
Ludger Hemker: Für Stadtwerke hat die Digitalisierung drei große Stränge: die Prozessoptimierung und Prozesskostensenkung, die Kundenschnittstelle und das Thema Daten.
Herr Hemker, Items ist mittlerweile seit 20 Jahren als Full-Service-IT-Dienstleister für die Versorgungsbranche tätig. Wie hat sich Ihr Geschäft in dieser Zeit verändert?
Hemker: Die Items GmbH ist im Jahr 1999 als Ausgründung des IT-Bereichs der Stadtwerke Münster entstanden. Zu dieser Zeit waren die IT-Strukturen wesentlich einfacher und die IT-Durchdringung in den einzelnen Unternehmen auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Im Zuge der steigenden Bedeutung von IT-Technologien konnten wir weiter Kunden von unserem Angebot überzeugen und IT-Bereiche dieser Kunden in unser Unternehmen holen. Im Ergebnis sind wir von damals 30 Mitarbeitern auf heute 300 Mitarbeiter gewachsen – auch ein Indiz für die gestiegene Komplexität der IT in der Versorgungswirtschaft. Im Prinzip sind wir ein digitaler Zwilling der Stadtwerke, der alle Themen der Liberalisierung – ganz massiv zum Beispiel die Mandantentrennung – mitgemacht hat. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Als die Aufgabe bestand, die vorhandenen IT-Systeme im Zuge des informatorischen Unbundling in Netz- und Vertriebsmandanten aufzutrennen, haben wir gemeinsam mit und für die Stadtwerke Münster, Lübeck, Kassel und Osnabrück die komplett neue IT-Plattform Billing4us entwickelt. Die Implementierung einer einheitlichen Plattform bei unterschiedlichen Unternehmen, die bis dahin mit eigenen Lösungen gearbeitet hatten, war durchaus anspruchsvoll. Aber der Erfolg hat uns Recht gegeben: Es entstand eine IT-Plattform, mit der die Prozess- und IT-Betriebskosten bei den einzelnen Unternehmen deutlich gesenkt werden konnten. Mittlerweile setzen auch weitere Stadtwerke auf die Plattform Billing4us als Rückgrat ihrer Abrechnungsprozesse.
Wie viele Unternehmen nutzen diese Plattform heute?
Hemker: Auf der Plattform selbst sind momentan sieben Unternehmen. Weitere Stadtwerke haben zwar noch nicht gewechselt, nähern sich aber im Zuge der jährlichen Formatwechsel iterativ an das System an. Entscheidend ist jedoch, dass wir es über alle Kunden hinweg geschafft haben, die Prozesse im Rahmen der Formatwechsel immer weiter zu standardisieren und so die Kosten zu reduzieren. So können wir auch für diejenigen Unternehmen, die keine komplette Migration wünschen, sukzessive Standards umsetzen.
Perspektivisch ist aber ein kompletter Wechsel auf Ihre Plattform das Ziel?
Hemker: Das ist sicherlich das Ziel – vor allem auch aufgrund des von SAP geplanten Technologiesprungs auf S/4 Hana. Aber der Weg dorthin ist je nach Kunden sehr individuell. So gibt es Unternehmen wie Enervie, die aktuell entschieden haben, künftig mit unserer Plattform auf Netzseite zu arbeiten und mit uns gemeinsam den technologischen Wechsel zu vollziehen. Andere werden sicherlich im Zuge der Hana-Umstellung oder im Anschluss daran den Wechsel auf die Plattform vollziehen.
Mit sieben Stadtwerken als Gesellschafter kennen Sie die Bedürfnisse der Branche sehr genau. Wo drückt den kommunalen Unternehmen im Bereich der Digitalisierung zurzeit am meisten der Schuh?
Hemker: Für Stadtwerke hat die Digitalisierung drei große Stränge: Zum einen die Prozessoptimierung und Prozesskostensenkung, zum zweiten das Thema Kundenschnittstelle, also Kunden über unterschiedliche Kanäle und Services zu binden, und zum dritten das Thema Daten, denn große Mengen an Daten müssen künftig erfasst, verarbeitet und vor allem nutzbar gemacht werden. Gerade dieser Punkt – ein Kernthema der Digitalisierung – führt direkt zum Thema Smart City. Dieses Feld haben wohl alle Stadtwerke für sich erkannt und sehen hier interessante Möglichkeiten, um neue Geschäftsfelder aufzubauen. Dabei wollen wir sie unterstützen und zusammen neue Dienstleistungen für die Kommune, die Bürger und die lokale Wirtschaft entwickeln. Ein Beispiel dafür sind die LoRaWAN-Projekte, die wir in mehreren Städten begleiten, oder auch unsere Lösungen für Kombiprodukte für Energieversorger und die lokale Wirtschaft, die auf großes Interesse stoßen.
Der Weg zur Smart City ist sicher kein einfacher. Wo sehen Sie hier Einstiegsmöglichkeiten – vor allem für Stadtwerke?
