ew-Magazin Ausgabe 3/2020

Chancen einer integrierten Infrastrukturplanung

Der Entwurf des Szenariorahmens zum Netzentwicklungsplan 2021 (2035), der Anfang 2020 veröffentlicht wurde, trägt dieser Entwicklung Rechnung: Außer Verbräuchen aus dem Verkehrs- und Wärmesektor berücksichtigt er auch den Stromverbrauch von Digitalisierungsmaßnahmen und Prozessumstellungen in der Industrie. Insgesamt ist die für 2035 prognostizierte Nettostromnachfrage im Vergleich zum vorherigen Szenariorahmen von 549 TWh auf 582 bis 673 TWh gestiegen.

In welchem Ausmaß dieser Verbrauichanstieg zu zusätzlichem Infrastrukturbedarf führt, hängt sehr stark davon ab, wie lastnah Erzeuger angesiedelt sind, und ob Verbraucher durch Flexibilität ihre maximale Verbrauchsleistung senken können. Der aktuelle Szenariorahmen bezieht erstmalig das Kriterium der Netzorientierung mit ein. Dies umfasst die verstärkte Ansiedlung von Onshore-Windenergie und Photovoltaik nahe der Verbrauchszentren, die Regionalisierung von Power-to-Gas-Anlagen in der Nähe von Netzengpässen und einen entsprechenden Einsatz von Power-to-Gas-Anlagen für das Engpassmanagement. Dazu gehört auch die intelligente Steuerung von Haushaltswärmepumpen und Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, die eine zu hohe Gleichzeitigkeit bei der Ladelast vermeidet.

Der Szenariorahmen steht also der Herausforderung, eine Prognose für den gesamten Energieverbrauch in einem integrierten Energiesystem zu treffen. Hierfür muss beispielsweise abgeschätzt werden, in welchem Verhältnis der Verkehrssektor künftig auf Strom und synthetische Brennstoffe setzt und inwieweit eine Elektrifizierung bei der Heizleistung stattfindet. Außerdem müssen Annahmen getroffen werden, ob die Industrie künftig benötigten Wasserstoff vor Ort mit Strom aus erneuerbarer Energie selbst herstellt oder diesen über separate Wasserstoffinfrastruktur erhält. Das sind sehr grundlegende und komplexe Fragen, die die Zukunft des Energiesystems insgesamt beeinflussen werden.

Um den Diskussionen über wichtige Weichenstellungen zur Weiterentwicklung der Energiewende ausreichend Raum zu geben, empfiehlt die Deutsche Energieagentur, einen sektorenübergreifenden Systementwicklungsplan zu etablieren. Er stellt einen neuen, separaten Prozess dar, der den bestehenden Netzplanungsprozessen Strom und Gas vorgelagert ist, um diese nicht zu überfrachten. Die Chance liegt vor allem darin, dass – im Vergleich zu den Konsultationen zum Szenariorahmen, an denen vorwiegend Stromnetzexperten beteiligt sind – eine größere Vielfalt von Akteuren in die Planung einbezogen werden kann. So könnte die Akzeptanz gegenüber den prognostizierten Zielwerten steigen und eine gemeinsame Grundlage für alle energieverbrauchenden Sektoren geschaffen werden. Ähnliche Wege haben beispielweise Dänemark mit der mehrjährigen Programmplanung eingeschlagen.

Die Weiterentwicklung des Szenariorahmens ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Um jedoch die Potenziale einer integrierten Energiewende wirklich heben und die Klimaschutzziele erreichen zu können, empfiehlt sich langfristig, die bestehenden Prozesse durch einen Systementwicklungsplan zu ergänzen.

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