Christoph Müller: Wir kennen die Richtung, aber nicht den Weg. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, möglichst flexibel zu bleiben beziehungsweise sich Optionen zu schaffen und zu bewahren.

Christoph Müller: Wir kennen die Richtung, aber nicht den Weg. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, möglichst flexibel zu bleiben beziehungsweise sich Optionen zu schaffen und zu bewahren. (Quelle: Andreas Martin)

Um ein ökologisches Gleichgewicht auf der Erde halten zu können, ist eine Klimaneutralität der Energiewirtschaft und – damit einhergehend – unseres wirtschaftlichen und privaten Lebens wohl ein zwingendes Ziel. Damit wirkt die politisch gesetzte Klimaneutra­lität bis 2045 weniger als eine Vision, als vielmehr ein Imperativ. Visionen können scheitern, mit zwingend zu erreichenden Zielen sollte dies nicht passieren.

Allen ist klar: Um Klimaneutralität zu erreichen, muss die großtechnische Stromerzeugung aus Kohle und Gas abgestellt werden. Wir wissen, aus welchen Technologien wir aussteigen wollen und wir wissen, welche Komponenten und Technologien wir einsetzen könnten. Auch haben wir Ideen, wie das alles im Gesamtsystem funktionieren könnte. Einen wirklichen, umsetzungsfähigen Plan haben wir aber bislang noch nicht. Den kann es auch nicht geben, denn der technische Fortschritt wird immer neue positive Überraschungen und Möglichkeiten für uns bereithalten – und uns hier und da, wo wir fest mit ihm gerechnet hatten, auch enttäuschen.

Wir kennen die Richtung, aber nicht den Weg. Gerade in dieser Situation ist es wichtig, möglichst flexibel zu bleiben beziehungsweise sich Optionen zu schaffen und zu bewahren. Vor diesem Hintergrund haben wir gerade in der jetzt auslaufenden Legislatur intensiv darüber diskutiert, ob Flexibilität auf der Nachfrageseite im Netz oder im Markt eingesetzt werden soll – ob sie also den Stromnetzausbau dämpfen oder eine Windflaute abfangen soll. Ein Paradebeispiel für Optionen schaffen und (vor allem) bewahren: Spare die Flexibilität für Ereignisse auf, die du nicht beeinflussen kannst und setze sie nicht da ein, wo du dir auch mit anderen Maßnahmen helfen könntest. Das Netz können wir gezielt ausbauen, mit einer Windflaute müssen wir umgehen können.

In der leitungsgebundenen Infrastruktur gilt grundsätzlich, dass sich (nur) über das Netz Handlungsoptionen ergeben. Habe ich ein Problem an Ort A und könnte es durch eine Maßnahme an Ort B lösen, wird das nur funktionieren, wenn A und B durch eine ausreichend starke Infrastruktur verbunden sind. Oder ganz konkret: Im Mai 2015 zerstörte eine lokale Windhose nahe Blumberg im Schwarzwald einen Höchstspannungsmast einer Übertragungsnetzleitung und führte entsprechend auch zu einem Ausfall der Leitung. Es kam aber zu keinen Versorgungsunterbrechungen, weil die Transportaufgabe nach einigen Schalthandlungen vom regionalen Hochspannungsnetz mit übernommen werden konnte.

Eine starke Infrastruktur ist die Basis, die eine versorgungssichere und resiliente Energiewende mit der Vielzahl ihrer volatilen Elemente trägt. Und gerade, weil wir heute noch nicht wissen, wie viel Gewicht diese Basis am Ende dann tatsächlich tragen muss, sollten wir auf ein tragfähiges Fundament achten. Zumal wenn dieses Fundament im Gesamtblick eher vernachlässigbare Kosten hat.

Der Beirat der Bundesnetzagentur rechnet mit 100 Mrd. € notwendigen Netzinvestitionen bis zum Jahr 2045. Das ist gerade einmal die Hälfte von dem, was wir bisher an Vergütung an EEG-Anlagenbetreiber gezahlt haben, was ja nur ein erster Schritt im Energiewendeprojekt war beziehungsweise ist. Und würden wir diese 100 Mrd. € jetzt(!) in einem Schlag(!) in das Netz investieren, würde das deutsche Netzentgelt grob gerechnet um nur 1,5 Ct je kWh steigen. Das so wichtige Netzfundament ist also auch vergleichsweise preiswert.

Wir werden merken, dass die Energiewende besser – wenn nicht überhaupt nur – mit einer starken Infrastruktur funktioniert. Insofern folgt aus dem Imperativ der Energiewende und der angestrebten Klimaneutralität bis 2045 vor allem die Vision, dass vor uns Jahrzehnte der Infrastruktur liegen. Die Energiewende findet im Netz statt. Die Energiewende funktioniert nur mit starker Infrastruktur.

Dr. Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW GmbH, Stuttgart

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