Symbolbild zum Thema - Steuerbegünstigung für dauerdefizitäre Tätigkeiten

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Leitsätze

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn nach den Regelungen eines Mitgliedstaats (Dauer-)Verluste einer Kapitalgesellschaft aus einer wirtschaftlichen Betätigung, die ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird, zwar im Grundsatz als vGA anzusehen sind und dementsprechend den Gewinn einer Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen, jedoch bei Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt, diese Rechtsfolgen für Dauerverlustgeschäfte nicht zu ziehen sind, wenn sie die betreffenden Geschäfte aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen unterhalten?

Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn nach den Regelungen eines Mitgliedstaats (Dauer-)Verluste einer Kapitalgesellschaft aus einer wirtschaftlichen Betätigung, die ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird, zwar im Grundsatz als verdeckte Gewinnausschüttungen anzusehen sind und dementsprechend den Gewinn einer Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen, jedoch bei Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt, diese Rechtsfolgen für Dauerverlustgeschäfte nicht zu ziehen sind, wenn sie die betreffenden Geschäfte aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen unterhalten?

Tatbestand

1 A. Sach- und Streitstand

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Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, versorgt die Bevölkerung, den Handel, das Gewerbe, die Industrie, die Landwirtschaft und öffentliche Einrichtungen mit Energieträgern, Trink- und Brauchwasser sowie Telekommunikation. Zudem betreibt und bewirtschaftet sie unter anderem auch Schwimmbäder. Die Anteile an der Klägerin werden zu 100 vom Hundert (v.H.) von der Stadt A gehalten. Es handelt sich bei der Klägerin damit um eine sogenannte (sog.) Eigengesellschaft einer öffentlich- rechtlichen Körperschaft.

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Im Jahr 1998 übernahm die Klägerin eine Schwimmhalle von der Stadt A. Nachdem sie die Bewirtschaftung der Schwimmhalle zunächst einem Tochterunternehmen (100 v.H.) übertragen hatte und dieses die Betriebsführungstätigkeit für die Schwimmhalle zu Beginn des Jahres 2002 eingestellt hatte, betrieb die Klägerin die Schwimmhalle in den Streitjahren (2002 und 2003) wieder selbst.

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Die mit dem Eigenbetrieb der Schwimmhalle erwirtschafteten Verluste beliefen sich – zwischen den Beteiligten unstreitig – in den Streitjahren auf ... EUR (2002) und ... EUR (2003).

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Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass (auch) die Verluste aus dem Eigenbetrieb der Schwimmhalle als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) anzusehen seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) schloss sich den Feststellungen des Prüfers zwar grundsätzlich an, wertete die oben genannten Verluste jedoch nicht als vGA, sondern als nicht abziehbare Betriebsausgaben und erließ entsprechend geänderte Steuerbescheide unter dem 15.12.2011.

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Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben weitgehend erfolglos. Die Verluste aus dem Eigenbetrieb der Schwimmhalle wurden in der Einspruchsentscheidung vom 30.04.2013 in Höhe von ... EUR (2002) und ... EUR (2003) als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigt. Die daraufhin erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) Mecklenburg- Vorpommern mit Urteil vom 22.06.2016 - 3 K 199/13 (juris) als unbegründet abgewiesen, wobei dieses davon ausgegangen ist, dass es sich bei den in den Streitjahren erwirtschafteten Verlusten um eine vGA zugunsten der Gesellschafterin der Klägerin, der Stadt A, handelt.

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Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung materiellen Rechts geltend macht.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.04.2013 zu ändern, soweit Verluste aus dem Schwimmhallenbetrieb als nichtabziehbare Betriebsausgaben im Jahr 2002 in Höhe von ... EUR sowie im Jahr 2003 in Höhe von ... EUR berücksichtigt worden sind.

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Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10 B.
Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die in der Entscheidungsformel bezeichnete Rechtsfrage zur Auslegung von Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung (i.d.F.) des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV– (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– 2008, Nr. C 115, 47) zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.

