Abb. 1: Gasversorgung der Zukunft: Gasflüsse 2030 mit Nord Stream 2-Pipeline (Referenzfall)

Abb. 1: Gasversorgung der Zukunft: Gasflüsse 2030 mit Nord Stream 2-Pipeline (Referenzfall) (Bildquelle: Energiewirtschaftliches Institut (EWI) an der Universität zu Köln)

Am 31.12.2019 einigten sich das russische Unternehmen Gazprom sowie das ukrainische Unternehmen Naftogaz, quasi in letzter Sekunde, auf einen neuen Vertrag für den Transit russischer Gasmengen durch das Ukrainische Gastransportsystem (UGTS) nach Europa. Der Vertrag sieht vor, dass im Jahr 2020 mindestens 65 Mrd. m3 sowie zwischen 2021 und 2024 mindestens 40 Mrd. m3/Jahr an russischem Erdgas durch das ukrainische Leitungssystem gen Europa strömen. Ab 2025 sind nach aktuellem Stand keine weiteren Transitmengen kontrahiert.

Die vorliegende Analyse untersucht den ökonomischen Effekt von Nord Stream 2 auf den europäischen Gasmarkt im Allgemeinen und auf das UGTS im Speziellen. Es wird angenommen, dass aufgrund sinkender heimischer Produktion, sowie einem steigenden Bedarf nach Erdgas insbesondere im Stromsektor (aufgrund Atom- & Kohleausstieg), der Importbedarf mittelfristig ansteigt.

Modellierung der europäischen Gasversorgung mit dem TIGER-Modell

Zur Bestimmung der kostenoptimalen Erdgasversorgung der EU-27+ [1] wird eine numerische Simulation der europäischen Gasinfrastruktur mit dem linearen Optimierungsmodell TIGER durchgeführt [2]. Das Gastransportmodell TIGER wurde am EWI entwickelt und optimiert die europäische Gasbereitstellung unter einem gesamtkostenminimierenden Ansatz [3].

Im Modell werden die wesentlichen europäischen Transportinfrastrukturelemente abgebildet (Hochdruckleitungen, LNG-Importterminals, Erdgasspeicher) und zur kostenminimalen Deckung der Nachfrage in den einzelnen Ländern eingesetzt. Neben inländischen Produktionskapazitäten sowie LNG-Importen sind die für den europäischen Markt wichtigsten Importländer für Pipelinegas abgebildet (Norwegen, Nordafrika, Russland, südlicher Gaskorridor). Für den Import von Erdgas aus Russland wird zunächst angenommen, dass neben Nord Stream 2 (57 Mrd. m3/Jahr) und dem UGTS (max. 120 Mrd. m3/Jahr im Referenzszenario), Nord Stream (1) (57 Mrd. m3/Jahr), Yamal (33 Mrd. m3/Jahr), Blue Stream (16 Mrd. m3/Jahr) sowie beide TurkStream-Stränge (31,5 Mrd. m3/Jahr) zur Verfügung stehen. Für diese Analyse wird die Simulation für verschiedene Stichjahre durchgeführt und ausgewertet.

Die angenommene Erdgasnachfrage und die Produktionskapazitäten europäischer Länder basieren auf den Schätzungen des TYNDP [4]. Darüber hinaus werden Infrastrukturprojekte zur zunehmenden Integration der europäischen Märkte basierend auf dem TYNDP berücksichtigt (Pipelines und LNG-Importterminals) [5]. Für Deutschland wird außerdem der Bau der LNG-Terminals Brunsbüttel und Wilhelmshaven unterstellt, die Mitte der 20er-Jahre mit einer Kapazität von 8 bzw. 10 Mrd. m³/Jahr in Betrieb genommen werden [6].

Neben den Kosten für Pipelineimporte beeinflussen Preise auf dem globalen LNG-Markt die europäischen Erdgaspreise in großem Maße. Da russisches Erdgas in den meisten EU-Staaten kostengünstiger angeboten werden kann als LNG, kann man davon ausgehen, dass LNG in der Regel preissetzend ist. Dies bedeutet, dass sich Russlands Preisstrategie für Gas an den LNG-Importpreisen (zuzüglich Transportkosten vom nächstgelegenen LNG-Terminal) orientiert. Daher werden mithilfe des vom EWI entwickelten globalen Gasmarktmodells COLUMBUS [7] LNG-Angebotskurven berechnet, die LNG-Importpreise in Abhängigkeit der Nachfrage darstellen.

