Michael Lucke und Stefan Nießen wollen in dem Modellprojekt pebbles nicht nur einen zentralen Marktplatz für Flexibilität entwickeln, sondern auch Erkenntnisse gewinnen, welche regulatorischen Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb notwendig sind

Michael Lucke und Stefan Nießen wollen in dem Modellprojekt pebbles nicht nur einen zentralen Marktplatz für Flexibilität entwickeln, sondern auch Erkenntnisse gewinnen, welche regulatorischen Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb notwendig sind (Bildquelle: Siemens)

Herr Nießen, in Wildpoldsried haben schon einige Modellprojekte für ein Smart Grid stattgefunden. Worum geht es bei dem aktuellen Projekt pebbels?

Nießen: Pebbles steht für Peer-to-Peer Energiehandel auf der Basis von Blockchain. Dabei geht es um die konkrete Implementierung eines lokalen Marktplatzes, bei dem Erzeuger, Verbraucher und Prosumer aktiv ihren Strom verkaufen und die Flexibilität ihrer Geräte vermarkten können. Das ist in Deutschland bisher noch nicht in der Praxis getestet worden, auch wenn die Idee dazu schon fast Common Sense ist.

Das klingt sehr innovativ – vor allem für eine kleine Region im Allgäu. Wie kommt es dazu?

Lucke: Wir starten mit pebbles nicht bei Null. Ein erstes Vorläuferprojekt war die Peesa-Studie 2005. Damals ging es da­rum, herauszufinden, wie hoch der Anteil erneuerbarer Energien in unserem Netzgebiet sein kann, ohne dass es zu Beeinträchtigungen des Netzbetriebs kommt. Positiv war damals schon, dass der Bürgermeister dem Dorf Wildpoldsried eine Identität geben wollte und die Einwohner die Idee unterstützten. Als wir 2004/2005 die Strategie des Allgäuer Überlandwerks (AÜW) überarbeitet hatten, wurde auch beschlossen, dass wir die Energieflüsse künftig stärker steuern. Gemeinsam mit Siemens und der Hochschule in Kempten konnten wir dann im Folgeprojekt Irene zum ersten Mal in Deutschland steuerbare Ortsnetztransformatoren einsetzen.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus den beiden Projekten gewonnen?

Lucke: Von den vielen Praxiserfahrungen möchte ich zwei hervorheben: Mit dem Projekt Irene konnten wir zeigen, dass es realistisch ist, eine Million Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2020 in das Netzsystem in Deutschland zu integrieren. Das wurde damals bezweifelt, und die Diskussionen halten teilweise bis heute an. Eine zweite Erkenntnis war, dass durch den Einbau von Sensorik in der Niederspannung insgesamt weniger neue Leitungen im Verteilnetz gebaut werden müssen.

Damit liegen bereits zentrale Ergebnisse über das künftige Stromsystem vor. Worum geht es nun bei dem modellierten Marktplatz im Rahmen von pebbles?

Nießen: Auf dem Markt treffen Anbieter und Konsumenten von Strom zusammen. Die Anbieter sind Erzeuger und Prosumer, also zum Beispiel Betreiber kleinerer Photovoltaikanlagen. Die Konsumenten sind zum einen normale Verbraucher, aber auch intelligente Verbraucher mit einem Gebäudemanagementsystem, das den Strombedarf einer Wärmepumpe und der Ladeinfrastruktur sowie die Stromspeicherung automatisch regelt. Auf dem Markt handeln diese Teilnehmer primär untereinander, können aber auch am Handel auf übergeordneten Märkten teilnehmen. Wichtigstes Ziel ist es, zu zeigen, dass dies technisch einwandfrei funktioniert. Ob wir das zusätzlich auch kaufmännisch umsetzen und die Teilnehmer mit echten Euros handeln, ist derzeit noch offen.

Wie ist das Projekt pebbles strukturiert?

Lucke: Das Projekt läuft seit März 2018 für drei Jahre. Siemens entwickelt die Software für den Marktplatz und für die Marktteilnehmer sowie Edge-Devices zur Überwachung und Steuerung der Energiekomponenten. Als AÜW akquirieren wir die Marktteilnehmer, schließen diese an den Marktplatz an und realisieren die korrekte Anbindung an den Energiemarkt. Der Verteilnetzbetreiber Allgäunetz untersucht die Möglichkeit, Netzzustände an den Markt zu kommunizieren, um den Markteilnehmern Anreize für ein netzdienliches Verhalten zu bieten. Mit der Hochschule Kempten, die den Energiecampus in Wildpoldsried betreibt, und dem Fraunhofer-Institut FIT ist die wissenschaftliche Begleitung sichergestellt. In ungefähr einem Jahr werden wir mit dem Probebetrieb starten. Dann bleibt noch ein weiteres Jahr, um Erfahrungen zu sammeln.

Auch wenn die Nähe zur Realität beeindruckend ist, bleibt pebbles ein Modellprojekt. Welche regulatorischen Grenzen müssen beseitigt werden, um daraus einen Business Case zu machen?

Nießen: Im gegenwärtigen Regulierungsrahmen wäre ein so vernetztes System von Nachbarn, die ihren Strom teilen, unwirtschaftlich. Sobald der selbst erzeugte Strom das eigene Grundstück verlässt, fallen über 50 % an Steuern und Abgaben und rund 25 % an Netzentgelten an. Damit ist der Strom nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist auch das Problem beim Betrieb von Speichern. Obwohl wir den Strom dort eigentlich nur lagern, wird er als verbraucht berechnet. Wir bräuchten also eine Regelung wie bei der Mehrwertsteuer, wo die Produzenten Vorsteuer für die eingesetzten Vorprodukte abziehen können.

Wenn der gesetzliche Rahmen so bremst, was ist aus unternehmerischer Sicht spannend an dem Projekt pebbles?

Lucke: Wir hoffen, dass das bestehende System von Steuern und Abgaben keine Dauerlösung sein wird. Insofern blicken wir über den heutigen Tag hinaus und interessieren uns für die Bewirtschaftung von Zellen. Wir wollen unsere Geschäftsmodelle weiterentwickeln und sehen einen Weg darin, ein zellulares Netz von Prosumern zu betreiben. Mit dem Auslaufen der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stellt sich für viele Anlagenbetreiber die Frage, wie sie ihren Strom künftig vermarkten können. Das betrifft in unserem Netzgebiet in Kürze rund 8 000 Betreiber von EEG-Anlagen. Prosumer benötigen aber auch immer ein Back-up, wenn ihre eigene Anlage nicht liefern kann. Dann sind wir zur Stelle.

Fluktuierende Erzeugung aus Photovol­taik und Windenergieanlagen braucht eine entsprechend flexible Nachfrage. Wie modellieren Sie diese bei pebbles?

Nießen: Zentrales Element zur Steuerung der Flexibilitäten, die wir bei pebbles untersuchen, sind die Energiemanagementsysteme in den Gebäuden. Diese optimieren große Stromabnehmer wie Wärmepumpen, Stromspeicher und die Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und reagieren dabei auf die Signale des Markts. Bei größeren Gebäuden kommt noch eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage hinzu. Damit haben wir die Idee der flexiblen Nachfrage auf digitale Füße gestellt. Die Software entscheidet selbstständig nach den Vorgaben des Gebäudeeigentümers. In die Entscheidung fließen Prognosen zur PV-Einspeisung, zum Stromverbrauch und zur Entwicklung des Börsenpreises ein.

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