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I. Grundlagen für die Beurteilung nach nationalem Recht

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1. Vorschriften des nationalen Rechts

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a) § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) »(3) (...) Auch verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Ausschüttungen jeder Art auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft verbunden ist, mindern das Einkommen nicht. (...)«

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b) § 8 Abs. 7 KStG (neu angefügt durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. b des Jahressteuergesetzes 2009 --JStG 2009-- vom 19.12.2008, Bundesgesetzblatt –BGBl– I 2008, 2794, Bundessteuerblatt –BStBl– I 2009, 74 mit Wirkung auch für Veranlagungszeiträume vor 2009 gemäß § 34 Abs. 6 Satz 4 und 5 KStG i.d.F. des JStG 2009)
»(7) Die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung im Sinne des Absatzes 3 Satz 2 sind

  • bei Betrieben gewerblicher Art im Sinne des § 4 nicht bereits deshalb zu ziehen, weil sie ein Dauerverlustgeschäft ausüben;
  • bei Kapitalgesellschaften nicht bereits deshalb zu ziehen, weil sie ein Dauerverlustgeschäft ausüben. Satz 1 gilt nur bei Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt und nachweislich ausschließlich diese Gesellschafter die Verluste aus Dauerverlustgeschäften tragen. Ein Dauerverlustgeschäft liegt vor, soweit aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungs- oder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird oder in den Fällen von Satz 1 Nr. 2 das Geschäft Ausfluss einer Tätigkeit ist, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehört.«

 

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c) § 8 Abs. 9 KStG (neu angefügt durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. b JStG 2009 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2009 gemäß § 34 Abs. 6 Satz 9 KStG i.d.F. des JStG 2009)
»(9) Wenn für Kapitalgesellschaften Absatz 7 Satz 1 Nr. 2 zur Anwendung kommt, sind die einzelnen Tätigkeiten der Gesellschaft nach folgender Maßgabe Sparten zuzuordnen:  

  • Tätigkeiten, die als Dauerverlustgeschäfte Ausfluss einer Tätigkeit sind, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehören, sind jeweils gesonderten Sparten zuzuordnen;
  • Tätigkeiten, die nach § 4 Abs. 6 Satz 1 zusammenfassbar sind oder aus den übrigen, nicht in Nummer 1 bezeichneten Dauerverlustgeschäften stammen, sind jeweils gesonderten Sparten zuzuordnen, wobei zusammenfassbare Tätigkeiten jeweils eine einheitliche Sparte bilden;
  • alle übrigen Tätigkeiten sind einer einheitlichen Sparte zuzuordnen. Für jede sich hiernach ergebende Sparte ist der Gesamtbetrag der Einkünfte getrennt zu ermitteln. Die Aufnahme einer weiteren, nicht gleichartigen Tätigkeit führt zu einer neuen, gesonderten Sparte; Entsprechendes gilt für die Aufgabe einer solchen Tätigkeit. Ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte einer Sparte darf nicht mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte einer anderen Sparte ausgeglichen oder nach Maßgabe des § 10d des Einkommensteuergesetzes abgezogen werden. Er mindert jedoch nach Maßgabe des § 10d des Einkommensteuergesetzes die positiven Gesamtbeträge der Einkünfte, die sich in dem unmittelbar vorangegangenen und in den folgenden Veranlagungszeiträumen für dieselbe Sparte ergeben. Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 ab einem Zeitpunkt innerhalb eines Veranlagungszeitraums nicht mehr vor, sind die Sätze 1 bis 5 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anzuwenden; hiernach nicht ausgeglichene oder abgezogene negative Beträge sowie verbleibende Verlustvorträge aus den Sparten, in denen Dauerverlusttätigkeiten ausgeübt werden, entfallen. Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 erst ab einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb eines Veranlagungszeitraums vor, sind die Sätze 1 bis 5 ab diesem Zeitpunkt anzuwenden; ein bis zum Eintritt der Voraussetzungen entstandener Verlust kann nach Maßgabe des § 10d des Einkommensteuergesetzes abgezogen werden; ein danach verbleibender Verlust ist der Sparte zuzuordnen, in denen keine Dauerverlustgeschäfte ausgeübt werden. (...)«

