Ungenaue Bilanzierung des Ladestroms

Bedarfsgerechte Bilanzierung per Blockchain

Die im Hintergrund ablaufenden Prozesse beim Laden sind komplex. Die Idee von BANULA: Deutschlandweit werden alle Ladepunkte über ein Blockchain-basiertes Netzwerk zusammengeschlossen (Quelle: Transnet BW)

Schwierigkeiten ergeben sich auch für das Stromnetz. Aktuell sind die Ladesäulenbetreiber für die Bilanzierung von Strom verantwortlich. Das heißt: Sie müssen für ihre Ladesäulen den Stromverbrauch je Viertelstunde planen und vorab beschaffen. Dies erfolgt derzeit über ein standardisiertes Profil, das der Verteilnetzbetreiber dem Stromlieferanten der Ladepunkte vorgibt. Bei öffentlichen Ladepunkten in Baden-­Württemberg dominiert beispielsweise das sogenannte Bandlastprofil. Dieses nimmt an, dass an einem Ladepunkt zu jeder Zeit ein konstanter Verbrauch vorliegt. Die infolgedessen beschaffte Strommenge stimmt jedoch fast nie mit dem tatsächlichen Ladeverhalten überein. 
Zu den allermeisten Viertelstunden des Tages ist deshalb zu viel oder zu wenig Strom im Netz. Bei der derzeit geringen Zahl an E-Autos ist dieser Fehler noch beherrschbar. Bei immer mehr E-Autos auf dem Markt könnte sich das jedoch auf die Systemsicherheit auswirken. Übertragungsnetzbetreiber müssten dann verstärkt Regelenergie einsetzen, um entstandene Ungleichgewichte auszugleichen. Leidtragende wären die Stromverbrauchenden, die diese teuren Eingriffe über die Netzentgelte bezahlen.

Daten und deren sichere ­Verarbeitung

Die Lösung für Verbrauchende und das Stromnetz ist eine bedarfsorientierte Bilanzierung. Strom sollte nicht nach einem Standardlastprofil, sondern gemäß dem Bedarf der Elektrofahrzeuge bilanziert (geplant und beschafft) werden. Je besser dieser Bedarf im Voraus prognostiziert wird, desto geringer sind die Fehlmengen beim Einkauf. Damit das gelingt, braucht es vor allem eines: Daten und deren sichere Verarbeitung. Aktuell stehen die Ladedaten der E-Fahrzeuge nicht transparent zur Verfügung. Das System der E-Mobi­lität ist äußerst komplex, intransparent und vertragslastig. 
Bei BANULA werden diese Herausforderungen gelöst, indem ein physisches Bilanzierungsgebiet virtuell über viele abgebildet wird. Die Idee: Deutschlandweit werden alle Ladepunkte über ein Blockchain-­basiertes Netzwerk zusammengeschlossen. Dort kann ein zuverlässiger und vertrauensvoller Datenaustausch zwischen allen Netzbetreibern, Ladesäulen-, Strom- und Mobilitätsanbietern auf Ladepunktebene stattfinden. Trotz Konkurrenz kooperieren sie in Bereichen, wo dies für den Kunden und das Ökosystem vorteilhaft ist (Koopetition). Die geladene Strommenge pro Ladepunkt und -vorgang lässt sich beispielsweise dem jeweiligen Mobilitätsanbieter zuordnen.

Neue Wertangebote für Kunden

Die Blockchain-Technologie dient dabei als manipulationssichere und transparente Datendrehscheibe zwischen allen Akteuren. Alle erhalten auf Basis dieses dezentralen Netzwerks die für sie relevanten Daten. Da Daten nur nach festgelegten Regeln gespeichert und verteilt werden können, werden Daten zu Fakten. Wie viel Strom beschafft und wie viel geladene Energie abgerechnet wird, unterliegt dem Mobilitäts-Serviceanbieter und nicht mehr dem Ladesäulenbetreiber. Auf diese Weise entstehen neue Wertangebote für Kunden, zum Beispiel an jeder Ladesäule zum bekannten Preis ihres Stromanbieters laden zu können. Oder: unterwegs den PV-Strom vom eigenen Dach zu beziehen. 
Gleichzeitig laden die Verbrauchenden nach wie vor physikalisch an den Ladesäulen, wodurch mancherorts Netzengpässe entstehen könnten. Auch hierfür bietet ­BANULA eine Lösung: Erstmals ist es Verteilnetzbetreibern möglich, einzusehen, wie hoch die aggregierte Last durch Ladevorgänge an bestimmten Orten ihres Netzes ist. Sie können damit das Ladeverhalten echtzeitnah einsehen, prognostizieren und Netzbelastungen proaktiv managen. 

Rückspeisung aus den E-Fahrzeugen

E-Fahrzeuge haben sogar das Potenzial, selbst bei Netzengpässen auszuhelfen, indem sie Strom ins Netz zurückspeisen oder ihr Ladeverhalten ändern. Daran forscht TransnetBW bereits intensiv. Flächendeckend möglich würde dies aber erst durch die beschriebene bedarfsorientierte Bilanzierung und die Teilnahme im virtuellen Bilanzierungsgebiet.
BANULA zeigt: Ein virtuelles Bilanzierungsgebiet hat Vorteile für verschiedenste Akteure. Da Vermittlungs- und Zwischenhandelsprozesse durch BANULA wegfallen, spart es Zeit, Geld und fördert den Wettbewerb am Ladepunkt. Es steigert zudem die System- und Versorgungssicherheit sowie die Akzeptanz von E-Mobilität. All das ist entscheidend, um Energie- und Verkehrswende in Einklang – und voran – zu bringen.

Dr. Rainer Enzenhöfer, Manager Disruptive Entwicklungen Netzwirtschaft bei TransnetBW
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