BFH zur Anschrift des leistenden Unternehmers auf der Rechnung – gemeinsame Besprechung der Urteile vom 21.6.2018, V R - Seite 2

16 Im Übrigen hätten die Rechnungen des Z dessen zutreffende Anschrift ausgewiesen. Denn dort habe sich dessen Unternehmen befunden. Z habe dort Miete gezahlt, einen eigenen Briefkasten und ein Firmenschild gehabt, geschäftliche Unterlagen dort verwahrt, Post sei dort für ihn angenommen und abgeholt worworden und er habe einen Festnetztelefonanschluss unterhalten.

17 Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 6. April 2016 V R 25/15 (BFHE 254, 139) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) u.a. folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vorgelegt:

18 1. Setzt Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift des Steuerpflichtigen voraus, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet?

19 2. Für den Fall, dass Frage 1. zu verneinen ist: a) Reicht für die Angabe der Anschrift nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine Briefkastenadresse? b) Welche Anschrift ist von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z.B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben?

20 Der EuGH hat die erste und die zweite Frage durch Urteil Geissel und Butin vom 15. November 2017 C-374/16 und C-375/16, (EU:C:2017:867) dahingehend beantwortet, dass Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a i.V.m. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug davon abhängig macht, dass in der Rechnung die Anschrift angegeben ist, unter der der Rechnungsaussteller seine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

Aus den Gründen

II.
21 Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Zwar hat das FG zu Recht entschieden, dass dem Kläger der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Z über die in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) gelieferten Fahrzeuge zusteht. Für einen Großteil der Lieferungen lassen die Feststellungen des FG aber keine Beurteilung zu, ob die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind, weil unklar ist, ob der Lieferer die Umsatzsteuer aus den Lieferungen gesetzlich schuldet.

22 1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.

23 a) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG hat der Kläger durch den Bezug der von Z im Inland gelieferten Fahrzeuge erfüllt. Für 15 v.H. der Lieferungen, die der Kläger von Z bezogen hat, hat das FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend festgestellt, dass die Fahrzeuge »aus Deutschland stammten«. Der Senat hat das dahingehend verstanden, dass die Lieferungen in Deutschland ausgeführt wurden und die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG erfüllt sind.

24 b) Der Kläger besitzt insoweit auch nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnungen. Zwar erfordert eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung, dass die Rechnung den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entspricht, was gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers erfordert.

25 Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH wird das Merkmal »vollständige Anschrift« in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur durch die Angabe der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt, unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet; die Angabe eines »Briefkastensitzes« mit nur postalischer Erreichbarkeit, an dem im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reichte danach als zutreffende Anschrift nicht aus (BFH-Urteile vom vom 22. Juli 2015 V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914, Rz 25; vom 8. Juli 2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256, Rz 16; vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744, Rz 32, 39; vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, Rz 33; vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, Rz 50; vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620, Rz 15).

26 Hieran hält der Senat nach dem EuGHUrteil Geissel und Butin (EU:C:2017:867) nicht mehr fest. § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG sind vielmehr richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht voraussetzt, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt werden, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist. Vielmehr reicht jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Diese Voraussetzungen erfüllen die von Z ausgestellten Rechnungen, weil er unter der von ihm angegebenen Rechnungsanschrift Post erhalten hat.

27 c) Für 85 v.H. der streitigen Fahrzeuglieferungen hat das FG aber nicht geklärt, ob überhaupt die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG – hier die vom leistenden Unternehmer »geschuldete Steuer« – erfüllt sind.

28 Da die Fahrzeuge nach den Feststellungen des FG aus Frankreich stammten, Z dort seinen Wohnsitz und seine Bankverbindung hatte und in Deutschland in R keine geschäftlichen Aktivitäten entfaltete, liegt es nahe, dass die Fahrzeuge bei der Lieferung an den Abnehmer (Kläger) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt und diese Lieferungen des Z an den Kläger deshalb gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei sind. Damit würden die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht vorliegen, weil es an einer vom leistenden Unternehmer »geschuldeten« Steuer fehlen würde. Auch ein Vorsteuerabzug aus Vertrauensschutzgründen scheidet im Hinblick auf eine Mehrwertsteuer aus, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (EuGHUrteil Kreuzmayr GmbH vom 21. Februar 2018 C-628/16, EU:C:2018:84). Das FG wird die erforderlichen Feststellungen zum Ort dieser Lieferungen nachholen.

29 2. Der XI. Senat des BFH hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seinem Urteil vom 8. Juli 2009 XI R 51/07 (BFH/NV 2010, 256) zustimmt.

30 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.   

2. BFH:Urteil vom 21.06.2018, V R 28/16

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