 

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d) § 4 Abs. 6 KStG (neu angefügt durch Art. 3 Nr. 2 JStG 2009 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2009 gemäß § 34 Abs. 1 KStG i.d.F. des JStG 2009)

»(6) Ein Betrieb gewerblicher Art kann mit einem oder mehreren anderen Betrieben gewerblicher Art zusammengefasst werden, wenn

  • sie gleichartig sind,
  • zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objek tiv eine enge wechselseitige technischwirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht oder 3. Betriebe gewerblicher Art im Sinne des Absatzes 3 vorliegen. Ein Betrieb gewerblicher Art kann nicht mit einem Hoheitsbetrieb zusammengefasst werden.«

 

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e) § 34 Abs. 6 Satz 4 und 5 KStG i.d.F. des JStG 2009
»(6) (...) § 8 Abs. 7 in der Fassung des Artikels 3 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) ist auch für Veranlagungszeiträume vor 2009 anzuwenden. Ist im Einzelfall vor dem 18. Juni 2008 bei der Einkommensermittlung nach anderen Grundsätzen als nach § 8 Abs. 7 in der Fassung des Artikels 3 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) verfahren worden, so sind diese Grundsätze insoweit letztmals für den Veranlagungszeitraum 2011 maßgebend.«

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f) § 34 Abs. 6 Satz 9 KStG i.d.F. des JStG 2009
»(6) (...) § 8 Abs. 9 in der Fassung des Artikels 3 des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2794) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden.«

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2. Allgemeine Systematik einer vGA im Körperschaftsteuerrecht

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a) Eine Körperschaft kann ihre Einkünfte offen nach gesellschaftsrechtlichen Vorschriften oder in verdeckter Form verteilen. Die verdeckte Einkünfteverteilung wird als vGA bezeichnet und führt dazu, dass die Körperschaft einen zu niedrigen Gewinn im Sinne (i.S.) des § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit (i.V.m.) § 8 Abs. 1 KStG ausweist. Derartige verdeckte Ausschüttungen dürfen den Gewinn nicht mindern und sind gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dem Einkommen der Körperschaft außerhalb der Bilanz (wieder) hinzuzurechnen. Das Rechtsinstitut der vGA dient dazu, eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste und damit nicht betriebliche Verringerung des Einkommens der Körperschaft zu verhindern. Dabei regelt § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nur die Rechtsfolgen, nicht aber die Voraussetzungen der vGA. Diese wurden durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelt.

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b) Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter einer vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der Senat die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung des vorlegenden Senats, vergleiche –vgl.– Urteile vom 16.03.1967 - I 261/63, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFHE– 89, 208, BStBl III 1967, 626; vom 03.05.2006 - I R 124/04, BFHE 214, 80, BStBl II 2011, 547; vom 08.10.2008 - I R 61/07, BFHE 223, 131, BStBl II 2011, 62; vom 22.12.2010 - I R 47/10, BFH/NV 2011, 1019). Zudem muss der Vorgang geeignet sein, einen sonstigen Bezug i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen (vgl. zum Beispiel –z.B.– Senatsurteile vom 07.08.2002 - I R 2/02, BFHE 200, 197, BStBl II 2004, 131, und vom 22.08.2007 - I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961).

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c) Nach der Senatsentscheidung vom 15.05.2002 - I R 92/00 (BFHE 199, 217, mit weiteren Nachweisen –m.w.N.– aus der Rechtsprechung des Senats) kann eine vGA auch vorliegen, wenn eine Kapitalgesellschaft ohne angemessenes Entgelt Geschäfte tätigt, die im privaten Interesse ihrer Gesellschafter liegen und bei der Gesellschaft selbst zu Verlusten führen. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen sind die von der Gesellschaft erzielten Verluste außerbilanziell um die angefallenen Verlustbeträge sowie einen angemessenen Gewinnaufschlag zu erhöhen. Ein gedachter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter würde nicht bereit sein, eine fortdauernde Kostenunterdeckung aus Dienstleistungen hinzunehmen, die an sich ihrem Gesellschafter obliegen.

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