Für die Automatisierung des Redispatch im Kontext der Nabeg-Novellierung schlagen Thorsten van Ellen und Michael Stadler einen Peer-to-Peer-Ansatz vor.

Für die Automatisierung des Redispatch im Kontext der NABEG-Novellierung schlagen Thorsten van Ellen und Michael Stadler einen Peer-to-Peer-Ansatz vor. (Quelle: Martin Heinrichs)

Die Novellierung des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0) ist verabschiedet. Sie enthält auch Instrumente zur Bewirtschaftung von Netzengpässen mittels Redispatch, also zur Verlagerung von Stromtransiten, für Erneuerbare-Energien-Anlagen, KWK-Anlagen und Speicher ab 100 kW. So werden nicht nur Anlagen auf der Höchstspannungsebene, sondern auch Anlagen in den darunterliegenden Netzebenen ab Oktober 2021 unmittelbar zur Netzstabilisierung herangezogen. Damit dies funktionieren kann, müssen auch die Verteilnetzbetreiber mitwirken.

Komplexität der Aufgabe

Die Aufgabe Redispatch ist schon heute sehr anspruchsvoll, wird bislang jedoch lediglich auf der Ebene der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) mit großen Anlagen durchgeführt. Der neue Gesamtprozess ist auf mehreren Ebenen noch fordernder. Dies bedeutet zum einen, dass alle beteiligten Netzbetreiber aller Spannungsebenen jeweils intern individuell eine anspruchsvolle IT-Lösung umsetzen müssen. Zum anderen müssen alle beteiligten Netzbetreiber und Einsatzverantwortlichen extern untereinander kooperieren und ähnlich wie bei der Marktpartnerkommunikation eine strukturierte Business-to-Business-Kommunikation (B2B) umsetzen. Diese dient der Koordination der Engpassbehandlung und ist ein komplexer Ablauf mit vielen Nachrichtentypen zwischen unterschiedlichen Netzbetreibern und Einsatzverantwortlichen. Die Autoren befassen sich im Folgenden ausschließlich mit diesem letztgenannten, kooperativen B2B-Prozessanteil.

Um die Kooperation bei der Engpasskoordinierung per Automatisierung bewältigen zu können, müssen Netzbetreiber und Einsatzverantwortliche besonders vorbereitet sein. Dies umfasst folgende Aspekte:

  • Netzbetreiber müssen untereinander ein unternehmensübergreifendes Verfahren abstimmen, das fachlich festlegt, wie Engpässe übergreifend kooperativ gelöst, kommuniziert und dokumentiert werden.
  • Ebenfalls muss abgestimmt und festgelegt werden, wie IT zur Umsetzung unternehmensübergreifender Prozesse bei jedem Netzbetreiber und möglicherweise zusätzlich auch zentral bereitgestellt wird. Dazu muss
    • technisch festgelegt werden, wie Kommunikationen und Workflows durchgeführt werden
    • die technische Festlegung implementiert werden
    • eine entsprechende Hardware-Umgebung festgelegt und bereitgestellt werden
    • die Implementierung getestet und eingeführt werden.
  • Auch ist zur Umsetzung unternehmensübergreifender Prozesse bei jedem Einsatzverantwortlichen geeignete IT bereitzustellen.

Zur Umsetzung des ersten Aspekts arbeiten BDEW-Gremien bereits an Prozessabläufen und optimieren damit fachlich die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit der Stromnetzbetreiber aller Netzebenen und weiterer Akteure bei regionalen Flexibilitätsabrufen. Zu erarbeiten sind allerdings noch 

  • die Datenbereitstellung (Stammdaten und Fahrpläne der Anlagen sowie Flexibilitäten beziehungsweise Anpassungsmöglichkeiten der Einspeisungen)
  • der Abruf der Flexibilitäten
  • der energetische, bilanzielle Ausgleich
  • die Entschädigung und Abrechnung der Flexibilitäten und Netzbetreiber untereinander
  • die Veröffentlichungs- und Meldepflichten
  • gegebenenfalls die Gestaltung und Einbindung zentraler Systeme wie das Marktstammdatenregister und von Bestandssystemen.

Bereits der prozessuale Aufwand ist also sehr hoch. Anlagen, die sich physisch in einem Netz befinden, können durch vertragliche Änderungen ihre Zuordnung zu Einsatzverantwortlichen ändern. Entsprechend ist sicherzustellen, dass im Gesamtprozess stets eine Kommunikation mit den korrekten Partnern erfolgt. 

Für den Fall, dass einzelne Beteiligte ausfallen, sollen die übergreifenden notwendigen Aufgaben zur Gewährleistung der Netzstabilität trotzdem sichergestellt sein. Dazu muss  im Notfall verfolgt werden können, bei welchem Partner der unternehmensübergreifende Prozess gerade nicht funktioniert und wie groß die Bedarfslücke dadurch geworden ist, die anderweitig zu decken ist. 

Mit der notwendigen dynamischen, unternehmensübergreifenden Kooperation und Kommunikation in kritischen Kontexten gehen eine Reihe typischer technischer B2B- und Security-Aufgaben einher. Dies sind zum Beispiel Identifizierung, Authentifizierung, Autorisierung, geschützte Datenübertragung, PKI-Infra­struktur sowie unternehmensübergreifende Prozesssteuerung, -dokumentation, -verfolgung und Fehlerbehandlung. 

Die anstehende Aufgabe der unternehmensübergreifenden Kooperation ist also in ihrem technischen Umfang nicht mit der Umsetzung einfacher Schnittstellen zwischen zwei Unternehmen vergleichbar. Die besondere inhaltliche Komplexität im neuen Redispatch liegt darin, dass in einer neuen operativen, kritischen und hochkomplexen Wertschöpfungskette die Netzstabilität und Versorgungssicherheit auf allen Netzebenen garantiert werden soll. Dazu müssen zahlreiche, zum Teil zur Laufzeit wechselnde Unternehmen mit unterschiedlichen Aufgaben gleichzeitig, und teilweise in einer umfangreichen Hierarchie angeordnet täglich mehrfach sehr vielfältige Informationen miteinander austauschen. Zur Umsetzung ist es ebenfalls zwingend notwendig, die vielfältigen Bestandssysteme der Unternehmen, zum Beispiel Leitsysteme, einzubinden.

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