Die Energiewende braucht den Prosumer und der Prosumer braucht die Sicherheit, dass er darin eine nachhaltig wichtige Rolle spielen will und kann.

Die Energiewende braucht den Prosumer und der Prosumer braucht die Sicherheit, dass er darin eine nachhaltig wichtige Rolle spielen will und kann. (Quelle: Adobe Stock)

Ein wesentliches Element der deutschen Energiewende ist das sog. Prosuming, also die parallele Energieerzeugungsaktivität eines Energieverbrauchers. Ein Prosument produziert und konsumiert gleichzeitig. Ein Phänomen, welches grundsätzlich nicht neu ist, wir kennen das als typische Eigenschaft eines Handwerkers oder Landwirts. Auch manches großes Industriewerk hat sich eine eigene Stromerzeugung aufgebaut.

Revolutionäre Entwicklung für die Niederspannungsebene

Auf der Niederspannungsebene – also in denjenigen Stromnetzbereichen, mit deren Hilfe in erster Linie Privat- und Kleingewerbekunden versorgt werden – ist das Prosuming für die Stromwirtschaft allerdings eine durchaus revolutionäre Entwicklung. Denn hier verfolgte die Energieversorgung bisher ein klares Zielbild: Ein Kunde wird von außen und mit Hilfe einer öffentlichen Infrastruktur versorgt, seine Rolle beschränkt sich auf den Konsum und den Finanzier des Versorgungssystems. Im Gegenzug kann er sicher sein, dass er unabhängig von seiner tatsächlichen Bedarfsstruktur jederzeit, sicher und auf jeden Fall preisgünstiger versorgt ist, als wenn er seinen im Vergleich zu einem Industrieunternehmen relativ geringen Strombedarf durch den Kauf und Betrieb eines Kraftwerks selbst versorgen würde.

Inzwischen ist insbesondere die Stromerzeugung durch Photovoltaik so günstig geworden, dass sie bei einem Kostenvergleich gegenüber konventionellen Kraftwerken gut bis besser abschneidet. Allerdings nur dann, wenn man alle weiteren Voraussetzungen, die für eine sichere Versorgung erforderlich sind – nämlich das Stromverteilungsnetz, Vorhaltung von Reservekapazitäten, etc. – ausblendet.
Dennoch hat die Entwicklung erwartungsgemäß zu Begehrlichkeiten führt. Denn wenn es möglich ist, durch eine einmalige Investition in eine PV-Anlage langjährig die Kosten des Strombezugs aus dem öffentlichen Netz wegzusparen, so ist das insbesondere dann ein hoher Anreiz, wenn die öffentlichen Kosten besonders hoch sind. Und es ist ja aktuell tatsächlich der Fall, dass die Strombezugskosten aus dem öffentlichen Netz heute insbesondere durch administrative Preise (Steuern, Abgaben, Umlagen, Netzgebühren, etc.) so hoch belastet sind, dass die eigentlichen Stromerzeugungskosten hierzulande anteilig aus der Kundenperspektive kaum mehr eine Rolle spielen. Insofern ist der Anreiz, sich aus diesem System herauszukaufen hierzulande auch besonders hoch. Übrigens begründet sich der hohe Anteil der administrativen Kosten in Deutschland vor allem durch die wachsenden Kosten der Energiewende, die vor allem über den Strompreis an Privat- und Kleinverbraucher abgewälzt werden.

Aus dieser Gemengelage resultiert inzwischen ein valides Grundsatzproblem der deutschen Energieversorgung. Wie kann man die Vorteile des Prosumings nutzen, ohne dabei die Sicherheit und Effizienz der öffentlichen Versorgung zu gefährden? Oder anders formuliert: Wie kann der Prosumer die Energiewende volkswirtschaftlich vorteilhaft stützen? Zur Beantwortung dieser Fragen ist es zunächst hilfreich, die jeweiligen Perspektiven und Motivlagen der betroffenen Protagonisten zu analysieren, um deren zentrale Bewertungskriterien im Kontext des Prosumings herauszuarbeiten. In Anschluss daran kann man in einer Gesamtabwägung eine Lösung des bestmöglichen Zusammenwirkens entwickeln.