Hemker: Vor allem LoRaWAN ist ein optimales Hilfsmittel für Stadtwerke, um in Sachen Smart City aktiv zu werden und viele unterschiedliche Use Cases abzubilden. Zum einen bieten sich für die Unternehmen selbst viele Möglichkeit, zum Beispiel zur Überwachung ihrer Infrastruktur. Zum anderen gibt es viele interessante Ansatzpunkte für weitergehende Dienstleistungen – zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Sicherheit oder Luftreinhaltung. Konkrete Ansätze dafür, die regional durchaus sehr unterschiedliche sein können, identifizieren wir zusammen mit den Städten und Stadtwerken im Rahmen von Workshops.
Welche konkreten Dienstleistungen bieten Sie momentan bei LoRaWAN?
Hemker: Wir beraten und unterstützten Stadtwerke unter anderem beim Aufbau der Netze und bei der Entwicklung der Use Cases. Wichtig ist dabei auch die effiziente Einbindung aller Beteiligten, um zusammen mit Partnerunternehmen eine einheitliche Plattform aufbauen zu können und viele spannende Ideen für neue Use Cases zu entwickeln. Sehr aktiv sind wir hier zum Beispiel bei den Stadtwerken Lübeck, deren Engagement vor Kurzem auch im Rahmen der BMWi-Initiative »Stadt Land Digital« ausgezeichnet wurde. Aber auch in anderen Städten haben wir erste Aktivitäten gestartet. So konnten wir erfolgreich einige Hackathons mit sehr positiver Öffentlichkeitswirkung organisieren.
Wie genau gehen Sie dabei vor?
Hemker: Leitidee des in Münster bereits zweimal durchgeführten Hackathons ist es, Ideen unterschiedlicher Menschen und Gruppen zu sammeln, um die Stadt durch Digitalisierung besser und lebenswerter zu machen. Ob Stadtentwickler, Techies oder Menschen mit Visionen, jeder hatte die Möglichkeit, an dem Hackathon teilzunehmen. Entwickler stellen Themen vor, Gruppen finden sich spontan zusammen, entwickeln Lösungen und präsentieren Ergebnisse. Bisher sind dort viele tolle Ideen entwickelt worden. Ein konkretes Beispiel: Der Aasee ist für Münster der größte Naherholungsraum im Stadtgebiet. Als im Rekordsommer 2018 dort ein massives Fischsterben mit vielen Tonnen toter Fische einsetzte, waren die öffentlichen Diskussionen entsprechend groß. Im Oktober 2018 hatte sich daraufhin im Rahmen des Hackathron eine Gruppe diesem Thema angenommen. Ergebnis sind Bojen mit speziellen Sensoren als eine Art Frühwarnsystem, das Messwerte in kurzen Abständen zur Überwachung der Wasserqualität per LoRaWAN an eine zentrale Stelle übermittelt. Diese Idee hat reges Interesse ausgelöst und soll jetzt als Use Case umgesetzt werden.
Welche Rolle sollten Stadtwerke in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht künftig einnehmen – eher diejenige als reine Infrastrukturbetreiber oder auch als Anbieter zusätzlicher Dienstleistungen?
Hemker: Natürlich werden Stadtwerke künftig weiterhin die Rolle als städtischer Infrastrukturdienstleister wahrnehmen. Allerdings hat sich die Definition des Begriffs Infrastruktur deutlich verändert. Es geht heute bei weitem nicht mehr nur um die klassische Ver-/Entsorgungs- und ÖPNV-Infrastruktur. Es geht vielmehr um zusätzliche Services, um Plattformen und auch um das Thema Daten. Durch das Vertrauen, das Stadtwerke bei den Bürgern haben, lassen sich diese sinnvoll nutzen, auch um einen Gegenpart zu den Googles und Amazons dieser Welt zu bieten. Für Stadtwerke ergeben sich hier zahlreiche Chancen, sich über Plattformen zu profilieren.
Zum Beispiel mit Ihrer Plattform Citylink?
Hemker: Richtig. Citylink ist eine smarte Lösung für Stadtwerke, um als kommunaler Player neue Geschäftsfelder zu generieren und einen digitalen Kundenzugang zu erhalten – und zwar auch abseits der klassischen Energiethemen. Denn über Citylink können unterschiedliche Produkte und Ideen kombiniert angeboten werden, also ein Energie- oder Verkehrstarif mit Produkten der lokalen Wirtschaft – zum Beispiel ein Busticket für Sonntag Nachmittag plus eine Eintrittskarte für den Zoo und ein Gutschein für den lokalen Imbiss. Solch neue Kombiangebote lassen sich über unsere Plattform sehr schnell zusammenstellen und anbieten. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Nachfrage nach solchen Angeboten genau analysiert werden kann und sich so Trends schnell erkennen lassen. Diese Daten bilden dann wiederum die Basis, um schnell neue und kundenorientierte Geschäftsfelder entwickeln zu können.
Bei LoRaWAN kooperieren Sie mit unterschiedlichen Partnern. Wie stellen sich diese Kooperationen dar und sind weitere geplant?