Russisches Gas zukünftig verstärkt im Wettbewerb mit LNG

Um die ökonomischen Effekte von Nord Stream 2 zu untersuchen, wurden zwei Szenarien entwickelt und im europäischen Gastransportmodell TIGER simuliert: Ein Referenzszenario und ein kontrafaktisches Szenario. Die beiden Szenarien unterscheiden sich darin, dass Nord Stream 2 im Referenzszenario mit 57 Mrd. m³/Jahr zur Verfügung steht, im kontrafaktischen Szenario jedoch nicht.

Gastransitkapazitäten durch die Ukraine, – die mit Nord Stream 2 im Wettbewerb stehen –, werden jeweils über eine Sensitivität verändert und sind daher entweder uneingeschränkt verfügbar oder auf 30 Mrd. m³/Jahr limitiert [8]. Die maximale Transportkapazität des UGTS wird aktuell mit ca. 120 Mrd. m³/Jahr angegeben, wobei dieser Wert in der Realität aufgrund des schlechten technischen Zustands vieler Leitungen eher als theoretisches Maximum zu sehen ist. Da 30 Mrd. m³/Jahr eher als unterer Wert angesehen werden kann, wird mit diesen Annahmen zur Transitkapazität ein breiter Korridor an Möglichkeiten abgebildet.

Abb. 1 zeigt die Gasflüsse (gelbe Pfeile) zwischen den Staaten sowie die LNG-Importe (blaue Pfeile) über die jeweiligen Terminals für das Referenzszenario mit Nord Stream 2 im Jahr 2030. Insgesamt importiert die EU (inkl. Schweiz und Ukraine) in 2030 ca. 193 Mrd. m³/Jahr via Pipeline aus Russland. Dies liegt ca. 20 Mrd. m³ über den heutigen Volumina: 2018 hat Gazprom rund 174 Mrd. m³ in die EU exportiert [9]. Der nach Russland wichtigste Gas-Lieferant für die EU ist Norwegen mit rund 79 Mrd. m³/Jahr. LNG-Importe belaufen sich auf 76 Mrd. m³/Jahr und stellen somit ein wichtiges Standbein der europäischen Gasversorgung dar. Aus Nordafrika kommen 34 Mrd. m³/Jahr und über den südlichen Gaskorridor werden 11 Mrd. m³/Jahr importiert.

Ukraine bleibt wichtige Transitroute für russisches Gas

Darüber hinaus fließen im Referenzszenario auch 2030 noch mehr als 50 Mrd. m³/Jahr Gas aus Russland über die Ukraine in die EU (vgl. Abb. 1). Auch wenn die Mengen im Vergleich zur Vergangenheit zurückgehen, spielt die Transitroute aufgrund des Rückgangs der innereuropäischen Produktion also weiterhin eine wichtige Rolle und bietet den Marktteilnehmern zusätzliche Flexibilität, um auf einen erhöhten Gasbedarf mit einer Ausweitung der Lieferungen über die Ukraine zu reagieren. Zudem zeigt das Szenario mit einer Limitierung des UGTS auf maximal 30 Mrd. m³/Jahr, dass die Erdgaspreise in vielen EU-Ländern steigen und es zu einem Anstieg an LNG-Importen kommt. Somit stellt eine ausreichende Verfügbarkeit der ukrainischen Transitkapazitäten eine kostengünstigere Versorgung der EU mit Erdgas sicher.

Steht Nord Stream 2 nicht zur Verfügung, steigen die Ukraine-Transite auf 81 Mrd. m³/Jahr. Somit würde ein Teil der Nord Stream 2-Mengen über die Ukraine umgeleitet. Aufgrund des Alters und der Länge dieser Transportroute würde die EU in diesem Szenario insgesamt aber weniger Erdgas aus Russland beziehen und dies über zusätzliche LNG-Importe kompensieren. Insbesondere würde die Auslastung der zwei angenommenen deutschen LNG-Importterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel steigen. Neben den höheren Erdgasbezugskosten für die deutschen bzw. europäischen Konsumenten würde eine Nichtverfügbarkeit der Pipeline somit Gazprom den Wettbewerb mit LNG erschweren.

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