Was bedeutet Prosuming für wen? Fünf Perspektiven auf die Energieversorgung

Der Energieabnehmer, der Prosumer werden will

Unbeschadet seiner persönlichen Motivlage wird ein potenzieller Investor in Energieerzeugung seine Entscheidung von seiner Erwartung abhängig machen, ob seine Investition risikoarm und rentierlich sein wird.

Risikoarm wäre sie dann, wenn er davon ausgehen kann, dass er jederzeit sicher versorgt wird. Dazu muss entweder sein Versorgungsanlagenpark hinreichend groß dimensioniert und technologisch adäquat ausgestattet sein, um auch seinen künftigen Bedarf abzusichern. Zudem muss er sicher funktionieren. Oder er muss sich für seine Restversorgung bzw. den Notfall darauf verlassen, auch kurzfristig wieder die öffentliche Versorgung in Anspruch nehmen zu können (das private Kapazitätsproblem).

Rentierlich ist seine Investition immer dann, wenn sein Selbstversorgungspark – in Kombination mit der öffentlichen Versorgungsleistung - ihn insgesamt günstiger versorgt, als es die öffentliche Versorgung tun könnte. Oder wenn er hinreichend dadurch Erlöse erwirtschaften kann, indem er seine Anlagen z.B. Dritten zur Verfügung stellt (das Opportunitätsproblem). Schließlich hängt seine Entscheidung davon ab, ob er überhaupt die Möglichkeit hat, einen Versorgungsanlagenpark zu betreiben. Dazu benötigt er mindestens ein dazu geeignetes Gebäude sowie dessen Nutzungsrecht (das Eigentümerproblem). Und er muss sich die Investition auch leisten können (das Budgetproblem).

Momentan führt die Problemlösungskompetenz auf der Kundenseite zu einem typischen Bild eines Prosumers: Gebäudeeigentümer mit hinreichend verfügbaren Budgets kaufen sich PV-/ Speicherkombinationstechnik mit der sie bis ca. 50 % ihres aktuellen Energiebedarfs abdecken können. Ihre Investition rentiert sich, wenn die weggesparten Opportunitätskosten hoch bleiben, was aktuell insbesondere durch Nichtfälligkeitwerden der administrativen Preise, sprich die Kosten der Aufrechthaltung der öffentlichen Versorgung und der Fortführung der Energiewende der Fall ist.

Der Energieabnehmer, der kein Prosumer werden will oder kann

Er zeichnet sich in unserem Kontext dadurch aus, dass er kein Gebäudebesitzer ist und/oder sich kein Investitionsbudget leisten kann oder will. Sein Hauptmotiv ist, das seine Versorgung weiterhin sicher und preisgünstig auf Basis öffentlicher Versorgungsstrukturen erfolgt. Darum kann er auch kein Interesse daran haben, dass Prosumer sich die Refinanzierung der öffentlichen Versorgung wegsparen können (das Entsolidarisierungsproblem). Denn dadurch steigt seine Energierechnung. Faktisch quersubventioniert er damit den Prosumenten.

Der Energieversorger, der für die öffentliche Versorgung verantwortlich ist

Netzbetreiber und Grundversorger – hier gemeinsam als Energieversorger (EVU) betitelt - haben die gesetzliche Pflicht, die öffentliche Versorgung umweltgerecht, preisgünstig und sicher für jeden aufrecht zu erhalten. Ihre Aufgabe würde sich vereinfachen, wenn der Anlagenpark des Prosumenten Kapazitäten der öffentlichen Versorgung sicher und verlässlich ersetzen oder er sie für seine Zwecke zumindest sicher einplanen kann, da er diese ansonsten doppelt vorhalten muss (das öffentliche Kapazitätsproblem).  

