Ende April hat Russland die Gaslieferungen nach Polen eingestellt. Das Land hat sich aber rechtzeitig darauf vorbereitet

Ende April hat Russland die Gaslieferungen nach Polen eingestellt. Das Land hat sich aber rechtzeitig darauf vorbereitet (Quelle: Adobe Stock)

Der Stopp russischer Gaslieferungen an Polen und Bulgarien hat Regierungen und Gasmarktteilnehmern in Europa nochmals eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, schnell reagieren zu können für den Fall, dass Russland die Versorgung mit Gas einstellt.

Der Notfallplan Gas ist nicht erst im Zuge des Kriegs in der Ukraine entstanden. Vielmehr beruht er auf der Gassicherheitsverordnung der EU von 2017. Komplettiert wird das rechtliche Fundament zur Stabilisierung und Gewährleistung der Energiesicherheit in Deutschland durch das Energiesicherheitsgesetz (EnSiG) sowie die Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise. Allerdings beruhen die Energiesicherheitsbestimmungen hierzulande wie in vielen Ländern der EU auf den Erfahrungen der Energiekrise in den 1970er Jahren.

Das EnSiG soll daher nun an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Einen entsprechenden Referentenentwurf hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima jüngst vorgelegt. Die Formulierungshilfe zur Änderung des Energiesicherheitsgesetzes vom 25.04.2022 berücksichtigt die veränderten Rahmenbedingungen für die Gasversorgung in Europa.

Neue Handlungsoptionen

Im Kern werden in dem Entwurf die Handlungsoptionen schärfer gefasst und der Maßnahmenkatalog ausgeweitet:

Zunächst ist die Errichtung einer digitalen Plattform für Erdgas vorgesehen. Auf dieser müssen sich neben Gashändlern auch große Industriebetriebe registrieren und verschiedene Angaben machen, z.B. zu ihrem Gasbezug und Gasverbrauch. Dadurch soll eine effektive Gaslastverteilung auf digitalem Wege gewährleistet werden. Daneben sollen die Handlungsmöglichkeiten ausgeweitet werden, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat in eine Energiekrise gerät und Deutschland um Unterstützung nach der EU-Erdgas-Versorgungssicherheits-Verordnung bittet.

Neu vorgesehen ist die Möglichkeit einer Treuhandverwaltung durch den Bund. Diese soll vor einer möglichen Enteignung zulässig sein und erweitert damit den bestehenden Maßnahmenkatalog.

War die kürzliche Anordnung der treuhändischen Verwaltung der Gazprom Germania GmbH noch auf Regelungen des Außenwirtschaftsrechts gestützt, soll das BMWK künftig eine solche Anordnung auch nach dem Energiesicherheitsgesetz vornehmen können. Ein vorheriges Inkrafttreten der Alarm- oder Notfallstufe ist nach derzeitigem Stand des Entwurfes nicht notwendig. Vielmehr besteht diese Möglichkeit der Treuhandverwaltung schon im Vorfeld, sofern eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht.

Die Regelungen zur Enteignung werden ebenfalls klarer gefasst. So umfasst die Enteignung nach Vorstellung des Entwurfs Unternehmensanteile an den betroffenen Gesellschaften. Gleichzeitig ist die Enteignung als ultima ratio vorgesehen, wenn eine Treuhandverwaltung nicht ausreicht, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Entsprechend den üblichen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen wird die Höhe der Entschädigung aufgrund des Verkehrswertes bemessen.

Sofern Gaslieferungen aus einem Drittstaat nach Deutschland ausbleiben oder drastisch gekürzt werden, können Unternehmen die Preise auf ein angemessenes Niveau anheben. Den Kunden wird im Gegenzug ein außerordentliches Kündigungsrecht eingeräumt. Die gasimportierenden Unternehmen sollen so ihre Verträge weiterhin erfüllen können; finanzielle Schieflagen und Insolvenzen sollen vermieden werden. Voraussetzung ist, dass zuvor die Alarm- und Notfallstufe ausgerufen worden ist.

Um die Energieversorgung generell aufrecht zu erhalten, müssen geplante Stilllegungen von Gasspeicheranlagen von der BNetzA genehmigt werden. Auch werden Voraussetzungen geschaffen, die den Einsatz kritischer Komponenten in den Anlagen untersagen können. Dies können z.B. IT-Produkte sein, bei denen Störungen die kritische Infrastruktur beeinträchtigen oder die öffentliche Sicherheit gefährden können.

Aufbau von Alternativen

Alle der vorgesehenen Maßnahmen sind allerdings nur zum Notfallmanagement geeignet. Um zukünftige Notfälle in der Energieversorgung zu verhindern, ist es geboten, langfristig Alternativen zu russischem Gas aufzubauen. Hierzu bedarf es einer breit angelegten Strategie, zu der auch Flüssiggas (LNG) gehört. Derzeit hat Deutschland noch kein Flüssiggasterminal; das anvisierte Terminal in Wilhelmshaven steht noch in der Planung. Bisweilen käme eine Einfuhr von LNG nur aus anderen EU-Mitgliedstaaten in Frage, z.B. den Niederlanden, aber auch aus Polen.

Zudem gehört Wasserstoff, insbesondere jener auf Basis erneuerbarer Energien zu den möglichen Alternativen. Um grünen Wasserstoff in größeren Volumen herstellen zu können, bedarf es jedoch noch engagierterer Investitionen in erneuerbare Energien. Hier leistet das Osterpaket der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag, dem eine rasche Umsetzung der darin angekündigten Maßnahmen folgen sollte. Immerhin beschleunigt die aktuelle Situation die Entwicklung.

Ausblick

Der Entwurf zur Änderung des EnSiG vom 25.04.2022 ist bisher nur als Formulierungshilfe gefasst. Er wurde bereits im Ausschuss des Bundestages für Klimaschutz und Energie diskutiert und zur ersten Lesung am 12.05.2022 im Plenum des Bundestages eingebracht. Aufgrund der aktuellen Dynamik im Energiebereich ist mit einer zügigen Beratung und schnellen Verabschiedung der neuen Regelungen zu rechnen.

S. Goldberg, Partnerin bei Herbert Smith Freehills in London und Düsseldorf
herbertsmithfreehills.com

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