Abbildung einer europäischen Flagge zu Thema des verzögerten Amtsantritts der neuen europäischen Kommission

(Bildquelle: Pixabay)

Die Anhörungen der designierten EU-Kommissare vor dem Europäischen Parlament gerieten für die schon gewählte Präsidentin zum Desaster. Das Problem dabei war nicht so sehr, dass die Abgeordneten schon zum Auftakt die als Verkehrskommissarin vorgesehene Rumänin Rovana Plumb und den designierten EU-Erweiterungskommissar, den Ungarn László Trócsányi, wegen finanzieller Interessenkonflikte aussortierten. Zu einer ernsthaften Belastung für von der Leyen wuchs sich die Ablehnung der französischen Kandidatin für das Binnenmarktressort, Sylvie Goulard, aus.

Der Fall „Goulard“

Nicht nur der französische Präsident Emmanuel Macron verstand das als Racheakt von Konservativen, Sozialdemokraten und Grünen. Schließlich spielte Macron im Juni eine wichtige Rolle dabei, die Berufung des Spitzenkandidaten der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU) oder eines der anderen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu verhindern. Nach dem „Nein“ des EU-Parlaments zu Goulard lief der französischen Präsident politisch regelrecht Amok, beschuldigte von der Leyen, an Goulards Scheitern Schuld zu sein, und weigerte sich zunächst, einen Ersatzkandidaten zu benennen.

Zweifel daran, dass die Kommission inklusive der Ersatzkandidaten doch noch „grünes Licht“ vom Parlament bekommt, kamen dennoch nie auf. Der Fall „Goulard“ dürfte aber mehr Schaden angerichtet haben, als den Amtsantritt der deutschen Präsidentin zu verzögern. Macron, der sich in der EU ohnehin zusehends zum schwierigen Partner entwickelt, kann von der Leyen die Arbeit gezielt schwermachten. Die Gefahr besteht, dass sie sich noch mehr als ohnehin schon verpflichtet fühlt, die Interessen ihres Machers – schließlich hat Macron sie letztlich zur Kommissionspräsidentin gemacht – zu vertreten. Das muss nicht nur Berlin Sorgen machen.

Inhaltlich war in den Anhörungen zuvor wenig Neues zu hören. Der für den Klimaschutz zuständige neue Exekutiv-Vizepräsident der Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, kündigte nur – wie schon zuvor von der Leyen – an, innerhalb der ersten 100 Tage seiner Amtszeit ein umfassendes Klimaschutzgesetz vorzuschlagen, welches das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der EU-Gesetzgebung verankert. „Ich werde einen Legislativvorschlag vorlegen, der uns helfen wird, die Emissionen um mindestens 50 Prozent zu senken – oder noch besser sogar um 55 Prozent“, sagte er weiter. Er ließ sich aber weder auf die 55 Prozent noch auf weitere Details des Gesetzes festlegen. Immerhin haben sich zuletzt acht Staaten bei der Europäischen Kommission für ein ehrgeizigeres Klimaziel eingesetzt. Frankreich, Spanien, die Niederlande, Portugal, Schweden, Dänemark, Lettland und Luxemburg haben sich in einem Brief an Timmermans für eine Kürzung des CO2-Ausstoßes um 55 Prozent aus.

Auf dem Oktober-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs durfte von der Leyen dann immerhin noch einmal ihre Prioritäten für die kommenden fünf Jahre vorstellen. Sie nutzte die Gelegenheit, um mehr Geld für Klimaschutz, Digitales und die Forschung zu fordern. Es sei wichtig, den Modernisierungsteil des nächsten EU-Finanzrahmens 2021 bis 2027 zu stärken, mit dem sich die EU eine Art Obergrenze für die jährlichen Haushalte setzt. Bis eine Einigung dazu steht, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Die Positionen der Mitgliedstaaten liegen noch sehr weit auseinander.

Zankapfel „Just Transition Fund“

Dabei geht es auch um die Frage, wie stark die EU den Haushalt künftig auf den Klimaschutz ausrichtet. Das Europäische Parlament dringt ohnehin darauf, ein Viertel der Ausgaben für den Kampf gegen den Klimawandel zu reservieren. Bis 2027 soll er auf mindestens 30 Prozent steigen. Auf der anderen Seite wollen Länder wie Polen und Ungarn die Debatte über den Finanzhaushalt eng mit der Debatte über die Klimapolitik der EU verknüpfen.

Das Stichwort, um das es hier geht, ist der „Just Transition Fund“, mit dem die EU nach dem Willen von Präsidentin von der Leyen die Umstellung der Wirtschaft und Energieerzeugung in den Mitgliedstaaten auf eine klimafreundliche Produktion unterstützen soll. Wichtig ist dabei nicht nur, wie viel Geld im Haushalt dafür bereitgestellt wird. Gerungen wird vor allem um die Frage, wofür die Mitgliedstaaten Unterstützung erhalten sollen. Es geht darum, ob die Atomkraft als klimafreundliche Energie gilt oder schon Geld fließen soll, wenn alte Kohlekraftwerke durch neue oder zumindest durch Gaskraftwerke ersetzt werden.

Fakt ist, ob es die Klimaschützer nun mögen oder nicht, Polen, Ungarn und Tschechien werden sich ihre Zustimmung zu ehrgeizigeren Klimazielen und zur langfristigen EU-Klimastrategie, sprich der Klimaneutralität bis 2050, teuer bezahlen lassen. Nur Estland ist aus der Allianz der Bremser beim Kampf gegen den Klimawandel ausgeschert. Kurz vor einem Treffen der zuständigen EU-Minister in Luxemburg im Oktober hatte das Land nach langem Zögern angekündigt, verstärkt in die Bekämpfung des Klimawandels zu investieren.

Hendrick Kafsack mit dem Bericht aus Brüssel in der aktuellen "et“

Zur „et“ 11/2019

„et“-Redaktion

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