Symbolbild für das Strategiegespräch zum Green Deal

Diskussion über den Weg in eine klimaneutrale Energiewirtschaft und die Rolle von Märkten dabei; im Bild ein Blick in die Marktsteuerung der Energiebörse in Leipzig (Quelle: European Energy Exchange AG)

Innovation und Investition

„et“: Mit dem Green Deal liegt eine Strategie für Europas Weg zur Klimaneutralität vor. Was heißt das für Innovation und Investition?

Reitz: Das zentrale Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 bedeutet, dass ökologische Ressourcen nur noch begrenzt genutzt werden können. Im Kern verstärken und beschleunigen Green Deal bzw. Green Recovery die Dekarbonisierungs- und Dezentralisierungstrends der letzten Jahre – eine Chance für die Energiemärkte als Teil einer umfassenden Transformation der Volkswirtschaften. Wie kann man das effizient organisieren? Aus meiner Sicht ist das am besten über Märkte bzw. bestimmte Preissignale möglich, der Europäische Emissionshandel (ETS) ist ein gutes Beispiel dafür. Es wird aber auch neue Märkte und Commodities geben, z.B. Herkunftsnachweise für grüne Gase oder Wasserstoff.

Weeser: Für die Politik sollten eine saubere Umwelt sowie die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele im Vordergrund stehen. Wir dürfen das aber nicht so anpacken, indem wir in eine Überregulierung und Einzelsteuerungen hineingehen. Einen Rahmen schaffen ja, aber keine Klein-klein-Steuerung. Das wäre kontraproduktiv und behindert die Entwicklung im Emissionshandel. Auch ich setze im Transformationsprozess auf den Markt, mein Problem ist aber, dass das Strompreissignal aufgrund von Abgaben, Steuern und Umlagen auf der Verbrauchsseite nur sehr stark verzerrt ankommt. Das müssen wir reformieren. Worauf wir ebenfalls achten müssen ist, dass wir uns nicht mit einer einseitigen Zielverschärfung aus dem europäischen Verbund hinauskatapultieren, wir können Klimaneutralität nur gemeinsam auf europäischer Ebene erfolgreich umsetzen.

Reitz: Wenn ich kurz etwas dazu sagen darf: Das CO2-Preissignal kommt klar an, wenn man sich aber den Strompreis anschaut, kommt dieses Signal beim Verbraucher in der Tat nur sehr verzerrt an. Wenn wir eine Elektrifizierung anderer Bereiche erreichen wollen, dann muss das Strompreissignal gestärkt und von Abgaben und Umlagen befreit werden, und zwar deutlich.

Birnbaum: Das stimmt. Die Lasten der Energiewende wurden bisher vorwiegend auf den Strompreis draufgepackt. Es gibt in unserem Hause viele gute Geschäftsideen in Richtung Sektorenkopplung und damit Dekarbonisierung, die daran scheitern. Das zu ändern, bleibt eine große Aufgabe für die Politik. Aber zurück zur Ausgangsfrage: Durch den Green Deal und den Recovery Fonds kommen sehr hohe finanzielle Mittel ins System, die hoffentlich zu einem Großteil für den Klimaschutz und die Energiewende eingesetzt werden. Da werden unabhängig von der Effizienz des Mitteleinsatzes auf jeden Fall Innovationen generiert, die eine Transformation des Systems beschleunigen. Wir sind auch auf der Infrastrukturseite tätig und sehen Technologien heraufkommen, die es uns erlauben, unser Geschäft ganz anders zu gestalten. Zum Beispiel Volatilität technisch und ökonomisch zu beherrschen, indem wir Flexibilitätsmärkte etablieren. Die Technologien sind vorhanden, die Frage ist, wie effizient und schnell schaffen wir die Umsetzung und mit welchen regulatorischen Mitteln.

Andreae: Der energiewirtschaftliche Dreiklang besteht aus Klimaneutralität, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Wir dürfen hier nicht aus der Balance kommen. Damit erneuerbarer Strom wettbewerbsfähig wird und die Sektorkopplung gelingt, muss der Strompreis von den hohen Umlagen und Abgaben befreit werden. Darüber besteht in der Branche eine große Einigkeit. Ebenso ist klar, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet sein muss. Hier spielt zum Beispiel Wasserstoff eine wichtige Rolle. Ich möchte zusätzlich einen Punkt hervorheben und das ist der Zeitfaktor: Bis 2050 sind es 30 Jahre. Solange braucht Deutschland, salopp ausgedrückt, für den Bau einer Umgehungsstraße. Jetzt wollen wir aber eine ganze Industrie, eine ganze Volkswirtschaft, einen ganzen Kontinent klimaneutral gestalten. Wir haben nicht mehr die Zeit, um ein optimales Design zu finden und Instrumente auszuprobieren. Ich schlage daher vor, auf das zurückzugreifen, was wir heute schon haben und diese Instrumente weiterzuentwickeln und zu verbessern.