Hemker: Wir kooperieren mit unterschiedlichen Partnern, so zum Beispiel auch mit der Digimondo GmbH. Hier ist die Aufgabenverteilung klar definiert: Digimondo liefert die IoT-Plattform und wir treiben die Projekte bei den Stadtwerken voran. Im Betrieb gewährleisten wir den First-Level-Service – also die Grundthemen –, während der Second- und Third-Level-Service von Digimondo sichergestellt wird.
Sie haben auf der E-world 2019 erstmals das Produkt myinnoHUB vorgestellt, eine digitale Plattform, um die Innovationskultur und die Innovationsfähigkeit in Stadtwerken zu fördern. Was verbirgt sich hinter dieser Plattform?
Hemker: Die Idee zu myinnoHUB ist aus der Diskussion heraus entstanden. Stadtwerke tun sich mitunter schwer mit Innovationen. Oft ist dies jedoch ein Problem der Kommunikation, der althergebrachten Denkweise und der Trennung zwischen Netz und Vertrieb. Ein übergreifendes Denken findet daher oft nicht statt. Das Ergebnis: Mitarbeiter, die über ihren Bereich hinausgehende Ideen haben, scheitern oft an den Grenzen und Widerständen innerhalb ihres eigenen Bereichs. Unsere Idee zielt daher darauf ab, einen Kanal zu entwickeln, in den man Ideen einstellen, verfolgen und bewerten kann. So fällt keine Idee mehr unter den Tisch. Im Gegenteil, sie erfährt vielmehr Wertschätzung im ganzen Unternehmen. In Folgeprozessen lassen sich diese Ideen dann kontinuierlich verfeinern, filtern und zu einem Produkt weiterentwickeln. Dieser gesamte Prozess wird mit myinnoHUB begleitet. Diese Lösung soll jedoch perspektivisch nicht auf einzelne Unternehmen beschränkt bleiben. In einem Release 2.0 wollen wir diese Ideen dann auch nach außen spiegeln, sodass sie gemeinsam mit anderen Stadtwerken innerhalb der Plattform genutzt werden können. In den bisherigen Gesprächen war durchweg ein großes Interesse seitens unserer Stadtwerke-Partner festzustellen.
Bei wie vielen Unternehmen ist die Plattform bisher im Einsatz?
Hemker: Wir sind hier in der Kommunikation weiter als in der Umsetzung. Zurzeit bauen wir die Plattform mit drei Stadtwerken gemeinsam auf. In schätzungsweise vier bis sechs Monaten wollen wir dann das fertige Produkt anbieten können.
Items ist an dem Projekt MaKoChain beteiligt, einem Prototypen für den Lieferantenwechsel auf Basis der Blockchain-Technologie. Welche Erwartungen setzen Sie als IT-Dienstleister in diese Technologie?
Hemker: Wir setzen sehr auf diese Technologie, denn durch sie wird erstmals Rechtssicherheit bei internetbasierten Prozessen geschaffen. Entsprechend groß wird auch deren Bedeutung in Zukunft sein. Allerdings rangiert die Blockchain bei uns zurzeit hinsichtlich der Priorisierung noch hinter Projekten wie myinnoHUB. Bei der Blockchain-Technologie sind wir noch ganz am Anfang der Entwicklung. Hier steht also zurzeit noch der Wissensaufbau im Vordergrund, um einschätzen zu können, inwieweit und in welchen Bereichen diese Technologie genutzt werden kann. Ich bin mir sicher, dass sich hierbei vielfältige Einsatzmöglichkeiten ergeben. Unsere Prioritäten setzen wir heute aber woanders, also auf Lösungen, die wir auch sehr schnell in den Markt bekommen.
Herr Hemker, Items feiert in diesem Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen. Wo liegen die Schwerpunkte der künftigen Unternehmensentwicklung?
Hemker: Für Stadtwerke wird es zunehmend eine Herausforderung, die für die energiewirtschaftlichen Prozesse erforderlichen hochkomplexen und leistungsfähigen IT-Systeme auch unter Berücksichtigung der IT-Sicherheit betreiben zu können. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich daher mit der Frage, ob sie sich diesen Herausforderungen selbst stellen wollen, oder ob sie nicht eher auf Kooperation, wie wir sie bieten, setzen. Ich bin mir sicher, dass auf die Unternehmen der Versorgungsbranche in den nächsten Jahren umfassende und vielfältige Veränderungen zukommen werden. Das Produktspektrum der Stadtwerke wird sich ändern – immer mehr in Richtung non-commodity-Produkte. Auch im Zusammenhang mit der Entwicklung hin zur Smart City wird sich die Rolle der Stadtwerke als Lösungsanbieter vollkommen ändern. All dies wird getrieben durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung. Dies hat auch zur Folge, dass sich das Wissen und die Arbeitsweisen der Mitarbeiter vollkommen ändern werden, oder ändern müssen. Bei diesem spannenden Transformationsprozess wollen wir die Stadtwerke als Kooperationspartner und Dienstleister begleiten. Denn eines ist klar: In einer immer komplexer werdenden Energiewirtschaft können viele Aufgaben und Prozesse in Kooperationen deutlich besser und effizienter erledigt werden, als von jedem Stadtwerk allein.