Digitales Fernwärmesystem der Zukunft

Digitalisierung: Bild 3. Das Kontinuum des Verstehens

Bild 3. Das Kontinuum des Verstehens (Bildquelle: Euroheat & Power)

Was ist überhaupt ein digitales Fernwärmesystem? Derzeit gibt es noch keine eindeutige Definition, aber einige Kriterien, etwa eine große Anzahl von Messsensoren im Wärmenetz, automatische Aufnahme, Transfer und Speicherung sowie die darauffolgende automatische Analyse der Daten. Die Analyse der Daten wird nicht nur für die automatische Abrechnung verwendet, sondern der Erkenntnisgewinn wird genutzt, z. B. zur Netzwerksoptimierung. In der Theorie zu Big Data wird vom „Kontinuum des Verstehens“ (Bild 3) gesprochen, das von Daten über Wissen zu Information und Intelligenz/Weisheit verläuft. Datenerhebung allein macht Fernwärmenetze nicht intelligent, sondern nur die Interpretation und Auswertung der Daten, die – wenn sie im Kontext mit Vergleichsdaten gesehen und von Experten interpretiert werden – zur Optimierung und langfristigen Planung dienen können.

Wie kann also ein digitales Fernwärmesystem der Zukunft in Europa Wirklichkeit werden? Digitalisierung wird auf mehreren Ebenen die Wärmewende unterstützen: Auf Erzeugungsebene etwa ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft, viele fluktuierende erneuerbare Energiequellen (Solarthermie, Abwärme, ...) ins System zu integrieren. Eine der Lösungen ist ein intelligenter Netzwerk-Controller, der die Erzeugung beeinflussen kann und dabei die vorhandene Flexibilität im Netzwerk optimal ausnutzt, wie die thermische Speicherkapazität von Gebäuden, die an das Fernwärmesystem angeschlossen sind.

Diese intelligenten Controller, z. B. der von Noda Intelligent Systems und Vito entwickelte „Storm Controller“, der mit selbstlernenden Algorithmen operiert, können eine Vielzahl von verschiedenen Anwen­dungen für Fernwärmenetze unterstützen: von der Lastspitzenvermeidung in konventionellen Fernwärmesystemen über die Maximierung des Einsatzes von erneuerbaren Energieträgern bis zur Steigerung der Energieeffizienz und Minimierung von Kosten – etwa mit Strompreis-Triggern in einem System mit Wärmepumpen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – oder zur Steuerung der Erzeugung. Der Storm-Controller, ein EU-finanziertes Horizon-2020-Projekt, konnte in zwei Wärmenetzen in Europa getestet werden und hat dabei bereits in dem einen Netz die Energieeffizienz um 14 % und im zweiten Netz die Kapaziät um 42 % gesteigert, was für den Netzausbau genutzt werden kann. In beiden Wärmenetzen kumuliert können jährlich 20 000 t CO2 eingespart werden.

Zusätzliche digitale Funktionen können vom Netzbetreiber auf der Verteilungsebene genutzt werden, z. B. operationelle Analyse und Lecksuche. Die digitalen Lösungen reichen von vorausschauender Instandhaltung über das Management von Engpässen im Netzwerk bis hin zur Identifizierung von unterdimensionierten Rohrsystemen. Außerdem können digitale Lösungen Druckoptimierungen und operationelle thermische Optimierungen im System vornehmen, z. B. die dynamische Kontrolle von Temperaturen.

Auch die Verbraucher und Wärmenetzkunden profitieren von digitalen Angeboten wie Visualisierungstools. Diese können das Bewusstsein der Kunden hinsichtlich des eigenen Energieverbrauchs steigern und zum Energiesparen animieren. Tools und Apps sind außerdem ein direkter Weg, Kunden anzusprechen und andere Serviceleistungen anzubieten, z. B. Energieinformationen und Empfehlungen zum optimalen Betrieb der Heizung.

Auf EU-Ebene ist neben den Klimazielen die Digitalisierung eine der Top-Prioritäten. Im Fernwärmesektor ist die Digitalisierung Voraussetzung für Netzwerke der 4. Generation, und sie unterstützt Sektorenkopplung und -integration. Sektorenintegration setzt Interoperabilität mit dem Strom­sektor voraus und hilft, alle drei Energie­systeme – Wärme, Strom, Gas – zu managen und zu optimieren. Digitalisierung von Fernwärmenetzen erleichtert die Integration von mehr erneuerbaren Energien, macht Systeme resilienter und sicherer und steigert die Effizienz und Profitabilität der Systeme.

Um das Fernwärmesystem der Zukunft umzusetzen, wird es neben dem breiten Einsatz der bereits beschriebenen Lösungen vor allem weitere Forschung und Entwicklung und konkrete Anwendungsfälle und Demonstrationsprojekte brauchen, um zu verstehen, wie sich die verschiedenen Technologien ergänzen und wo die größten Chancen liegen. Konkret könnten „regulatorische Sandkästen“ helfen, Lösungen und neue Geschäftsmodelle auszutesten. Mit mehr Projekten und Erfolgsbeispielen kann die Fernwärmebranche sich als inte­gralen Teil des smarten Energiesystems der Zukunft positionieren.

Weitere Details sind in der „Digital Roadmap for District Heating & Coo­ling“ enthalten, die kostenlos in englischer Sprache heruntergeladen werden kann: www.euroheat.org/publications/digital-roadmap-district-heating-cooling.

Mag. Sofia Letten­bichler, MSc, Politik & Projektmanagerin, Euroheat & Power, Brüssel/Belgien, sl@euroheat.org, www.euroheat.org, www.dhcplus.eu

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