Der Verkäufer, Installateur, Betriebsführer von Prosumeranlagen und der Vermarkter ihrer Überschusseinspeisung

Das Motiv dieser Klientel ist es, dass Prosumenten ihre Leistungen und Geräte einkaufen und im Anschluss daran möglichst vielfach (um-)nutzen und/oder erweitern. Sie haben daher hauptsächlich ein Interesse daran, dass sich entweder die Nutzungsoptionen des Prosumeranlagenparks erweitern – z.B. indem weitere Einsparungen durch Lastverlagerungen oder Erlöse aus der Vermarktung der Erzeugung an Dritte möglich werden; oder dass die Opportunitätskostensituation des Prosumers langfristig stabil ist.

Der Staat bzw. die Volkswirtschaft

Die Motivlage des Staates deckt sich zunächst einmal mit der Perspektive der Energieversorger. Allerdings besteht für ihn immer auch ein Interesse daran, Innovation aufzugreifen, staatliche Investitionserfordernisse einzusparen oder Effizienzgewinne durch Wettbewerb zu realisieren.  Dabei ist er zugleich auf Augenmaß angewiesen. Denn eine Politik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit – hier insbesondere durch die nicht-prosumerfähigen Energieabnehmer vertreten – kann zumindest in demokratisch regierten Staaten nicht sein Interesse treffen (das Legitimierungsproblem).

Vor dem Hintergrund der Energiewende hat darüber hinaus noch die Volkswirtschaft ein besonderes Interesse. Da eine nachhaltige Energieversorgung auf erneuerbaren Energien fußt, wird ergo das Energieangebot zunehmend durch die Dargebotsabhängigkeit der Erzeugung charakterisiert. Damit wird der rein über die Angebotsseite kommende Abgleich von Energieangebot und -nachfrage zunehmend schwierig bis hin zu absurd teuer. Daher muss es gelingen, dass die Nachfrageseite sich flexibler aufstellt (das öffentliche Kapazitätsproblem). In dieser Sicht wird der Prosumer zunehmend ein unverzichtbarer Baustein einer effizienten Energie(-volks)wirtschaft.

Wie können die Perspektivlagen bestmöglich zusammenwirken? Ein Lösungsansatz

Ein Lösungsansatz zum produktiven Ausgleich der oben genannten Interessenlagen findet seinen Ankerpunkt am ehesten aus der volkswirtschaftlichen Perspektive. Demnach muss es gelingen, dass Prosuming ein gutes Geschäft für alle wird. Hierfür bietet sich als Startpunkt zunächst die Frage nach der Lösung des Kapazitätsproblems an.

Vom Eigenversorger zum dezentralen Energiebeiträger

Die Frage nach der optimalen Kapazität löst sich volkswirtschaftlich und in Zusammensicht der o.g. Perspektiven leicht auf, wenn man Prosuming nicht von vornherein auf den Zweck des Eigenverbrauchs ausrichtet. Sondern indem man den entstehenden Anlagenpark grundsätzlich aus- und umbaufähig sowie flexibel nutzbar ausgestaltet.

Optimal wären demnach – sowohl aus Sicht eines Prosumers, eines Kunden, eines Anbieters, eines EVU oder des Staates – Investitionen in Anlagenkonglomerate, deren Einsatzpläne situativ, also je nach aktueller interner (z.B. günstiger Eigenverbrauch) oder externer (z.B. Lastverlagerung, Vermarktung von Anlagenkapazität an Dritte) Bedarfslage gestaltet bzw. angepasst werden kann.

