
ew-Magazin Ausgabe 11-12/2019 - Titelthema: Digitalisierung
Gas ist sexy
Wenn sich die Politik einer Sprache mit erotischen Anleihen bedient, dann ist dies für viele zunächst sicher etwas befremdlich. So kam wohl auch manch einem Zuhörer Peter Altmaiers Wortwahl ungewöhnlich vor, als es darum ging, die Relevanz von Gas als Energieträger zu beschreiben: »Gas ist sexy«. Drei Worte. Einfach, klar, verständlich. Auch wenn die wenigsten beim Begriff »sexy« an die genannte Substanz denken, so geben die Realität und eine neutrale Betrachtungsweise dem Bundeswirtschaftsminister Recht: Gas ist für viele Nutzergruppen sehr attraktiv und aus dem künftigen Energiemix nicht wegzudenken. Das hat das BMWi nun öffentlich festgehalten, nachdem es sich zuvor im Rahmen des »Dialogprozesses Gas 2030« mit Vertretern aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft über die künftige Rolle gasförmiger Energieträger ausgetauscht und man gemeinsam die mittel- und langfristigen Nutzungsperspektiven erörtert hatte.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn das BMWi hat damit verdeutlicht, dass Gas ein zentraler Baustein einer sicheren Energieversorgung ist und erheblich zur Dekarbonisierung des Energiesystems, ergo zum Klimaschutz, beitragen kann. Das alles ist zu betrachten vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit und der künftigen Systemstabilität. Mit diesem Bekenntnis rückt die Regierung auch vom Energiekonzept aus dem Jahr 2010 ab, in dem Gas keine große Rolle gespielt hatte und man den Eindruck gewinnen konnte, man wolle die klimapolitischen Ziele in erster Linie durch Elektrifizierung in allen Sektoren erreichen. Nun ist ein erster großer Schritt getan. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass für unsere Branche noch viel Arbeit vor uns steht. Es gilt, die gefundenen Lösungsansätze mit Leben zu füllen. Dafür benötigen wir eine klare Roadmap zur Umsetzung einer Gasstrategie, um die zahlreichen Handlungsempfehlungen strukturiert abarbeiten zu können und diese durch entsprechende Gesetze zu manifestieren. Hier sollten Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft eng zusammenarbeiten.
Man kann dabei zunächst davon ausgehen, dass die Nachfrage nach Gas bis 2030 tendenziell zunehmen wird. Umso wichtiger ist es, Erdgas schrittweise durch CO2-neutrale Energieträger, allen voran Wasserstoff, zu ersetzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es zu begrüßen, dass sich die Bundesregierung derzeit auch einer gesonderten Wasserstoffstrategie widmet. Denn wo heute noch Erdgas fließt, könnten schon bald erneuerbare und dekarbonisierte Gase die gleiche Leistung erbringen. Mit der Substitution von Erdgas durch grünen oder blauen Wasserstoff sowie synthetisches Methan kann der Rohstoff in all seinen Facetten dazu beitragen, sozialverträgliche CO2-Minderungen sowohl im Wärmemarkt als auch bei der Industrie, der Stromerzeugung oder im Verkehrssektor zu erzielen.
Als VNG haben wir bereits einen starken Fokus auf den Bereich der grünen Gase gelegt und gehen aktuell wichtige Schritte im Aufbau eines Biogasportfolios, denn eines steht fest: Deren Erzeugung und Verwendung wird immer wichtiger. Um diese Transformation sinnvoll zu gestalten, ist auch die Politik in Deutschland und Europa gefordert, durch entsprechende Maßnahmen dazu beizutragen, die Nachfrage für grüne Gase zu generieren und einen Markt aufzubauen. Gleichzeitig wird die bestehende Gasinfrastruktur hierbei eine zentrale Rolle spielen, denn aufgrund ihrer Energiewendefähigkeit kann sie selbst zum strategischen Partner des Klimaschutzes werden. Es gilt, das bestehende Netz an die Integration erneuerbarer sowie dekarbonisierter Gase anzupassen und eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen. Wenn uns das perspektivisch gelingt, werden wir künftig sicher noch häufiger an Peter Altmaiers Worte denken.
Ulf Heitmüller, Vorsitzender des Vorstands, VNG AG, Leipzig
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