Seite 3 zum Beschluss des BFH vom 13.03.2019, I R 18/19

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a) Als staatliche Beihilfen gelten Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (EuGHUrteil Ministerio de Defensa und Navantia, EU:C:2014:2262, Rz 21).

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Die Steuerbegünstigung nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. ist ein solcher Vorteil. Die Begünstigten werden dadurch finanziell besser gestellt als die übrigen Steuerpflichtigen, die ebenfalls einen gewinnerhöhenden Ansatz einer vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG verwirklichen und nicht die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung erfüllen.

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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff des (begünstigten) Unternehmens i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung (vgl. z.B. EuGH-Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u.a. vom 10.01.2006 - C-222/04, EU:C:2006:8, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der vorlegende Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin als Eigengesellschaft der Stadt A diesen sog. funktionalen Unternehmensbegriff (vgl. hierzu von Wallenberg/Schütte in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 107 AEUV, Rz 39) erfüllt. Insbesondere hat der EuGH bereits entschieden, dass selbst der Umstand, dass eine Einheit mit bestimmten im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben betraut ist, die Einstufung als Unternehmen i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht auszuschließen vermag (vgl. EuGH-Urteil Ambulanz Glöckner vom 25.10.2001 - C-475/99, EU:C:2001:577).

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bb) Es muss sich weiter um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln, durch die dem Begünstigten ein Vorteil gewährt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff der Beihilfe dabei nicht nur positive Leistungen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Heiser vom 03.03.2005 - C-172/03, EU:C:2005:130). Dies ist vorliegend der Fall, indem die Klägerin durch § 8 Abs. 7 i.V.m. § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG n.F. rückwirkend von einem gewinnerhöhenden Ansatz der laufenden Betriebsverluste mittels vGA ausgenommen worden ist.

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cc) Die staatliche Maßnahme in Form des Nichtansatzes einer vGA ist im Streitfall nicht als Ausgleich dafür anzusehen, dass die Klägerin durch den Be trieb der Schwimmhalle möglicherweise (auch) gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen erbringt. Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen öffentliche Zuschüsse, die ausdrücklich mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen betrauten Unternehmen gewährt werden, um die bei der Erfüllung dieser Verpflichtungen entstehenden Kosten auszugleichen, nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV (vgl. EuGH-Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg vom 24.07.2003 - C-280/00, EU:C:2003:415). Ein derartiger Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. hierzu statt vieler von Wallenberg/Schütte in Grabitz/ Hilf/Nettesheim, a.a.O., Art. 107 AEUV, Rz 59). Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufzustellen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt. Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken. Wenn viertens die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, das die Auswahl desjenigen Bewerbers ermöglicht, der diese Dienste zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann, so ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit Transportmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen zu tragen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.

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Diesen Anforderungen wird § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG n.F. nicht gerecht. Die Vorschrift benennt insoweit lediglich pauschal einige allgemeinpolitische Gründe für eine Begünstigung eines Dauerverner lustgeschäfts (vgl. hierzu auch Weitemeyer, Finanz-Rundschau --FR-- 2009, 1). Eine klare Definition der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen ist nicht erkennbar, ebenso wenig wie die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, um zu verhindern, dass dieser einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt.

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dd) Entsprechendes gilt für die Bereichsausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV. Nach Art. 106 Abs. 2 AEUV kann ein vom Staat als Gegenleistung für die Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem Interesse gewährter Ausgleich unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Trotz der Unterschiede im rechtlichen Ansatz zwischen einer Nicht-Beihilfe nach der sog. Altmark-Entscheidung des EuGH (siehe oben) und der Vereinbarkeit von Beihilfen nach Art. 106 Abs. 2 AEUV ist mittlerweile von einer weitgehend identischen rechtlichen Prüfung der Voraussetzungen einer zulässigen Ausgleichszahlung auszugehen (vgl. Urteil des Gerichts der Europäischen Union BUPA u.a./ Kommission vom 12.02.2008 - T-289/03, EU:T:2008:29).

