Sprachdialogsysteme: Anrufer schildert Anliegen in natürlicher Sprache.

Anrufer schildert Anliegen in natürlicher Sprache. (Quelle: Spitch)

Moderne Sprachdialogsysteme haben nichts gemein mit den althergebrachten 1-2-3-Telefonmenüs von Service-Hotlines, durch die sich über Jahre hinweg Millionen von Anrufern gequält haben. Bei dieser veralteten Technik ist der Frust meist schon hoch, bevor man überhaupt bei einem menschlichen Gesprächspartner angekommen ist, zumal man häufig gar nicht den fachlich richtigen Ansprechpartner am Hörer hat.

Bei einem modernen Sprachdialogsystem hingegen kann der Anrufer sein Anliegen in natürlicher Sprache schildern und wird danach direkt mit dem passenden Ansprechpartner verbunden – oder die Anfrage kann sogar vom System automatisch beantwortet werden. Beim Anruf meldet sich das System beispielsweise mit »Herzlich willkommen. Bitte schildern Sie uns Ihr Anliegen« und man kann »frei von der Leber« sagen, was man will.

Sprachdialog- und Textsysteme zum Abfangen der Anfragen

Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) sind die Systeme am Telefon in der Lage, gesprochene Sprache (»Meine Heizkostenabrechnung stimmt hinten und vorne nicht«) zu verstehen, selbstständig darauf zu reagieren (»Bitte sagen ­Sie ihre Kundennummer, damit wir Ihr Anliegen bearbeiten können«) und in vielen Fällen auch gleich eine abschließende Antwort zu geben (»Aufgrund der steigenden Energiepreise war leider eine Anpassung Ihres Tarifs erforderlich«).

Anfragen per E-Mail, Messagingdiensten wie WhatsApp oder über die Webseite lassen sich durch KI-Chatbots ebenso automatisiert und dennoch individuell beantworten. Moderne Systeme ermöglichen den Wechsel des Kommunikationskanals, können also den Kunden, der vom Internet zum Telefon wechselt, nahtlos weiter bedienen.

Reisebranche hat erlebt, was jetzt auf die Energieversorger zukommt

Die Reisebranche hat erlebt, was es bedeutet, einen Kommunikationsansturm der Kundschaft, wie er aufgrund der Pandemie ausbrach, nicht bewältigen zu können. Die Energiebranche ist gut beraten, zügig kommunikationstechnisch aufzurüsten, um nicht ein ähnliches Desaster zu erleben. Telefonleitungen, die stunden- oder gar tagelang nicht erreichbar sind, und Textnachrichten, die bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag unbeantwortet bleiben, machen jedwede Kundenbindung zunichte.

Corona hat gezeigt, dass viele Kunden Verständnis haben, wenn außergewöhnliche Ereignisse unerwartete Auswirkungen mit sich bringen. Es hat sich aber auch herausgestellt, dass sie von Anbieterseite zumindest eine zügige und qualifizierte Reaktion auf ihre Anfragen erwarten. Herkömmliche Kundencenter, ohne die Unterstützung von Sprach- und Textdialogsystemen und ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz, können einen derartigen Ansturm schlichtweg nicht bewältigen.

Trefferquote über 85 Prozent

Damit ein Sprachcomputer bei möglichst vielen Anrufern versteht, worum es geht, ist es notwendig, das Fachvokabular des jeweiligen Unternehmens in das System einzuprogrammieren. Dazu gehören nicht nur branchenspezifische Standardbegriffe wie »Stromzähler« oder »Gasabrechnung«, sondern beispielsweise auch die Bezeichnungen für die einzelnen Tarife des jeweiligen Versorgers. Durch eine Fachdatenbank mit integriertem Wörterbuch aller Begriffe wird das System in die Lage versetzt, während eines Telefonats blitzschnell zu erkennen, worum es jedem Anrufer geht. Für dieses »Computertraining« sollte ein Unternehmen zwei bis drei Wochen Vorlaufzeit einkalkulieren. Die endgültige Inbetriebnahme des Systems einschließlich der Testläufe in Bezug auf das Kundenverhalten am Telefon dauert in der Regel zwei bis drei Monate.

Technisch verbirgt sich hinter modernen Sprachdialogsystemen eine künstliche Intelligenz gekoppelt mit einer Stimmerkennung. Diese erkennt in allen Dialekten und unabhängig davon, ob der Anrufer kurz ins Telefon blafft oder in langen Sätzen ausführlich sein Anliegen vorträgt, mit mehr als 85 % Zuordnungsgenauigkeit den Grund für den Anruf und stellt zum passenden Ansprechpartner durch.

Das bedeutet im Kundencenter, dass der Anrufer beinahe immer beim richtigen Ansprechpartner für das Thema landet. Dieser sieht zudem auf seinem Bildschirm, was der Kunde gesagt hat. Damit ist ein für beide Seiten gutes und zielführendes Telefonat vorprogrammiert. Das hat zur Folge, dass nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern auch die Zufriedenheit der Beschäftigten steigt – in Zeiten des Fachkräftemangels ein unschätzbarer Vorteil.

Dazu trägt bei, dass sich ein Teil der Anfragen möglicherweise vom Computer automatisch beantworten lässt, beispielsweise bei notwendig gewordenen Preiserhöhungen, Tarifumstellungen oder Versorgungseinschränkungen. Da das Sprach- und Textdialogsystem nach der Installation weitgehend unabhängig von der IT-Abteilung läuft, lassen sich aktuelle Änderungen zum Beispiel bei Ansage- und Auskunftstexten binnen kürzester Zeit, in der Regel in weniger als einer Stunde, vornehmen. Allein diese Flexibilität stellt einen unschätzbaren Vorteil bei der Kundenkommunikation angesichts einer schwer abschätzbaren Kosten- und Versorgungslage dar.

