Interview zur Datenaustausch und Redispatch-Plattform (DA/RE)

Die DA/RE Projektverantwortlichen Dr. Kilian Geschermann von Netze BW und Florian Gutekunst von TransnetBW

Bild 2. Dr. Kilian Geschermann (l.), Netze BW und Florian Gutekunst, TransnetBW sind für das Projekt DA/RE verantwortlich

np:Wo stehen Sie aktuell im Projekt DA/RE?

Gutekunst: Wir sind mitten im Pilotbetrieb. Ende Juni endete die erste Phase. In dieser Phase haben die Projektteilnehmer MVV Trading, Next Kraftwerke, Sonnen, Entelios, die drei Verteilnetzbetreiber Netze BW, MVV Netze, Stadtwerke Schwäbisch Hall und wir als Übertragungsnetzbetreiber die Art und Weise des Datenaustauschs und den Koordinationsprozess ausgearbeitet und definiert. Nachdem wir das Konzept abgestimmt hatten und der erforderliche Datenaustausch funktionierte, startete Ende Juni die zweite Pilotphase mit ersten Abrufen von Pilotanlagen aus dem Verteilnetz für Redispatch-Zwecke. Dabei konnten wir zeigen, dass der Abruf verschiedener Technologien wie Batterie- Heimspeicher, mehrere Biogas-Anlagen sowie ein Abfall- und ein Heizkraftwerk funktioniert.

Wie Großkraftwerke Engpässe ausgleichen, wissen wir aus Erfahrung. Wir wissen aber nicht, wie es funktioniert, wenn wir auf eine Vielzahl kleinerer Anlagen im Verteilnetz zurückgreifen. Für uns als ÜNB ist es interessant, dass wir den Abruf im Kilowattbereich schaffen. Weitere Tests laufen jetzt in der zweiten Phase. Der nächste Schritt ist die Automatisierung. Wenn etwa Netzbetreiber auf eine Kapazität zugreifen wollen, diese aber für beide nicht reicht, soll automatisch eine Kapazität an anderer Stelle hinzugezogen werden. Dieser Koordinierungsprozess ist auf der Pilotplattform zwar umgesetzt, läuft aber noch nicht komplett automatisch. Auf der Zielplattform soll alles automatisch ablaufen, um im Redispatch auf eine Vielzahl kleinteiliger Anlagen zugreifen zu können.

Geschermann: Wir haben Anlagen abgerufen, die in allen Spannungsebenen angeschlossen sind. Von der Nieder- bis zur Hochspannung waren dies unterschiedlich große Anlagen. In der Niederspannung ging es um Kilowatt-Größenordnungen und in der Hochspannung um Anlagen, die auch im Megawattbereich liegen. Wichtig war uns, die volle Bandbreite auf allen Ebenen vertreten zu haben, um zeigen zu können, dass es wirklich mit allen Anlagen in den unterschiedlichen Spannungsebenen funktioniert.

np: Nach welchen Kriterien richten Sie sich im Engpassmanagement aus?

Geschermann: Ein wesentlicher Grundsatz des Koordinierungsprozesses ist, dass im Netz des Anschlussnetzbetreibers nichts geschieht, von dem dieser nichts weiß. Alle Netzbetreiber von der unteren bis zur oberen Ebene sind beteiligt. Sie sollen stets über Abrufe informiert sein und die im eigenen Netz vorhandenen Flexibilitätspotenziale freigeben. Das heißt, jeder Netzbetreiber muss zunächst über verfügbare und freigegebene Flexibilitätspotenziale mittels Datenaustausch und Koordinierungsprozess Kenntnis erhalten. Ein Netzbetreiber kann hier Flexibilitätspotenziale auch nicht freigeben oder einschränken, sodass andere Netzbetreiber diese nicht einfach abrufen und damit einen Engpass beim betreffenden untergeordneten Netzbetreiber hervorrufen. Erst nach Abschluss des Koordinierungsprozesses findet ein Abruf statt. Genau dieser Koordinierungsprozess steht in der Pilotphase im Fokus und wird genau erprobt. Dabei gibt es verschiedene Anwendungsfälle.

