Dr. Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW GmbH, Stuttgart

Dr. Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW GmbH, Stuttgart (Quelle: NetzeBW/Andreas Martin Fotografie)

Viele Unternehmen bemühen sich derzeit um Klimaneutralität. Das wird allgemein begrüßt. Gleichzeitig setzen sie sich jedoch regelmäßig zwei Vorwürfen aus: Erstens, dass sie nicht genug tun, dass es schneller gehen könnte. Und zweitens, dass dies nur dem Zeitgeist geschuldet ist und sie gewissermaßen einem Business-Modetrend folgen.

Auf den zweiten Vorwurf kann man nur schwer etwas erwidern – sich dann eben nicht um Klimaneutralität zu bemühen, wäre ja wohl keine Antwort. Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit »trenden« kontinuierlich ansteigend seit über 30  Jahren. Das besondere an der aktuellen Situation ist, dass sie für alle spürbar und wesentlicher als in der Vergangenheit wirtschaftliches Handeln beeinflussen. Wenn Larry Fink von Blackrock seine Beteiligungsunternehmen auffordert, das Klimarisiko zu berücksichtigen, wenn die Allianz ankündigt, sich aus der Finanzierung fossiler Erzeugung zurückzuziehen, dann ist »Klima« im Wirtschaftsleben einfach angekommen. Das wird sich angesichts der sichtbaren Folgen des Klimawandels auch nicht mehr ändern. Aus meiner Sicht ist Klimaneutralität somit auch kein Modetrend, sondern eine strategisch-wirtschaftliche Notwendigkeit.

Dem ersten Vorwurf liegt oft eine vereinfachte Sicht zugrunde: Unternehmen handeln in vielfältiger Verantwortung, für ihre Mitarbeiter, ihre Anteilseigner, ihre Vorlieferanten und Abnehmer und natürlich für die Umwelt – all das ist in Übereinstimmung zu bringen. Je nach Branche und Unternehmen gibt es auch große technische Herausforderungen. Für Verteilnetzbetreiber ist die Situation vergleichsweise komfortabel. Ihre Emissionen sind für ein Unternehmen der Energiebranche eher gering und 85 % der Scope-1- und Scope-2-Emissionen gehen auf eine Ursache zurück: Verlustenergie – also diejenige Energie, die bei Transport und Verteilung elektrischer Energie sehr einfach gesprochen als Wärme verloren geht. Für mich entsteht aus dieser vergleichsweise einfachen »Klimasituation« die Verantwortung, Klimaneutralität dann auch zügig zu erreichen. Dies haben wir bei der Netze BW für 2021 vor.

Wenn dies so einfach wäre …! Wo andere Unternehmen mit den technischen Möglichkeiten kämpfen, kämpfen wir mit regulatorischen Fallstricken. Grünstrom wird in Deutschland über Herkunftsnachweise gehandelt. Diese dürfen aber nur für Endkundenverbrauch eingesetzt werden. Das Umweltbundesamt ist nicht bereit, diese Regelung für Verlustenergie analog auszuweiten oder auch derivative Handlungsweisen zu akzeptieren. Im Ergebnis dürfen Netzbetreiber die offensichtliche Maßnahme zur Klimaneutralstellung ihrer größten Emissionsposition, nämlich Grünstrom für Verlustenergie zu beschaffen, nicht durchführen. So wie die Dinge liegen, werden wir bei der Netze BW unsere Verlustenergie wohl über eine Kompensation klimaneutral stellen müssen. Wir haben uns in den vergangenen Monaten an viele politische Entscheidungsträger für eine Anpassung dieser Regelung gewendet – ich empfinde es als reichlich skurril, dass man dafür kämpfen muss, Grünstrom für seinen Produktionsprozess kaufen zu dürfen. Diese Änderung muss kommen! Eine Stromwirtschaft, in der noch 5 GW mit fossilen Energieträgern befeuerte Kraftwerke vorgehalten werden, um die rund 30 TWh Verlustenergie zu decken, ist wohl nicht das Ziel… und da ist man schon fast wieder beim ersten Vorwurf: Es könnte schneller gehen mit dieser unausweichlichen Anpassung.

Dr. Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW GmbH, Stuttgart

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