Kann der § 2 EEG 2023 den Ausbau der Erneuerbaren und speziell der Windenergie an Land wirklich beschleunigen? (Quelle: Pixabay)
Trotz des jüngsten Aufwinds hinkt der Ausbau der Windenergie weiter hinter den Ausbauzielen her. Damit mehr Tempo in den Ausbau einzieht, wurde bereits im vergangenen Jahr das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Rahmen des „Osterpakets“ reformiert: Dabei wurde unter anderem mit dem neuen § 2 EEG 2021 (nun § 2 EEG 2023) den Erneuerbaren ein „überragendes öffentliches Interesse“ und ein Beitrag zur „öffentlichen Sicherheit“ zugeschrieben. Kann diese Neuerung den Ausbau der Erneuerbaren und speziell der Windenergie an Land wirklich beschleunigen? Ein Forschungsteam der Stiftung Umweltenergierecht hat § 2 EEG 2023 näher untersucht und in einer umfassenden Studie nun eine erste Bilanz gezogen, die durchaus positiv ausfällt.
In der nun veröffentlichten Würzburger Studie zum Umweltenergierecht Nr. 31, „Das überragende öffentliche Interesse und die öffentliche Sicherheit nach § 2 EEG 2023“, analysieren Frank Sailer und Saskia Militz Hintergrund, Inhalt und Wirkungsweise der Regelung und ihre Anwendungsbereiche. Außerdem wird die Anwendungspraxis samt Beispielen aus der aktuellen Rechtsprechung aufgezeigt. Auch das inhaltlich verwandte überwiegende öffentliche Interesse nach Artikel 3 EU-Notfall-Verordnung wird in der Studie thematisiert.
Vorrang für die Erneuerbaren, aber nicht absolut
Der Gesetzgeber schreibt in § 2 EEG 2023 für alle Rechtsbereiche und für Behörden und Gerichte verbindlich ein höchstrangiges öffentliches Interesse an den Erneuerbaren und damit eine strikte Gewichtungsvorgabe fest. „Es handelt sich nicht nur um einen bloßen Programmsatz, sondern um eine Wertungsdirektive“, erklärt Saskia Militz. Gerade bei wertoffenen Spielräumen, etwa bei Abwägungs-, Ermessens- und Planungsentscheidungen, ist damit die Entscheidung für Behörden und Gerichte für die Erneuerbaren vorgeprägt. „Die hier vorhandenen Spielräume fungieren als Einfallstore für die Wertungen des § 2 EEG 2023“, so die Juristin weiter.
Bei Abwägungsentscheidungen gilt damit eine Regelvermutung für das Überwiegen der Erneuerbaren. Im Rahmen der Abwägung ist dann nur noch zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der ein außerordentlich hohes Gewicht der gegenläufigen Belange begründet. Einen absoluten Vorrang der Erneuerbaren vor anderen Belangen, wie zum Beispiel dem Denkmal- und Naturschutz, hat der Gesetzgeber jedoch nicht geregelt. Es muss weiterhin eine Abwägung im Einzelfall erfolgen. Zudem ist § 2 EEG 2023 dort nicht anwendbar, wo das Gesetz gar keine Wertungsspielräume enthält.
Erstes Fazit nach gut einem Jahr
Sailer und Militz attestieren in der Studie, dass die Regelung – nach einem ersten anfänglichen Zögern einzelner Gerichte – inzwischen breit Eingang in die Behörden- und Gerichtspraxis gefunden hat: Prominente Beispiele sind der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (27.09.2022 – 1 BvR 2661/21) zur Windenergie im Wald im Verhältnis zur Außenbereichsprivilegierung, das Urteil des OVG Münster (16.05.2023 – 7 D 423/21.AK) zur zwingenden Anwendung des § 2 EEG 2023 bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer nicht-privilegierten Windenergieanlage sowie das Urteil des OVG Greifswald (07.02.2023 – 5 K 171/22) zu der Wirkungsweise von § 2 EEG 2023 im Zuge einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage.
„Diese Beispiele zeigen, dass sich die Gewichtung zugunsten der Erneuerbaren verschoben hat. Unsere erste Bilanz fällt also positiv aus: § 2 EEG 2023 ist eine wirkungsvolle Regelung. Sie kann und will jedoch nicht alle Hemmnisse für einen beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau beseitigen“, erklärt Frank Sailer. Gesetzgeber von Bund und Ländern seien daher weiterhin aufgerufen, besonders durch eine Konkretisierung von Prüfungsmaßstäben, einer Klarstellung und Reduzierung der Prüfprogramme sowie durch Verbesserungen bei Verfahren und Rechtsschutz den Ausbau der Erneuerbaren weiter zu beschleunigen.
Publikation
Sailer/Militz, Das überragende öffentliche Interesse und die öffentliche Sicherheit nach § 2 EEG 2023, Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 31 vom 2. November 2023
Weitere Information unter stiftung-umweltenergierecht.de.