Verdi-Chef Frank Bsirske rief für den Klimaschutz alle Arbeitnehmer auf, sich an den Demos von „Fridays for Future“ zu beteiligen

Verdi-Chef Frank Bsirske rief für den Klimaschutz alle Arbeitnehmer auf, sich an den Demos von „Fridays for Future“ zu beteiligen (Bildquelle: pixabay - geralt)

Andere politische Themen und Herausforderungen, egal ob national, europäisch oder global, scheinen von der Angst vor dem Klimawandel in den Hintergrund gedrängt zu werden. Die Vorschläge, im Klimaschutz sichtbar voran zu kommen, überschlagen sich: CO2-Besteuerung, Flug- und Fleischverzicht, Böllerverbot, Grundgesetzänderung, Beugehaft für Politiker in Baden-Württemberg, um ein flächendeckendes Fahrverbot für Euro-5-Diesel durchzusetzen. Besonders bizarr wird es, wenn Verdi-Chef Frank Bsirske alle Arbeitnehmer dazu aufruft, sich an den Demos von „Fridays for Future“ zu beteiligen und damit das Land mal eben kurz lahmzulegen.

Die große Koalition muss dringend liefern

Christoph Schmidt, der Chef der Wirtschaftsweisen sagt: „die Chancen, ein Preissignal für den CO2-Ausstoß umzusetzen, waren noch nie so groß wie jetzt“. Aber wie geht die große Koalition mit dem aktuellen Topthema Klimaschutz um? Sie streitet auch hier und hat eine weichenstellende Sitzung des Klimakabinetts auf September verschoben. Ist das Taktik aus Angst, die Bürger vor den Landtagswahlen mit der harten Realität konfrontieren zu müssen, dass wirksamer Klimaschutz zum Erreichen der selbst gesetzten Ziele nicht zum Nulltarif zu haben sein wird? Oder ist das Thema tatsächlich so komplex, dass ein sorgfältig erarbeitetes Klimagesetz einfach mehr Zeit braucht? Die SPD ist für eine CO2-Besteuerung für Verkehr und den Wärmebereich und will im Gegenzug die Stromsteuer reduzieren. Die CDU setzt eher auf eine europäische Lösung mit dem Instrument des Emissionshandels und spricht neuerdings von einer „grünen Null“. Sie verweist zudem auf die unterschiedliche Ausgangslage in der Stadt und auf dem Land und fordert eine Pendlerpauschale. Dass der bayerische Ministerpräsident plötzlich ergrünt, verwundert vor dem Hintergrund des Höhenfluges der Grünen nicht wirklich. Ein aktuelles Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hält eine CO2-Besteuerung für verfassungswidrig. Das macht die Lage nicht einfacher.

Und was denkt der Bürger? 68 Prozent der Deutschen sagen laut einer Umfrage, es werde zu wenig für den Klimaschutz getan. Gleichzeitig sind 61 Prozent gegen eine Steuer und Verbote. Nach breiter Akzeptanz klingt das im Unterschied zu der Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht, die in der Tendenz nicht selten mehr Meinung als Information liefern. Fest steht, dass Deutschland nationale und internationale Klimaschutzziele formuliert hat, die nur mit größeren und für den Bürger spürbaren Anstrengungen zu erreichen sind. Bislang reißt Deutschland diese Ziele. Trotz massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien ist das Ergebnis ernüchternd und die Energiewende kaum vorangekommen. Der erhebliche Stau im Leitungsausbau, die Klagewelle gegen neue Windenergieanlagen, Zukunftsängste der Menschen in den Kohleregionen und im ländlichen Raum, schleichende Desinvestitionen der Industrie am Standort Deutschland – das alles lässt sich nicht mit Fördergeldern zudecken, nicht mit blumigen Allgemeinplätzen und auch sicherlich nicht mit einer Verbotsmentalität, die die Bürger eher abschreckt als mitnimmt bei diesem Gemeinschaftsprojekt.

Was ist die Konsequenz – Resignation und Stillstand? Sicherlich nicht! Die Große Koalition – von der wir heute nicht wissen, ob sie Weihnachten noch bestehen wird – muss dringend liefern. Wenn Deutschland wirklich Vorbild sein will für ein Industrieland, das die Transformation zu einer klimaverträglichen und ökonomisch sowie sozial verantwortlich handelnden Wirtschaft schafft, muss noch an vielen Schrauben gedreht werden. Bisher haben wir für das einzigartige Projekt, als führendes Industrieland gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle auszusteigen, keine überzeugenden Lösungen geliefert, dem andere Länder, in Europa beginnend, folgen wollen. Ralf Fücks vom „Zentrum liberale Moderne“ formuliert, dass weder eine Blockwartmentalität noch Flugverbote bei der Bewältigung der Klimaherausforderungen helfen würden. Notwendig seien neue, innovative Technologien und europäische bzw. globale Lösungen statt nationaler Schritte.

Komplexe politische Themen mit Gestaltungskraft angehen

In Zeiten von Social Media, fake news und Alarmismus ist eines von besonderer Bedeutung und zugleich offenbar so schwierig: Streitkultur leben. Udo Di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter, formulierte hierzu: „eine Streitkultur ist eine, die den Streit liebt und dabei den anderen weiter achtet. Wir müssen nach dem Ball treten und nicht nach dem Mann.“ Neben dem Klimawandel gibt es aktuell eine Vielzahl gravierender politischer Entwicklungen, national, europäisch und erst recht global, die keinesfalls ausgeblendet werden dürfen. Hierzu gehören Handels- und Währungsstreitigkeiten, die Kündigung des Atomvertrages mit dem Iran, der Brexit, offene Flüchtlingsfragen, das Erstarken nationaler rechter Kräfte in Europa und gefährliche Populisten an politischen Schalthebeln. Das ist wahrlich eine besorgniserregende Aufzählung. Diese Herausforderungen sind zu groß, um primär parteipolitisch oder auch nur national gedacht zu werden.  Sichtbar und glaubwürdig Verantwortung übernehmen, für etwas stehen und gleichzeitig die Gesellschaft zusammenzuhalten – das ist gefragt bei den politischen Entscheidungen zum Klimaschutz, der Energiewende und den beschriebenen komplexen politischen Problemstellungen.

Martin Kneer

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