„Im Kern verstärken und beschleunigen Green Deal bzw. Green Recovery die Dekarbonisierungs- und Dezentralisierungstrends der letzten Jahre – eine Chance für die Energiemärkte als Teil einer umfassenden Transformation der Volkswirtschaften. Wie kann man das effizient organisieren? Aus meiner Sicht ist das am besten über Märkte bzw. bestimmte Preissignale möglich, der Europäische Emissionshandel (ETS) ist ein gutes Beispiel dafür. Es wird aber auch neue Märkte und Commodities geben, z.B. Herkunftsnachweise für grüne Gase oder Wasserstoff.“ 

Peter Reitz, CEO European Energy Exchange AG (EEX), Leipzig

Ragwitz: Für die Beanreizung von Innovationen im Rahmen des Green Deal brauchen wir langfristige Investitionssignale wie den CO2-Preis und eine Schärfung des europäischen Emissionshandels (ETS). Es ist aber, wie schon gesagt, eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen vonnöten, ohne diese können wir die Sektorenkopplung in Deutschland nicht auf dem notwendigen Niveau umsetzen. Ich würde aber die EEG-Umlage nicht abschaffen, sondern über alle Sektoren auf Basis der CO2-Intensitäten umlegen. Für den Wasserstoff werden wir wettbewerbliche Instrumente brauchen, ob output- oder inputseitig, werden wir noch diskutieren müssen. Flexibilitätsmärkte und die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität sind spannende Themen der Transformation im Stromsektor, die wir in der Entwicklung der Regulierung voranbringen müssen.

„et“: Wie müssen Forschung und Entwicklung ausgestaltet sein, um notwendigen Innovationen für den Green Deal den Weg zu bereiten?

Ragwitz: Wir brauchen hierfür eine gewisse Breite und Technologieoffenheit auch gegenüber neuen Technologieoptionen. Das können wir über einen Mix aus grundlagen- sowie anwendungsorientierter, industrieller Forschung erreichen. Das Ambitionsniveau ist so hoch, dass wir uns hier keine Scheuklappen anlegen dürfen, z. B. in der Wasserstofferzeugung. In der Vergangenheit hatten wir mit dem EEG stark auf die Markteinführung gesetzt und teilweise die Anwendung vernachlässigt, z.B. im Photovoltaiksektor. Daraus müssen wir lernen und Forschung und Entwicklung in Zukunft als gleichberechtigtes Element betrachten, sonst haben wir ein industriepolitisches Problem. Wir sind Frontrunner in Europa, was die Forschung im Bereich Dekarbonisierung betrifft, hierbei müssen wir aber auch die industrielle Umsetzung im Blick haben.

„et“: Wenn Europa und Deutschland auch in Zukunft wichtige Industrieregionen bleiben sollen, muss bei allen Umstrukturierungen neben anderem Versorgungssicherheit gegeben sein. Woran lässt sich das ablesen, um welche Aufgaben geht es in diesem Bereich?

Reitz: Versorgungssicherheit kann ein Börsenpreis nur immer sehr temporär anzeigen, insofern wäre das eine Überforderung. Knappheitspreise lassen sich dort aber durchaus beobachten. Wenn man sich die langfristige Preisentwicklung anschaut, gibt es momentan keinerlei Anzeichen, dass wir in einen Versorgungsengpass laufen. Es kann natürlich sein, dass wir im kurzfristigen Bereich durchaus Engpässe sehen werden. Das ist aber ein Thema, das mir noch wenig Sorgen macht. Wir haben ja gerade von der Bundesnetzagentur die sehr kurzen Ausfallzeiten in der Stromversorgung genannt bekommen (12,20 Minuten pro Netzanschluss pro Jahr).

Birnbaum: Wir müssen bei der Versorgungssicherheit unterscheiden zwischen Knappheiten, die sich im nationalen Börsenpreis zeigen, und lokalen Engpässen. Letztgenannte zu beherrschen ist eine spannende Aufgabe für Verteilnetzbetreiber wie E.ON. Gute SAIDI-Werte rühren nicht daher, dass die Stromnetze heute soviele Reserven haben, sondern dass die Netzbetreiber so gut sind; denn wir kämpfen schon heute an vielen Stellen darum, die Stabilität im Stromnetz aufrechtzuerhalten. Ohne eine vollständige Digitalisierung unserer Netze sowohl in der Hardware wie in den Prozessen werden wir diese Leistung in Zukunft nicht mehr gewährleisten können.

Wir versuchen im Handling unserer Netze einen Vorhaltewinkel einzubringen, nur zu reagieren ist zu teuer. Beispiel E-Mobilität: Wenn wir diese Möglichkeit zur Sektorenkopplung schon heute beim Netzausbau berücksichtigen, wird das erheblich günstiger über die Zeit, als wenn wir Jahre später dem Hochlauf der Elektromobilität hinterherlaufen. Dafür brauchen wir aber regulatorische Unterstützung. Wenn die Bundesnetzagentur Investitionen in Strukturen und Prozesse am Ende abstraft bzw. nicht belohnt, bleiben wir auf höheren Risiken sitzen ohne einen Return zu haben und das ist fatal.

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