Auslegung des Anlagenbegriffs i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG

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Leitsätze

1. NV: Bei der funktionsbezogenen Auslegung des Anlagenbegriffs ist auf die Gesamtheit der technischen Einrichtungen und auf den Funktionszusammenhang abzustellen (Festhalten an den Senatsurteilen jeweils vom 23.06.2009 - VII R 34/08, BFH/NV 2009, 1673, und VII R 42/08, BFHE 225, 476).

2. NV: Der Betrieb verschiedener Motorgeneratoren mit unterschiedlichen Energieerzeugnissen (im Streitfall Rohbiogas und Erdgas) steht der Annahme einer einzigen Anlage nicht entgegen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 21.08.2019 - 4 K 231/16 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wendet sich gegen die Nachbesteuerung von Strom für das Kalenderjahr 2013 aufgrund der rechtlichen Verklammerung von vier Kraft-Wärme-Kopplung-Gasmotoren zu einer Stromerzeugungsanlage.

2 Als Stadtwerke belieferte die Klägerin im Kalenderjahr 2013 Abnahmestellen in ihrem Stadtgebiet mit Strom, Gas und Wärme, wobei sie über eine entsprechende stromsteuerrechtliche Erlaubnis zur Versorgung von Letztverbrauchern verfügte. Zur Strom- und Wärmeerzeugung betreibt sie in einer Halle in Kraft-Wärme- Kopplung (KWK) seit 1991 zwei mit Erdgas betriebene Motorgeneratoren sowie seit Ende 2011 zusätzlich zwei mit Rohbiogas betriebene Motorgeneratoren.

3 Bei der Installation der Rohbiogasmotoren wurde die bestehende Infrastruktur der ausgemusterten Erdgasmotoren teilweise weitergenutzt, das betraf z.B. die Abgasleitung zum Schornstein, Stromkabel, die Netzkopplung und Teile des Heizwasserkreislaufs. Neu installiert wurden sämtliche Zähler, der Motor, die Wärmetauscher, in 2013 die komplette Gaszuleitung, die Schalldämpfer und Katalysatoren und die Steuerungsschränke, die Kommunikationsanlage der Biogaserzeugungsanlage mit den Biogasmotoren, die Pumpen und Teile der Verrohrung unter den Motoren.

4 Die Rohbiogasmotoren verfügten im Streitjahr über eine elektrische Nennleistung von jeweils 882 kW. Das Rohbiogas wurde mittels einer Direktleitung ohne Verbindung zum unternehmenseigenen Erdgasnetz von der Rohbiogaserzeugung zugeführt. Nur das dort erzeugte Rohbiogas konnte in den Rohbiogasmotoren verbrannt werden. Zwischen der Rohbiogasproduktion und den Motoren befand sich ein als Puffer ausgelegter Biogasspeicher, wodurch die beiden Rohbiogasmotoren bei einem Ausfall der Rohbiogasproduktion ca. vier Stunden bei voller Leistung weiterlaufen konnten. Weil sich in dem Speicherbehälter z.B. auch schwankende Bestände von Gärresten befanden, war die gespeicherte Biogasmenge nicht konstant.

5 Soweit ausreichend Rohbiogas als Brennstoff verfügbar war, liefen die Motoren im Streitjahr nahezu durchgängig mit der höchstmöglichen Leistung und modulierten dabei zwischen 75 % und 100 % ihrer Nennleistung (druckgesteuerter Betrieb). Der erzeugte Strom wurde je Motor gemessen und über die Sammelschiene in das Mittelspannungsnetz (10 kV) der Klägerin eingespeist, das ausschließlich auf das Stadtgebiet begrenzt war. Dieser Strom wurde im angrenzenden Stadtgebiet verbraucht. Die neben dem Strom erzeugte Wärme wurde einzeln je Motor gemessen, über jeweils ausschließlich dem einzelnen Rohbiogasmotor dienende Wärmetauscher entnommen und an das Fernwärmenetz der Klägerin abgegeben. Aufgrund der Druckführung verfügten die Rohbiogasmotoren über einen Bypass, der eine Auskopplung des Abgasstroms aus den Wärmetauschern ermöglichte, sowie über eine Notfackel, mittels derer Gas hätte abgebrannt werden können.

