Die (Weiter-)Entwicklung verschiedener digitaler Technologien, wie Künstliche Intelligenz (KI), IoT oder Cloud Computing eröffnet neue Möglichkeiten.

Bild 1. Vergleich der verschiedenen KI-Fähigkeiten. Aktueller Auszug aus der Datenbank zu KI-Anwendungsfällen in der Energiewirtschaft (Bild: Umlaut Energy)

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sieht vor, bis 2030 den Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung des Strombedarfes in Deutschland auf 80 % zu steigern. Ein ambitioniertes, aber notwendiges Ziel auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung und eine Chance für Deutschland, sich als globaler Vorreiter zu etablieren. Eine von vielen Herausforderungen auf diesem Weg ist die Integration von Windenergie- und Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen), die in Zukunft den deutschen Erzeugungsmix dominieren sollen. 

Zum einen ist die Einspeisung aus Windenergie- und PV-Anlagen von einer hohen Volatilität geprägt und mitunter starken kurzfristigen Schwankungen unterworfen, was zu einem sinkenden Planungsgrad in der Netzbetriebsführung führt. Zum anderen impliziert die räumliche und zeitliche Entkoppelung von Erzeugung und Verbrauch vermehrte Engpässe im Netz und somit eine steigende Komplexität in der Netzplanung. Auf der Verbraucherseite führt die Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmesektors zu veränderten Lastcharakteristiken sowie dynamischen und erhöhten Lastspitzen.

Im Rahmen dieser sozio-technologischen Entwicklung steigt die Verantwortlichkeit der Verteilnetzbetreiber, durch eine aktivere Rolle in der Systemführung die zukünftige Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dies wurde 2019 bereits durch das Clean Energy Package des Europäischen Parlamentes mit der Einführung der EU-DSO untermauert. In Deutschland werden Verteilnetzbetreiber seit diesem Jahr durch angepasste Redispatch-Prozesse im Rahmen des Redispatch 2.0 aktiv in die Vermeidung und Auflösung von Netz­engpässen eingebunden. Damit steigt die Systemverantwortung in den unteren Netzebenen und es ergeben sich neue Aufgaben. Den Verteilnetzbetreiber von Morgen und Übermorgen zeichnet vor allem die Fähigkeit aus, mit Flexibilitäten sowohl auf ­Erzeuger als auch Verbraucherseite umzugehen. Dafür können beispielsweise Demand-Side-Management-­Ansätze auf Basis flexibler Lasten und dezentraler Speicher wie Heimspeichersysteme oder Elektroautos angewendet werden. Gleichzeitig steigen durch die zunehmende Installation von Smart Metern und Sensorik, z. B. an Ortsnetzstationen, die verfügbaren Datenmengen aus den unteren Spanungsebenen und somit auch die Möglichkeiten für die Verteilnetzbetreiber diese zu nutzen.

Wie Künstliche Intelligenz ­Netzbetreiber zur Erstellung präziserer Prognosen befähigt

Durch den Einsatz neuer Technologien versuchen viele Unternehmen sich den veränderten Anforderungsprofilen anzupassen und die steigenden Datenmengen für sich nutzbar zu machen. Die (Weiter-)Entwicklung verschiedener digitaler Technologien, wie Künstliche Intelligenz, IoT oder Cloud Computing eröffnet dahingehend neue Möglichkeiten. Für den Aufbau eines zukunftsfähigen Stromnetzes wird vor allem die Fähigkeit entscheidend sein, diese Technologien zu kombinieren, um das vollständige Potenzial der Digitalisierung im Netzbetrieb auszuschöpfen. Ein Anwendungsgebiet, mit dem sich Netzbetreiber in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen werden, ist die Entwicklung leistungsfähiger Prognosemodelle für den Netzbetrieb. Diese Erkenntnis geht nicht nur aus der Umlaut-Studie für den Netzbetrieb »Künstliche Intelligenz für das Stromnetz der Zukunft« hervor, sondern spiegelt sich auch in vielen Beratungsprojekten wider. 

Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die flexible Anpassung von Leistungsbezügen und Einspeisemengen eine umfassende Kenntnis über die zukünftige Ausprägung der selbigen sowie der zu erwartenden Lastflüsse voraussetzt. Prognosemodelle auf Basis von KI-­Algo­rithmen beruhen nicht auf der Bildung von Mittelwerten von über Jahre gesammelter Daten, wie es für die Erstellung von Standardlastprofilen praktiziert wird. Vielmehr ­können zahlreiche Datenquellen und darin für den Menschen nicht erkennbarere Zusammenhänge ­berücksichtigt werden. Diese Eigen­schaft von KI-basierten Prognosemodellen führt zu einer höheren Flexibilität für die Nutzer ­gegenüber klassischen Prognosen. Außerdem bieten die lernenden ­Modelle im Vergleich zu klassischen regelbasierten Systemen kürzere Rechenzeiten. Welche genauen Ansätze es dabei gibt und was Verteilnetzbetreiber beachten müssen, um diese auch in der Praxis erfolgreich nutzen zu können, wird im Folgenden genauer erläutert.

Anwendungsmöglichkeiten und -voraussetzungen für KI-basierte Prognosen

Wenn über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz gesprochen wird, denken viele an große und komplexe Systeme, die Sensorik, Aktorik und einen intelligenten Kern kombinieren, um autonom Entscheidungen zu treffen und auszuführen. Auch wenn solche Szena­rien in Zukunft für den Netzbetrieb vorstellbar sind, Stichwort Smart Grids und autonomer Netzbetrieb, gibt es bereits heute eine Vielzahl an weniger komplexen aber genauso wertvollen Einsatzmöglichkeiten für KI-basierte Prognosen. Eine große Bandbreite möglicher Anwendungen hat Umlaut in einer Datenbank gesammelt, genauer beschrieben und teilweise bereits in der Praxis umgesetzt (Bild 1). Im Vergleich zu ­anderen Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz beispielsweise im Bereich Bilderkennung, dem Erstellen komplexer Planungen oder Robotik weisen Prognoseanwendungen aktuell ein sehr hohes ­Potenzial und einen ausgeprägten Reifegrad im energiewirtschaftlichen Kontext auf.

Für eine sichere und zuverlässige Systemführung in den Stromnetzen sind vor allem Informationen über die Einspeisung und den Verbrauch von hohem Interesse. Mit welcher Einspeisemenge, z. B. aus Erneuerbare-Energien-Anlagen, kann gerechnet werden, wie hoch ist der erwartete Verbrauch an den einzelnen Netzknoten und wie verteilt sich die Last innerhalb der Netztopologie? Daraus resultieren drei übergeordnete Anwendungsbereiche für KI-basierte Prognosen in der Systemführung, mit denen sich vor allem Verteilnetzbetreiber besser heute als morgen auseinandersetzen sollten: Einspeiseprognosen, Verbrauchsprognosen und kombinierte Prognosen der Netz­auslastung. Darüber hinaus können Prognosen auf Basis von Künstlicher Intelligenz in anderen Bereichen außerhalb der Systemführung gewinnbringend eingesetzt werden, beispielsweise im Asset Management, der Netzplanung oder der Instandhaltung. Allerdings gilt bei allen Anwendungsbereichen das Gleiche. Für einen sinnvollen Einsatz von KI müssen die notwendigen Voraussetzungen im Bereich Datenverfügbarkeit und -qualität erfüllt sein. Daher brauchen Unternehmen entsprechende Kompetenzen oder sollten diese in Form von externen Dienstleistungen beschaffen. Außerdem sind die technischen Voraussetzungen zur Erfassung und Übertragung der Daten notwendig. Wie der Einsatz von KI-basierten Prognosen konkret aussehen kann und welche Schritte auf dem Weg dorthin wichtig sind, illustrieren die folgenden zwei Beispiele.  

1 / 2

Ähnliche Beiträge