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b) Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet Beihilfen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedarf es in diesem Zusammenhang nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der Beihilfe auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen (vgl. EuGH-Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u.a., EU:C:2006:8, Rz 140, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der innergemeinschaftliche Handel wird insbesondere dann von einer von einem Mitgliedstaat gewährten Beihilfe beeinflusst, wenn sie die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern in diesem Handel stärkt (vgl. EuGH-Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u.a., EU:C:2006:8, Rz 141, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Im Übrigen braucht das begünstigte Unternehmen nicht selbst am innergemeinschaftlichen Handel teilzunehmen. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Tätigkeit dadurch beibehalten oder verstärkt werden, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, den Markt dieses Mitgliedstaats zu durchdringen, verringern. Zudem kann die Stärkung eines Unternehmens, das bis dahin nicht am innergemeinschaftlichen Handel teilgenommen hat, dieses in die Lage versetzen, den Markt eines anderen Mitgliedstaats zu durchdringen (vgl. EuGH-Urteil Cassa di Risparmio di Firenze u.a., EU:C:2006:8, Rz 143, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Absehen von einem gewinnerhöhenden Ansatz der laufenden Betriebsverluste als vGA stärkt die kommunalen Eigengesellschaften in finanzieller Hinsicht. Potentiellen Mitbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten wird dadurch die Möglichkeit, in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) eine Schwimmhalle ähnlicher Art wie sie die Klägerin betreibt, zu eröffnen, deutlich erschwert (ebenso Weitemeyer, FR 2009, 1; anderer Ansicht --a.A.-- wohl Gosch, a.a.O., § 8 Rz 1043a). Vor allem aber ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass durch das Absehen vom gewinnerhöhenden Ansatz einer vGA die Möglichkeit geschaffen wird, die laufenden Verluste bei der Einkommensermittlung der Gesellschaft mit den Gewinnen aus weiteren Tätigkeitsbereichen (z.B. Energie- und Wasserversorgung etc.) zu verrechnen. Diese Tätigkeitsbereiche werden jedenfalls durch die Möglichkeit einer Verlustverrechnung finanziell gestärkt. Eine potentielle Wettbewerbssituation mit überregionalen privaten Anbietern aus diesen Tätigkeitsbereichen ist naheliegend. Von daher wäre es unbeachtlich, wenn es sich bei dem Betrieb der Schwimmhalle möglicherweise im Streitfall um eine rein lokale Wirtschaftstätigkeit handeln würde.

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c) Die Steuerbegünstigung nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. ist mit einem selektiven Vorteil verbunden.

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aa) Die Beurteilung der Selektivität verlangt die Feststellung, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, »bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige « gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (EuGH-Urteile Kommission/World Duty Free Group u.a., EU:C:2016:981, Rz 54, und Kommission/Aer Lingus vom 21.12.2016 - C-164/15 P und C-165/15 P, EU:C:2016:990, Rz 51).

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bb) Für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als »selektiv « muss in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder »normale« Steuerregelung ermittelt werden. In einem zweiten Schritt muss dargetan werden, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (EuGHUrteil Kommission/World Duty Free Group u.a., EU:C:2016:981, Rz 57).

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cc) Im Streitfall weicht § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. im Fall von Eigengesellschaften einer juristischen Person des öffentlichen Rechts von den allgemeinen Regeln eines gewinnerhöhenden Ansatzes einer vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ab, wenn diese aufgrund allgemeinpolitischer Erwägungen eine Tätigkeit weiterhin ausüben, obwohl sie aus dieser Tätigkeit Dauerverluste erzielen. Die Neuregelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. gewährt Eigengesellschaften einer juristischen Person des öffentlichen Rechts damit die Möglichkeit, von einem gewinnerhöhenden Ansatz der laufenden Betriebsverluste als vGA abzusehen. Im Ergebnis wird damit für diese Unternehmen erst die Möglichkeit geschaffen, die laufenden Verluste bei der Einkommensermittlung der Gesellschaft mit Gewinnen aus weiteren Tätigkeitsbereichen zu verrechnen. Im Hinblick auf das mit der allgemeinen Regelung einer vGA in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG verfolgte Ziel, wonach durch das Gesellschaftsverhältnis verursachte Vermögensminderungen die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht vermindern dürfen, befinden sich alle Kapitalgesellschaften als Wirtschaftsteilnehmer in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation. Es handelt sich somit um einen Fall sektorspezifischer Selektivität zugunsten bestimmter Unternehmen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge.

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dd) Diese Besserstellung ist nicht durch die Natur oder den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt.

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Der Begriff der staatlichen Beihilfe erfasst staatliche Maßnahmen, die eine Differenzierung zwischen Unternehmen vornehmen und damit a priori selektiv sind, dann nicht, wenn diese Differenzierung aus der Natur oder dem inneren Aufbau der Lastenregelung folgt, mit der sie in Zusammenhang stehen (EuGH-Urteil Ministerio de Defensa und Navantia, EU:C:2014:2262, Rz 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Maßnahme, die eine Ausnahme von der Anwendung des allgemeinen Steuersystems darstellt, kann damit gerechtfertigt sein, wenn sie nachweisbar unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht. Insoweit ist allerdings zu unterscheiden zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind (EuGH-Urteil Ministerio de Defensa und Navantia, EU:C:2014:2262, Rz 43). Vorliegend ist das mit § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. verfolgte Ziel, die Finanzierung von Daseinsvorsorgeaufwendungen der öffentlichen Hand zu erleichtern, ein außersteuerliches, nicht steuersysteminhärentes Motiv und deshalb nicht geeignet, den Beihilfecharakter der Maßnahme auszuschließen.

