wir uns aktuell noch sehr breit auf, um alle Systeme anbinden zu können. Das gilt übrigens auch für die Schnittstellen zu den Gebäudeleitsystemen. Hier treffen wir häufig im Gebäudebestand auf eine ältere Infrastruktur mit bestehenden GLT- oder Energiemanagementsystemen. Daher sind wir sehr flexibel, was unsere Schnittstellen angeht. Das reicht von einfachen analogen und digitalen Schnittstellen bis hin zu neuen digitalen Cloud-Schnittstellen wie MQTT oder REST.

Bisher kommt vorwiegend das statische Lademanagement zum Einsatz, künftig sind eher dynamische Ladelösung gefragt. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?

Heinemann: Wir bieten beide Systeme an. Das statische Lademanagement sorgt dafür, dass zum Beispiel bei Firmenparkplätzen mit vielen Ladepunkten sichergestellt ist, dass die zur Verfügung stehende Energie und Leistung optimal, und wenn nötig auch mit unterschiedlichen Prioritäten verteilt wird. Das dynamische Lademanagement geht noch weiter. Hier entwickeln wir zusammen mit dem Start-up-Unternehmen Urban Energy eine Lösung, die beispielsweise Wetterprognosen mit Verbrauchsdaten einer Liegenschaft kombiniert und auf dieser Basis mittels KI-Methoden jeweils den optimalen Ladezeitpunkt und die optimale Ladeleistung ermittelt. Dabei kann der Nutzer aus unterschiedlichen Ladestrategien wählen: Ist ausreichend Zeit zum Laden und die Wetterprognose ergibt zum Beispiel für den Nachmittag eine hohe Eigenstromerzeugung über die PV-Anlage, dann wird der Ladevorgang in diesen Zeitraum gelegt. So lässt sich das Fahrzeug kostengünstig mit selbst erzeugtem Solarstrom laden. Ist dagegen ein schnelles Nachladen erforderlich, kann auf die Energie aus Speichern, aus einem BHKW oder wenn notwendig auch aus dem Stromnetz zurückgegriffen werden. Hier wird es künftig sehr interessante und ganzheitliche Systemlösungen geben, womit wir wieder bei unserer Vision der All Electric Society sind. Über eine smarte und intelligente Vernetzung der verschiedenen Sektoren werden wir künftig in der Lage sein, unseren gesamten Energiebedarf weitgehend mit erneuerbaren Energien zu decken. Phoenix Contact bietet dafür die notwendigen smarten und intelligenten Produkte und Lösungen.

Abschließend ein kurzer Ausblick: Wo steht die Elektromobilität im Jahr 2030?

Heinemann: Ich gehe davon aus, dass im Jahr 2030 die Mobilität zum großen Teil auf elektrischen Antriebskonzepten basiert. Dafür setzt die Politik auch die richtigen und notwendigen Anreize mit den entsprechenden Fördersystemen. Denn eines ist klar: Der heutige Standard der Verbrennungstechnologie konnte sich in einem Zeitraum von über 120 Jahren entwickeln. Man kann nicht erwarten, dass die Elektromobilität innerhalb von nur wenigen Jahren die gleiche Entwicklungsstufe erreicht. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sich die Elektromobilität in den nächsten 10 Jahren durchsetzen wird.

ew-Redaktion
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