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Leitsätze
1. Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung setzt nicht voraus, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist (Änderung der Rechtsprechung).
2. Es reicht jede Art von Anschrift und damit auch eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 28. April 2015 10 K 3803/13 aufgehoben. Die Sache wird an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen. Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.
Sachverhalt
I.
1 Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) aus Rechnungen der Firma Z (Z) den Vorsteuerabzug geltend machen kann.
2 Der Kläger betreibt einen Kraftfahrzeughandel. In den Streitjahren (2009 bis 2011) kaufte er u.a. Fahrzeuge von Z, der sein Unternehmen im Jahr 2006 in die EStraße in R (Inland) verlegt hatte. Unter dieser Adresse hat Z dem Kläger die streitbefangenen Rechnungen ausgestellt.
3 Z hatte in N (Inland) von der dort ansässigen Firma U Räumlichkeiten angemietet. Ob es sich dabei um einen Raum oder nur um den Teil eines Raumes handelte, ist streitig. Unstreitig ist, dass Z dort kein Autohaus unterhielt. Er vertrieb ausschließlich im Onlinehandel. Die Fahrzeuge wurden dem Kläger oder seinen Mitarbeitern z.T. in R in der EStraße, z.T. an öffentlichen Plätzen – z.B. Bahnhofsvorplätzen – übergeben. Nach dem Vortrag des Klägers kam in dem Büro Post an, wurde dort sortiert und bearbeitet und es wurden dort die Akten geführt. Außen am Gebäude befand sich ein Firmenschild mit dem Aufdruck »Z«. Ob sich dort auch ein Briefkasten befand, ist nicht geklärt. Z wurde unter der vorgenannten Anschrift beim Finanzamt T geführt.
4 Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass Vorsteuerbeträge aus den Eingangsrechnungen des Z nicht in Abzug gebracht werden könnten, weil die in den Rechnungen ausgewiesene Anschrift des leistenden Unternehmers tatsächlich nicht bestanden habe. Z habe im Inland keine Betriebsstätte. Die Geschäftsadresse diene nur als Briefkastenadresse (Scheinadresse), an der lediglich von Z die Post abgeholt worden sei. Es sei dort nichts vorhanden gewesen, was auf ein Unternehmen hindeute.
5 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) folgte der Auffassung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung und erließ am 13. September 2013 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2011. Mit Verfügung vom 1. Oktober 2013 lehnte es den Antrag des Klägers auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) ab. Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg.
6 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Z habe unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift zwar keine geschäftlichen Aktivitäten entfaltet, denn es sei bereits unklar, ob Z überhaupt einen abgeschlossenen Raum oder lediglich eine Teilfläche in einem Raum gemietet habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass Z einen ganzen Raum angemietet habe, sei dieser nicht so eingerichtet gewesen, dass dort geschäftliche Aktivitäten hätten stattfinden können.
7 Der Klage sei aber stattzugeben, weil die Angabe der Anschrift i.S. des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfordere, dass dort geschäftliche Aktivitäten stattfänden. Die anderslautende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei in Anbetracht der technischen Fortentwicklung und der Änderung des Geschäftsgebarens überholt.
8 Im Übrigen habe die Klage auch mit dem Hilfsantrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen Erfolg. Der Kläger habe alles getan, was von ihm zumutbarer Weise verlangt werden könne, um die Unternehmereigenschaft des Z und die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen
9 Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1, § 14 Abs. 4 UStG) sowie Verfahrensfehler (Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO –) geltend macht.
10 Das FG habe im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung aufklären müssen, ob es sich bei den Lieferungen des Z um innergemeinschaftliche Lieferungen gehandelt habe; hierfür gebe es zahlreiche Anhaltspunkte.
11 Im Übrigen scheitere der Vorsteuerabzug daran, dass die Rechnungen des Z nicht die Anschrift auswiesen, unter der er seine geschäftlichen Aktivitäten entfaltet habe.
12 Die Gewährung der Vorsteuern im Billigkeitsverfahren komme nicht in Betracht, weil der Kläger nicht alles ihm Zumutbare getan habe, um sich von der Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überzeugen.
13 Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
14 Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
15 Soweit das FA rüge, das FG habe nicht aufgeklärt, ob es sich bei den Lieferungen des Z um innergemeinschaftliche Lieferungen gehandelt habe, liege neuer, im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigender Sachvortrag vor.