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d) Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedarf es in diesem Zusammenhang nicht des Nachweises einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, den Wettbewerb zu verfälschen (vgl. EuGHUrteil Cassa di Risparmio di Firenze u.a., EU:C:2006:8, Rz 140, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Von einer potentiellen Wettbewerbsbeeinträchtigung durch § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. ist vorliegend auszugehen. In diesem Zusammenhang ist wiederum zu berücksichtigen, dass durch das Absehen vom gewinnerhöhenden Ansatz einer vGA erst die Möglichkeit geschaffen wird, die laufenden Verluste bei der Einkommensermittlung der Gesellschaft mit den Gewinnen aus weiteren Tätigkeitsbereichen (z.B. Energie- und Wasserversorgung etc.) zu verrechnen und dadurch die Steuerlast dieser gewinnträchtigen Tätigkeitsbereiche zu verringern. Eine potentielle Wettbewerbssituation mit überregionalen privaten Anbietern aus diesen Tätigkeitsbereichen ist naheliegend.

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e) Im Streitfall handelt es sich auch nicht um eine sog. »De-minimis«-Beihilfe, die unter die Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission vom 15.12.2006 (ABlEU 2006, Nr. L 379, 5) fällt. Danach stellen Finanzhilfen, die einen Gesamtbetrag von 200.000 EUR innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten keine staatlichen Beihilfen dar, da sie den Wettbewerb und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht wesentlich beinträchtigen. Unabhängig davon, dass dieser Betrag im Streitfall überschritten sein dürfte, ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass eine nationale Regelung, die keine Begrenzung des Betrages vorsieht, den ein einzelnes Unternehmen erhalten kann, bereits nicht unter die in der Bekanntmachung der Kommission aufgestellte »Deminimis «-Regel fällt (vgl. EuGH-Urteil Heiser, EU:C:2005:130; hierzu auch Weitemeyer, FR 2009, 1). So verhält es sich im Streitfall bei der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F.

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f) § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. ist eine »neue Beihilfe« i.S. des Art. 108 Abs. 3 AEUV und unterliegt daher der Anwendungssperre in Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV.

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aa) Art. 108 AEUV, der der Europäischen Kommission die fortlaufende Überprüfung und Kontrolle staatlicher oder aus staatlichen Mitteln gewährter Beihilfen ermöglichen soll, sieht für bestehende und für neue Beihilfen jeweils unterschiedliche Verfahren vor (vgl. z.B. EuGH-Urteil Namur-Les assurances du crédit/Office national du ducroire und Belgischer Staat vom 09.08.1994 - C- 44/93, EU:C:1994:311). Während »neue Beihilfen« gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zuvor der Europäischen Kommission zu melden sind und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor das Verfahren zu einer abschließenden Entscheidung geführt hat, dürfen »bestehende Beihilfen« gemäß Art. 108 Abs. 1 AEUV regelmäßig durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit festgestellt hat (vgl. EuGH-Urteil P, EU:C:2013:525).

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Nach Art. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EGVertrags – jetzt Art. 108 AEUV – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1999, Nr. L 83, 1) – VerfVO – sind »bestehende Beihilfen« unter anderem (u.a.) alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags am 01.01.1958 in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor dem 01.01.1958 eingeführt worden und auch nach Inkrafttreten des Vertrags noch anwendbar sind. »Neue Beihilfen « sind alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einsch ließlich Änderungen bestehender Beihilfen (Art. 1 Buchst. c VerfVO). Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21.04.2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EG-Vertrags – jetzt Art. 108 AEUV– (ABlEU 2004, Nr. L 140, 1) ist die Änderung einer »bestehenden Beihilfe« jede Änderung, außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt haben kann.

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bb) Ausgehend von diesen Rechtsmaßstäben handelt es sich bei § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 KStG n.F. um eine »neue« Beihilfe, die der Anwendungssperre des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV unterliegt.

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Die Neuregelung führt keine bereits zum Zeitpunkt des 01.01.1958 in Deutschland existente und seitdem fortbestehende Rechtslage weiter (ebenso Gosch, a.a.O., § 8 Rz 1043b; Kohlhepp in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 8 Rz 830; Märtens in Lüdicke/Mellinghoff/ Rödder [Hrsg.], a.a.O., S. 279, 289 f.; a.A. Hüttemann, Der Betrieb 2009, 2629; Schiffers, Der GmbH-Steuerberater 2009, 67; Weitemeyer, FR 2009, 1; Müller- Gatermann, FR 2009, 314; Krämer in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz 15, 45; Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 KStG Rz 542; Blümich/Rengers, § 8 KStG Rz 1102; Paetsch in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8 Rz 1831).