6 In der gleichen Halle betrieb die Klägerin seit 1991 zwei Erdgasmotoren mit einer elektrischen Nennleistung von jeweils 1,2 MW. In beiden Motoren wurde im Streitjahr Erdgas aus dem allgemeinen Versorgungsnetz zur Erzeugung von Wärme und Strom verwendet. Die Erdgasmotoren kamen zur Abdeckung eines über die Leistung der Rohbiogasmotoren hinausgehenden Wärmebedarfs zum Einsatz (wärmegeführter Betrieb). Der erzeugte Strom wurde je Motor gemessen und über die Sammelschiene in das Mittelspannungsnetz der Klägerin eingespeist. Die erzeugte Wärme wurde jeweils gemessen und über ausschließlich dem jeweiligen Erdgasmotor dienende Wärmetauscher an das unternehmenseigene Fernwärmenetz übertragen.

7 Die vier streitgegenständlichen Motoren verfügten jeweils über eigene Steuerungsschränke, Stromzähler, Wärmemengenzähler, Schalldämpfer und Katalysatoren. Die Abgase der vier Motoren wurden jeweils separat pro Motor durch ein eigenes Rohr – in einem gemeinsamen Schornstein – abgeleitet.

8 Die erzeugte Wärme wurde über ein gemeinsames Leitungssystem in fünf in der Nähe der Halle gelegenen Wärmespeichertanks gespeichert. Dabei vermischten sich die Wärmemengen der Erdgas- und der Rohbiogasmotoren, bevor sie von Spitzenlastkesseln im Heizwerk, das sich in einem angrenzenden Gebäude bendet, je nach Fernwärmebedarf weiter erhitzt oder direkt in das Fernwärmenetz eingespeist wurden. Hinter der Heizkesselanlage befand sich ein weiterer Wärmemengenzähler. Die Spitzenlastheizkessel waren so ausgelegt, dass sie auch ohne den Betrieb der Rohbiogasmotoren und der Erdgasmotoren den gesamten Wärmebedarf des Fernwärmenetzes durch Verheizen von Erdgas hätten bedienen können.

9 Die Wärmeleistung der beiden Rohbiogasmotoren reichte nicht aus, um das Fernwärmenetz der Klägerin stets mit ausreichender Wärme zu versorgen. Bei höherem Wärmebedarf wurden im Heizwerks und kumulativ oder alternativ die beiden Erdgasmotoren betrieben. 10 Die vier Motoren waren unabhängig voneinander (parallel) geschaltet und wurden individuell betrieben. Die Energiemengen wurden pro Motor gemessen und dokumentiert. Die Motoren konnten jeweils einzeln angesteuert werden, entweder direkt an den Motoren oder über das unternehmenseigene Leitsystem. Es gab keine vollautomatischen Interdependenzen zwischen den Rohbiogas- und den Erdgasmotoren hinsichtlich der Strom- oder Wärmeerzeugung. Ob die Spitzenlastkessel oder die Erdgasmotoren in Betrieb genommen wurden, richtete sich nach dem betriebsinternen Fahrplanmanagement. Dieses war mit dem Übertragungsnetzbetreiber abgestimmt, um die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Es sah vor, dass die Rohbiogasmotoren druckgeführt möglichst durchgängig laufen sollten, um Strom und Wärme zu erzeugen. Wenn das Wärmeniveau in dem Fernwärmenetz lastbedingt absank, sprangen grundsätzlich zunächst die Spitzenlastheizkessel an. Wenn das Fahrplanmanagement dies vorsah, wurden manuell in der Netzleitstelle zusätzlich zu den Spitzenlastheizkesseln die Erdgasmotoren eingeschaltet. Ein reiner Kesselbetrieb sollte wegen der besseren Wirkungsgrade der Erdgasmotoren so gering wie möglich gehalten werden. Deshalb aktivierte die Klägerin bei besonderem Wärmebedarf möglichst auch die Erdgasmotoren. Das genaue Austarieren der Wärmeleistung erfolgte mittels der Spitzenlastkessel, weil diese aus technischer Sicht hierzu besser geeignet sind. Die Kessel weisen kürzere Start-/Stopplaufzeiten auf als die Erdgasmotoren, deren Leistung zudem nicht modulierbar ist. Die Wirtschaftlichkeit des Betriebs der Motoren und der Heizkessel richtete sich auch nach der schwankenden Strommarktsituation. Die Erdgasmotoren und die Heizkessel konnten hinsichtlich ihrer jeweiligen Wärmeleistung aufeinander abgestimmt werden, die Rohbiogasmotoren nicht. An kalten Wintertagen reichte die Wärmeleistung der Erdgasmotoren und der Rohbiogasmotoren auch bei gleichzeitigem Betrieb nicht aus, so dass regelmäßig die Heizkesselanlage parallel lief.