Gutekunst: Hat ein Netzbetreiber Restriktionen oder Probleme im Netz, muss er das der Plattform mitteilen. Grundsatz ist ebenfalls, dass Netzbetreiber ihren üblichen Verpflichtungen nachkommen. Sie müssen selbst einschätzen, ob Redispatch aufgrund eines Engpasses nötig ist. Das nimmt ihnen die Plattform nicht ab, indem sie alles berechnet, sondern es bleibt im Verantwortungsbereich der Netzbetreiber. Darüber informieren sie die Plattform, die das schlussendlich auch wieder koordinieren kann.

np:Sie sprachen von unterschiedlichen Anwendungsfällen. Was für ein Fall kann das sein?

Geschermann: Ein möglicher Anwendungsfall ist, wenn zwei Netzbetreiber aus unterschiedlichen Spanungsebenen, so etwa ein vorgelagerter Netzbetreiber, sprich der Übertragungsnetzbetreiber oder ein Verteilnetzbetreiber, und ein nachgelagerter Verteilnetzbetreiber beide einen Engpass in ihrem Netz ausmachen und auf Redispatch-Potenziale im Verteilnetz zurückgreifen wollen und den Bedarf in die gleiche Richtung anmelden. Dann muss es möglich sein, diesen Bedarf geeignet zusammen zu führen, um nicht zweimal Kapazitäten abzurufen.

Gutekunst: Um für solch einen Fall ein Zahlenbeispiel zu geben, nehmen wir einmal an, dass zwei Verteilnetzbetreiber Bedarf an Redispatch haben. Betreiber 2 hängt dabei am Netz von Betreiber 1 und ist diesem nachgelagert. Im koordinierten Verfahren, wenn Betreiber 2 zum Redispatch 4 MW abrufen muss, hilft das zugleich Betreiber 1. Dieser benötigt 10 MW, braucht aber nur 6 MW abzurufen. Die Summe der Abrufe beträgt 10 MW. Rufen beide dagegen einzeln ab, sind 14 MW nötig. Mit der Koordinierung über DA/RE geht es folglich effizienter, da weniger Kapazitäten abgerufen werden müssen. Das gilt für Einspeise- und Aufnahmekapazitäten gleichermaßen.

np:Wie wollen Sie sich vor Angriffen von außen schützen?

Gutekunst: Sicherheit ist für uns ein zentrales Thema im Projekt. Momentan tragen wir alle verschiedenen Anforderungen zusammen. Für welche Sicherheitslösung und Verschlüsselungstechnik wir uns letztlich entscheiden, darauf gibt es allerdings noch keine Antwort. In der Pilotphase sind wir mit den Projektteilteilnehmern und Mitgliedern des Projektbeirats aus der Fachbranche im Gespräch. Über gezielte Inputs zum Projekt sind wir hier froh. Wir holen die verschiedenen Meinungen aus der Fachwelt ein und diskutieren sie, um uns für ein passendes Sicherheitskonzept zu entscheiden.

Geschermann: Ein standardisiertes Verfahren ist gefragt, das ein abgestimmtes Vorgehen gewährleistet. Sonst kommt es sehr schnell zu Problemen. Deswegen ist es uns wichtig, dass weitere Meinungen ins Projekt einfließen, u. a. über den Beirat, aber auch über geeignete andere Kanäle, die wir berücksichtigen.

np: Kommen neue Partner demnächst hinzu?

Gutekunst: Wir sind immer wieder bei Verbänden eingeladen, bei denen wir DA/RE vorstellen, weil wir ein großes Interesse daran haben, dass das, was wir entwickeln, Akzeptanz erlebt. Wir wollen für alle Netzbetreiber, inklusive kleinerer Verteilnetzbetreiber, einen umsetzbaren Prozess haben. Da sind wir in Gesprächen, in denen es um ganz individuelle Lösungen geht. Ob die Zeit vor dem Ende des Pilotbetriebs noch reicht, neue Projektpartner zu gewinnen, sei dahingestellt. Ziel ist auf jeden Fall, mehr Projektteilnehmer einzubinden. Mit DA/RE wollen wir ein Modell für den künftigen Netzbetrieb in einer Welt mit erneuerbaren und klimafreundlichen Energien liefern.

np:Herr Geschermann, Herr Gutekunst, vielen Dank für das Gespräch.

transnetbw.de | netze-bw.de


Dr. Josephine Bollinger-Kanne, Fachjournalistin für Energiewirtschaft, Haar

np-Redaktion
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