Industrie will Flexibilität zur Unterstützung des Stromsystems anbieten

Laut Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer des VIK, sind Teile der deutschen energieintensiven Industrie bereit, in Engpasssituationen verfügbare Flexibilitätspotenziale in diesem Winter im Falle kritischer Lastsituationen freiwillig bereit zu stellen (Bild: VIK)

Der zweite Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) hat eine angespannte Versorgungslage im Strombereich in diesem Winter aufgezeigt. Die Gründe dafür sind die aktuelle Gaskrise und die noch langsame Rückkehr der französischen Kernkraftwerke in den Markt. Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) und seine energieintensiven sowie mittelständischen Mitgliedsunternehmen weisen darauf hin, dass bereits seit längerer Zeit bekannt ist, dass es bei der Stromversorgung zu strukturell bedingten Engpasssituationen oder Lastunterdeckungen kommen kann, die nicht auf den aktuellen Winter 2022/2023 beschränkt sind.

Um einer Lastunterdeckung für die Stromversorgung entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung seit dem Sommer 2022 zusätzlichen Kraftwerkskapazitäten die vorübergehende Teilnahme am Strommarkt ermöglicht. Der VIK hatte das seit März gefordert. Aus Verbandssicht wurde allerdings versäumt, zusätzlich zu den Erzeugungskapazitäten ebenfalls marktbasierte Maßnahmen zur Stromsystemstützung, wie die Verordnung zu abschaltbaren Lasten (AbLaV), wieder in Kraft treten zu lassen bzw. zu erneuern. Die AbLaV ist im Juni 2022 ausgelaufen, eine Nachfolgeregelung lässt auf sich warten.

„Vor diesem Hintergrund erachten wir es als notwendig, die Abschaltbare-Lasten-Verordnung für eine begrenzte Zeit wieder einzuführen und – als marktliche Maßnahme zur Unterstützung der Systemstabilität – so zu reformieren, dass sie weiterhin den Erfordernissen der ÜNB gerecht und zugleich eine vermehrte Teilnahme interessierter Unternehmen angereizt wird“, sagt Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer des VIK.

Bis die AbLaV verlängert bzw. eine Nachfolgeregelung in Kraft ist, sollten seitens der ÜNB bilaterale Vereinbarungen mit geeigneten Anbietern (ehemalige AbLaV-Anbieter und weitere geeignete Unternehmen) getroffen werden, damit entsprechende systemstabilisierende Leistungen ermöglicht werden. Nur so könnten die durch die gestiegenen Energiepreise ohnehin belasteten Unternehmen vor zusätzlichen unentgeltlichen Abschaltungen und damit verbundenen Unterbrechungen ihrer Produktion geschützt werden.

Angebot zur Teilnahme an einer Vorstufe zur „BDEW-Kaskade“

Parallel zu dieser Maßnahme unterstützt der VIK für diesen Winter zur kurzfristigen Überbrückung die Einführung einer „Vorstufe“ zur BDEW-Kaskade. Die „BDEW-Kaskade“ sieht vor, dass bei einer Lastunterdeckung ganze Netzbezirke unterhalb der Höchstspannungsebene inkl. industrieller Letztverbraucher innerhalb von 12 Minuten komplett ferngesteuert abgeschaltet werden können. Das könnte gravierende Folgen haben.

„Teile der deutschen energieintensiven Industrie sind bereit, in Engpasssituationen verfügbare Flexibilitätspotenziale in diesem Winter im Falle kritischer Lastsituationen freiwillig bereit zu stellen, um die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa im Winter 2022/2023 zu unterstützen“, so Seyfert. Nötig sei allerdings eine angemessene Entschädigung, beispielsweise für Produktionsausfälle.

Mittelfristig hoher Bedarf an gesicherter Kraftwerksleitung

Bilaterale Vereinbarungen wie die Einrichtung einer Vorstufe der „BDEW-Kaskade“ zwischen ÜNB und Industrie können als kurzfristige Notfallmaßnahme sinnvoll sein. Sie stellen aber keine dauerhaft zufriedenstellende die Lösung dar, um die Netzstabilität mittelfristig zu erhalten. Es fehlt in Deutschland derzeit an zusätzlichen, verlässlich zur Verfügung stehenden Kraftwerkskapazitäten, insbesondere wenn Gas nicht im ausreichenden Maß zur Verstromung zur Verfügung stehen sollte. Ein Mangel an Alternativen bei der Stromerzeugung würde die Situation weiter verschärfen. Besonders im Hinblick auf den nächsten Winter (2023/2024) und den übernächsten Winter (2024/2025), wenn die drei verbliebenen Kernkraftwerke sowie die im Rahmen des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes zurück ans Netz gegangenen Kohlekraftwerke nicht mehr zur Verfügung stehen, müsse die Diskussion um die künftige Versorgungssicherheit in Deutschland jetzt geführt werden.

np-Redaktion

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