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aaa) Das ergibt sich zunächst daraus, dass zum Stichtag 01.01.1958 weder Gerichtsurteile noch Verwaltungsanweisungen existiert haben, die sich mit der Thematik der ertragsteuerrechtlichen Behandlung dauerverlustbehafteter wirtschaftlicher Betätigungen von Eigengesellschaften juristischer Personen des öffentlichen Rechts befasst haben. Wie oben dargestellt, hat die Finanzverwaltung das Thema erstmals in Abschn. 5 Abs. 10 KStR 1977 aufgegriffen. Die einschlägigen BFH-Urteile stammen aus dem Jahr 2004 (Senatsurteil in BFHE 207, 142) und 2007 (Senatsurteil in BFHE 218, 523, BStBl II 2007, 961).

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bbb) Des Weiteren hat der BFH als für die Auslegung der steuerrechtlichen Vorschriften zuständiges höchstes Fachgericht die die vGA regelnde Bestimmung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG – die sinngemäß auch schon am 01.01.1958 galt (seinerzeit § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG i.d.F. vom 19.12.1957, BGBl I 1957, 1865, BStBl I 1958, 12) – in den beiden zuvor genannten Urteilen dahin ausgelegt, dass die Übernahme einer strukturell defizitären Betätigung durch eine Eigengesellschaft (stets) als vGA zu beurteilen ist und zur außerbilanziellen Hinzurechnung der Verluste führt. Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG n.F. im Sinne der Auffassung der Finanzverwaltung (z.B. BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 905) rückwirkend dahin geändert, dass die dauerdefizitäre Betätigung von Eigengesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen nicht die Rechtsfolgen einer vGA auslöst. In diesem – für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen – Punkt hat das Jahressteuergesetz 2009 mithin eine Änderung der bis dahin bestehenden Rechtslage bewirkt.

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ccc) Für den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Zeitraum der Rückwirkung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG n.F. kommt hinzu, dass die Regelung des § 8 Abs. 9 KStG n.F. mit der flankierenden Spartenrechnung, die verhindern soll, dass die durch § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG n.F. privilegierten Dauerverluste mit Gewinnen aus nicht »zusammenfassungsfähigen« Geschäfts zweigen verrechnet werden können, noch nicht greift, weil § 8 Abs. 9 KStG n.F. erst ab dem Veranlagungszeitraum 2009 anwendbar ist und nicht mit Rückwirkung versehen worden ist. Dadurch ist im Rückwirkungszeitraum des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG n.F. eine Rechtslage entstanden, in der die Eigengesellschaften besser gestellt sind, als sie unter Zugrundelegung der von der Finanzverwaltung vor dem Jahressteuergesetz 2009 auch für Eigengesellschaften befürworteten »Zusammenfassungsgrundsätze« stehen würden. Der Streitfall zeigt dies anschaulich: Auf der Grundlage der für die BgA geltenden »Zusammenfassungsgrundsätze « wären die Verluste aus dem Betrieb der Schwimmhalle der Klägerin nach den Feststellungen des FG im angefochtenen Urteil mangels hinreichender technisch-wirtschaftlicher Verflechtung der Schwimmhalle mit dem von der Klägerin betriebenen Fernwärme-Heizkraftwerk nicht mit deren Gewinnen aus dem Tätigkeitsbereich der Energieversorgung verrechenbar gewesen. Die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG n.F. auf den Streitfall führt hingegen dazu, dass die Verluste aus dem Betrieb der Schwimmhalle sowohl steuerrechtlich anzuerkennen als auch in vollem Umfang mit Gewinnen aus jeglichen anderen Geschäftszweigen der Klägerin verrechenbar sind.

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IV. Die dem EuGH vorgelegten Rechtsfragen sind entscheidungserheblich.

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Sollte es sich bei § 8 Abs. 7 KStG n.F. um eine Beihilfe i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln, wäre die Vorschrift nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV bis zu einer Entscheidung der Kommission über die Vereinbarkeit der Steuerbegünstigung mit dem Binnenmarkt nicht anwendbar. Das Revisionsverfahren müsste bis zur Entscheidung der Kommission ausgesetzt werden.

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Sollte die Steuerbegünstigung nach § 8 Abs. 7 KStG n.F. keine verbotene Beihilfe sein, wäre die Entscheidung des FG aufzuheben und der Klage stattzugeben. Die Revision der Klägerin wäre begründet. Die Klägerin könnte die Steuerbegünstigung beanspruchen.

79
V. Das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH ist nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich. 80 VI. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.

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StE-Redaktion
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