11 Die Rohbiogasmotoren wiesen im Streitjahr ca. 7 700 Vollbenutzungsstunden auf, die Erdgasmotoren lediglich ca. 800 Vollbenutzungsstunden. Bei rechnerisch 8 760 Stunden im Jahr liefen die Rohbiogasmotoren damit zu 88 % des Jahres unter Volllast, was unter Berücksichtigung von Wartungszeiten oder sonstigen Nichtbenutzungszeiten im Ergebnis einem Dauerbetrieb entsprach, während die Erdgasmotoren lediglich zu 9 % des Jahres liefen.

12 Für das Kalenderjahr 2013 meldete die Klägerin die aus den zwei Rohbiogasmotoren entnommene Strommenge in Höhe von […] MWh als stromsteuerbefreit nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 des Stromsteuergesetzes in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung (StromStG) an. Die verwendeten Rohbiogasmengen versteuerte die Klägerin gemäß § 28 des Energiesteuergesetzes nicht.

13 Im Rahmen einer Außenprüfung gelangte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt –HZA–) zu der Auffassung, dass die vier Motoren als eine Anlage zu behandeln seien, und setzte deshalb mit Steuerbescheid vom 30.06.2015 für die im Kalenderjahr 2013 bei der Klägerin entnommene Strommenge Stromsteuer in Höhe von […] € fest.

14 Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die beiden Rohbiogasmotoren nicht mit den beiden Erdgasmotoren zu einer Anlage i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG verklammert werden könnten. Es handele sich bei jedem der streitgegenständlichen KWK-Motoren um jeweils eine Stromerzeugungseinheit. Es liege keine Anlage in Modulbauweise i.S. des § 12b Abs. 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (Stromsteuer-Durchführungsverordnung –StromStV–) vor, weil sich die verschiedenen Motoren in Technik und Funktion unterschieden und deshalb nicht austauschbar seien. Es liege weder eine zentrale Steuerung noch ein einheitliches automatisiertes Motormanagement vor. Die Motoren seien wegen der unterschiedlichen technischen Eigenschaften auch nicht unmittelbar miteinander verbunden (§ 12b Abs. 1 Satz 1 StromStV). Nicht entscheidend sei, dass sämtliche Stromerzeugungseinheiten in dasselbe Mittelspannungsnetz der Klägerin einspeisten.

15 Hiergegen richtet sich die Revision des HZA. Es ist der Ansicht, dass es sich bei den von der Klägerin in einer Halle betriebenen vier KWK-Anlagen um eine Anlage i.S. von § 12b Abs. 1 StromStV handele. Bei einer »Verklammerung « der vier KWK-Anlagen betrage die elektrische Nennleistung deutlich mehr als zwei MW, weshalb eine Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG ausscheide. Dass die Motoren mit unterschiedlichen Brennstoffen betrieben würden, sei ohne Belang, weil § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG hinsichtlich der Stromerzeugung nicht nach den Brennstoffen unterscheide. Es sei auch nicht erforderlich, dass bei einer Modulbauweise alle Stromerzeugungseinheiten technisch identisch seien und in gleicher Fahrweise betrieben würden. Entscheidend sei, dass die Module einer KWK-Anlage an einem Standort – wie im Streitfall – der Versorgung eines bestimmten Gebiets mit Strom und Fernwärme dienten. Sie müssten nicht gleich sein, jedoch sinnvoll aufeinander abgestimmt eine gemeinsame technische Einheit bilden. Die vier KWK-Anlagen bildeten insbesondere deshalb eine Einheit, weil sie sich in einem Objekt befänden und die entnommenen Wärmemengen über ein gemeinsames Leitungssystem abgeleitet würden. Für die Versorgung der Kunden mit Wärme und Strom sei jedes Anlagenteil erforderlich.

16 Das HZA beantragt, den Gerichtsbescheid des FG Hamburg vom 21.08.2019 - 4 K 231/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

17 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

18 Die Klägerin schließt sich den Ausführungen des FG an. Das FG habe den Sachverhalt umfassend und zutreffend ermittelt. Unter Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung habe es die maßgeblichen Unterschiede der Anlagen bezüglich der eingesetzten Brennstoffe, der technischen Eigenschaften und der Funktion bzw. des Betriebs herausgearbeitet. Letztlich stütze sich das HZA zu Unrecht allein auf die räumliche Anordnung der Anlagen in einem gemeinsamen Gebäude.

Entscheidungsgründe

...

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StE-Redaktion

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