
ew-Magazin Ausgabe 7-8/2019 mit dem Titelthema Smart Grid
Standpunkt | ew-Magazin Ausgabe 7-8
Funktionseinheiten als Schlüssel für eine höhere Versorgungssicherheit
Die Stromversorgung in Deutschland gehört zu den sichersten der Welt. Doch dies ist alles andere als selbstverständlich. Das Bewahren des Status quo ist ein dynamischer Prozess, der ständig neue Investitionen und Innovationen erfordert – mit dem Ziel: damit alles so sicher bleibt, wie es ist.
Doch das reicht nicht! Die Bundesregierung will das bereits sehr niedrige Ausfallrisiko weiter verringern. Das erfordern neu aufkommende Industrien und Anwendungen – zum Beispiel das autonome Fahren in Elektrofahrzeugen. Auch wenn viele dies noch als Zukunftsvision betrachten, bei den Autoherstellern ist das längst Realität und der sukzessive Markteintritt steht bevor. Damit wachsen die Sektoren Mobilität und Internet zusammen. Eine 99,85-prozentige Ausfallsicherheit in der Stromversorgung reicht dann nicht mehr aus. Beide Industriesektoren sind von einer 100-prozentigen Stromversorgung abhängig. Ein Stromausfall hätte verheerende Folgen.
Wartungsstrategien auf den Prüfstand
Wenn Netzbetreiber hier morgen mithalten wollen, müssen sie – wie die Autoindustrie – heute die richtigen Weichen stellen. Alles, was gestern noch für eine ausreichende Sicherheit im Netz gesorgt hat, muss heute auf den Prüfstand, um für die Anforderungen von morgen gerüstet zu sein. Dies betrifft nicht nur die Technik in Schaltanlagen und Netzen, sondern auch die Wartungsstrategien, denn viele dieser Strategien sind von vorgestern. Als Hersteller von Mess- und Prüftechnik werden wir viel zu häufig damit konfrontiert, dass nach wie vor nur das Nötigste getan wird. Es ist unbestritten, dass hoch spezialisiertes Prüfpersonal Geld kostet – und auch die erforderliche Prüftechnik. Hinzu kommen die Kosten für die Ausfallzeiten der Schaltanlagen. Doch längst gibt es Lösungen, um diese Kosten auf ein Minimum zu reduzieren. Dafür ist jedoch eine engere Kooperation zwischen Netzbetreiber, Erstausrüster und Hersteller von Mess- und Prüftechnik erforderlich. Nur zusammen können wir die notwendige Funktionseinheit bilden, um nicht nur den Status quo der Versorgungssicherheit zu bewahren, sondern diese auch entsprechend den neuen Anforderungen weiter zu erhöhen.
Schaltanlagen als Funktionseinheit
Der Begriff Funktionseinheit könnte der Schlüssel zu einer 100-prozentigen Versorgungssicherheit sein. Denn Funktionseinheiten gibt es auch in Kraftwerken und Schaltanlagen. Zum Beispiel bilden Wandler, Schutz und Leistungsschalter die Funktionseinheit Betriebsmittelschutz. Im Fehlerfall kommt es nämlich auf die Gesamtabschaltzeit an. Diese setzt sich zusammen aus den Eigenzeiten von Schutztechnik und Leistungsschalter. Es bietet sich also an, die Funktionseinheit Betriebsmittelschutz in nur einem Arbeitsgang, von nur einem Prüftechniker und mit nur einem Multiprüfgerät zu prüfen. Dies ist heute bereits technisch möglich, wird jedoch nur selten umgesetzt. Noch immer prüft je ein Spezialist für Wandler, einer für Schutz und einer für Leistungsschalter mit jeweils einem spezialisierten Prüfgerät. Jede dieser Prüfungen erfordert eine langwierige und personalintensive Freischaltung.
Zusammenarbeit aller Beteiligten
Mit der Prüfung von Funktionseinheiten würden Netzbetreiber in minimalen Freischaltzeiten maximale Information erhalten – ein Gewinn für die Versorgungssicherheit und für das verfügbare Budget, das sich schließlich auch gewinnbringend in die Modernisierung der Betriebsmittel und Funktionseinheiten investieren lässt. All dies kann heute bereits Realität sein – zumindest bei einer effizienten Zusammenarbeit aller Beteiligten, mit dem einzigen Ziel: ausfallsichere Energienetze.
Peter Wienhold, Vertriebsleiter Schaltanlagenprüftechnik, Megger GmbH, Oberursel