ew-Magazin Ausgabe 9/2020

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An den Begriff Disruption haben wir uns seit dem Entstehen der Internet-Ökonomie gewöhnt, und ohne Zweifel ist die Entwicklung erneuerbarer Energien eine solche. 2020 hat uns gelehrt, dass Veränderungen noch viel schneller und unerwarteter stattfinden können. Die Covid-19-Pandemie hat Verhaltensänderungen in vorher kaum vorstellbarer Geschwindigkeit ausgelöst. Auch die elektrische Energieversorgung war davon betroffen: Zum einen mussten Versorger (und ihre Zulieferer) den Betrieb aufrechterhalten, während mit dem plötzlichen, krankheitsbedingten Ausfall großer Belegschaftsteile gerechnet werden musste. Zum anderen hat der abrupte Rückgang der elektrischen Last – in einigen Ländern Europas um bis zu 30 % – verbunden mit einer förderlichen Wetterlage für erneuerbare Energien zu Anteilen variabler Erzeugung gesorgt, die eigentlich erst in 5 bis 10 Jahren erwartet wurden. Das war ein Sprung in die Zukunft – und zwar ohne Vorbereitungszeit. Inzwischen wissen wir, dass diese Situation gut gemeistert wurde. Wir wissen aber auch, dass dazu viele Entscheidungen und Maßnahmen erforderlich waren, auf die man künftig besser vorbereitet sein sollte.

Die Pandemie bietet deshalb neben vielen Herausforderungen auch die Chance, diese Erkenntnisse zu nutzen. Klar ist: Flexibilität und Resilienz gewinnen in Zeiten unerwarteter Veränderungen an Bedeutung! Eine Gelegenheit zur weiteren Vertiefung und Überführung in praktische Konsequenzen sind die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kopernikus- Projekte, die sich nun in ihrer zweiten Phase befinden. Ensure ist in diesem Programm das Netzprojekt, in dessen Mittelpunkt zwei Handlungsfelder stehen: Digitalisierung des Netzbetriebs und Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten durch neue Betriebsmittel, vor allem auf der Basis von Leistungselektronik. Beides trägt zur Flexibilisierung und Erhöhung der Reaktionsfähigkeit bei: Digitalisierung, indem Entscheidungen auf Basis von mehr Informationen und in einem zunehmend komplexen Umfeld schnell getroffen werden können, und neue Betriebsmittel, weil sie eine schnellere und genauere Betriebsführung mit mehr Freiheitsgraden ermöglichen.

Flexibilität beschränkt sich nicht auf die Systeme der Energieversorgung. Auch Wirtschaftsunternehmen müssen sich immer wieder infrage stellen und anpassen. ABB hat deshalb seine Stromnetzsparte in ein Joint Venture eingebracht: Hitachi ABB Power Grids ging am 1. Juli an den Start und verkörpert gleichermaßen Kontinuität und Wandel: Kontinuität, weil das Joint Venture seine Arbeit in der bisherigen Struktur – also unter anderem mit Sitz in Zürich – und mit den bekannten Personen fortsetzt, und Wandel, weil es nun bei Hitachi in einer Umgebung ist, die auch in der Stromerzeugung engagiert ist, die die Digitalisierung seit vielen Jahren vorantreibt und die regelmäßig Großprojekte durchführt. All dies sind Fähigkeiten, die bei der Bewältigung der großen Transformation benötigt werden, in der sich die elektrische Energieversorgung befindet.

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Prof. Dr. Jochen Kreusel, Global Head of Market Innovation, Hitachi ABB Power Grids