Anschaffung ab 100 Anrufen täglich

Die Anschaffung eines Sprachdialogsystems lohnt sich für jedes Unternehmen, das durchschnittlich mehr als 100 Anrufe am Tag erhält. Bei mehr als 500 Anrufen ist es unverantwortlich, Kunden und Kollegen den 1-2-3-Telefonhorror zuzumuten, statt eine moderne Schildern-Sie-Ihr-Anliegen-Lösung einzuführen.

Wohlgemerkt: Es geht meistens nicht darum, dem Kunden ein Robotergespräch aufzuzwängen, sondern ihn schneller mit dem für sein Anliegen richtigen Menschen zu verbinden. Nur in Ausnahmefällen werden Kundenanfragen völlig automatisiert beantwortet. Angesichts der Versorgungsunsicherheit sollte indes für Energieversorger und Stadtwerke die Vorbereitung auf Ausnahmesituationen zur Regel werden.

Die Kategorisierung gleich im ersten Schritt ermöglicht in jedem Fall eine deutlich bessere Auswertung im Hinblick auf die Frage, warum sich Kunden melden. Es ist ein Unterschied, ob der Anrufer nur über die notwendig gewordene Tarifanpassung oder seine Zukunftsängste in Bezug auf die Versorgungslage bei Gas oder Strom diskutieren will. Die Analyse der Gründe für einen Anruf wird für viele Stadtwerke und Energieversorger verblüffend sein. Sie ermöglicht eine viel gezieltere Aufteilung der Beschäftigten auf die verschiedenen Kompetenzfelder.

Mit Computern sprechen wird zum Alltag

Die Entscheidung für ein Sprachdialogsystem stellt übrigens keine »Notlösung« angesichts eines einmaligen Ansturms dar, sondern den Einstieg in eine moderne Kundenkommunikation. Mit einer Computerstimme zu sprechen wird nämlich künftig so alltäglich werden wie die Nutzung eines Smartphones, wie Expertenumfragen ermittelt haben. Insgesamt 95 % der Fachleute sind davon überzeugt, dass das Telefonieren mit einem Sprachcomputer künftig mehr oder minder zur Normalität gehören wird. Rund 86 % der Experten gehen davon aus, dass es künftig die Regel sein wird, dass am Telefon einer Firma oder eines Amts nach dem ersten Klingeln sofort von einem Sprachcomputer abgehoben wird. Das Warten, bis jemand zum Hörer greift, wird bald so anachronistisch wie die Wählscheibe am Telefon werden.

Kunden erwarten Omnichannel-Kommunikation

Die Kunden erwarten über das Telefongespräch hinaus zunehmend Omnichannel-Kommunikation. Beispiel: Der Kunde schickt Dokumente per E-Mail, sendet noch einen wichtigen Kommentar dazu per WhatsApp und ruft einige Zeit später ungeduldig an, um sich über den Stand der Dinge zu erkundigen. Die Herausforderung für Sprachdialogsysteme besteht darin, diesem Kunden während seines Anrufs eine zufriedenstellende Auskunft zu erteilen beziehungsweise dem internen Ansprechpartner zu Beginn des Gesprächs alle relevanten Informationen auf dem Bildschirm darzustellen.

Engie als Vorbild

Als aktuelles Beispiel ist der Energieversorgungskonzern Engie zu nennen, der im Sommer 2022 ein neues Sprachdialogsystem von Spitch in Betrieb genommen hat. Mit über 60 Mrd. € Jahresumsatz 2021 zählt Engie zu den größten Energieversorgern weltweit.

Ausschlaggebend für die Wahl des Systems waren das Streben nach einer höheren Kundenzufriedenheit, die Flexibilität bei der Anpassung an die firmenspezifischen Anforderungen, die eigenständige Funktionalität unabhängig von der firmeneigenen IT-Abteilung, die strikte Beachtung aller Kriterien für den Datenschutz und die Möglichkeit zur automatischen Analyse der Kundenkommunikation.

Die zuvor ausschließlich im CRM-System gespeicherten Kundendaten können seitdem mit Erkenntnissen aus den Telefonaten automatisch ergänzt werden. Dadurch ergeben sich abteilungsübergreifende Vorteile, weil beispielsweise aufgrund der Telefongespräche klar wird, dass ein Kunde von einer weiteren Abteilung angesprochen werden sollte, die ihn zuvor nicht einmal »auf dem Radar« hatte. Die aus den Telefonaten gewonnenen Einsichten lassen sich also für Vertrieb, Marketing und Kundenservice gleichermaßen nutzen. Nach ersten Testläufen verwendet Engie das Sprachdialogsystem zwischenzeitlich für alle eingehenden Telefonate.

Einstieg in die Zukunft

Die Vorteile der künstlichen Intelligenz bei Sprach- und Textdialogsystemen reichen weit in die Zukunft. Es ist absehbar, dass künftig ein erheblicher Teil der Kommunikation mit Kunden und Inte­ressenten auf diese Art und Weise erfolgen wird.

Bernd Martin, Deutschland-Verantwortlicher, Spitch AG, Zürich/Schweiz, bernd.martin@spitch.ch, www.spitch.ai

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