Dies setzt einerseits einen hohen Professionalisierungsgrad voraus, was aber grundsätzlich im Interesse aller Perspektiven und hier insbesondere im Interesse der Dienstleister liegt. Des Weiteren müssen zunehmend Vermarktungsoptionen und effiziente Marktzugänge auch auf regionaler Ebene vorhanden sein. D.h., der derzeit noch dominierende Regulierungsgrundsatz zentralisierter Versorgungslenkung müsste zunehmend auch dezentrale Lösungen zulassen, bzw. durch diese ersetzt werden. Denkbar wäre es, einen Weg dorthin ähnlich wie für das künftige Redispatchregime anzulegen. Das dort gewählte Konzept der regionalen Wirkungscluster von Verteilnetzbetreibern zielt ja bereits auf regionale Optimierungsoptionen ab. Dynamisierte Netzentgelte könnten diesen Ansatz perfekt ergänzen.

Folgt man diesem Denkansatz, dann fügen sich schnell weitere Ideen hinzu. Etwa das regionale Zusammenbringen von Prosumerleistungen z.B. im Rahmen von Quartieren oder in Kombination mit Anlagen zur Wärmeversorgung oder E-Mobilitätsversorgung (Sektorenkopplung). Oder auch die Idee Prosumerleistungen im Rahmen virtuell agierender Energiegemeinschaften unter Nutzung dann bilanziell realisierbarer Skaleneffekten zu verknüpfen.

Ein weiterer Schritt könnte die Verknüpfung von Prosumerleistungen zur Realisierung größerer dezentraler Energieversorgungsvorhaben (Quartiere, Genossenschaften o.ä.) sein. Dieser Weg öffnet zugleich auch Beteiligungsmöglichkeiten für nicht-prosumerfähigen Energiekunden.

Insgesamt entsteht so eine Landschaft von dezentralen Energieversorgungskapazitäten, welche Prosumern Entfaltungsmöglichkeiten einräumen und die zugleich den EVU als verlässliche Stütze ihres Verantwortungsbereichs dienen.

Von der impliziten zur expliziten Förderung

Versteht man Prosuming im oben beschriebenen Sinne, dann wird schnell deutlich, dass das heutige System der impliziten Förderungen als Investitionsanreiz zum Prosuming höchst kontraproduktiv wirkt. Denn faktisch wirkt das Wegsparen von Refinanzierungsbeiträgen der öffentlichen Versorgungsleistung innovationshemmend, entsolidarisierend und höhlt das öffentliche Versorgungssystem zudem dadurch aus, dass die besten Opportunitäten in der Regel durch das Agieren eines Prosumers gegen das öffentliche Versorgungssystem entstehen. So ein System ist weder resilient noch nachhaltig investitionsfördernd, noch erwirkt es volkswirtschaftliche Vorteile wie z.B. eine verlässliche Kapazitätsbasis der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Eine explizite Förderung würde dieses Problem nicht haben. Z.B. als Investitionshilfe ausgestaltet oder im Rahmen von Ausschreibungen tituliert, reflektieren explizite Förderungen grundsätzlich auf volkswirtschaftliche Anforderungen und Bedürfnisse. So wie es heute das EEG für den Aufwuchs von erneuerbaren Energien zur Erzeugung grünen Stroms für das öffentliche Netz tut.
Explizite Förderungen geben Planungssicherheit für den Investor und die öffentliche Versorgung. Sie sind transparent und rechtlich durch den Gesetzgeber legitimiert. Und sie öffnen neue Optionen der Beteiligung von nicht-prosumerfähigen Energiekunden, wenn sie z.B. als Beteiligungsfonds geführt werden.

Fazit

Die Energiewende braucht den Prosumer und der Prosumer braucht die Sicherheit, dass er darin eine nachhaltig wichtige Rolle spielen will und kann. Die Lösung liegt auf der Hand: Explizite Förderung dezentraler Energiebeiträger unter Beteiligung nicht-prosumerfähiger Energiekunden mit dem Ziel, für die öffentliche Versorgung sicher einplanbare, dezentrale Versorgungseinrichtungen in privater Hand aufzubauen.

Dr. M. Baumert, EWE Vertrieb GmbH, Oldenburg, martin.baumert@ewe.de

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