Portraitbild Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge - Interview zur Coronakrise und deren Auswirkung auf den Energiesektor

Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI), Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der Universität zu Köln

„et“: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Energiesektor?

Bettzüge: Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben zu einem erheblichen Einbruch der Wirtschaftsleistung geführt. In der Folge hat sich auch die Energienachfrage stark reduziert, insbesondere wegen der deutlich gesunkenen Verkehrs- und Transportleistungen und des gesunkenen gewerblichen Strombedarfs. Bereits im ersten Quartal 2020 ist die Nachfrage nach Primärenergie in Deutschland um gut 7 % zurückgegangen. Dabei waren erst zum Ende des Quartals die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Energieverbrauch deutlicher erkennbar. Im zweiten und dritten Quartal wird der Corona-Effekt verstärkt sichtbar werden, sofern die Wirtschaft nicht schnell wieder anspringt. 

„et“: Was passiert mit den Preisen?

Bettzüge: Der enorme Preisverfall beim Rohöl ist für alle sichtbar. Auch beim Erdgas sind die Rückgänge beträchtlich. Der Vergleich aktueller Future-Notierungen mit denen von Ende 2019 zeigt einen Rückgang von zeitweise mehr als 30 %. Dieser Abstand wird sich bis 2022 nur zu einem Teil wieder schließen. Der Kohlemarkt reagiert im Vergleich bisher verhaltener auf die Corona-Krise. Die ohnehin niedrigen Notierungen bewegen sich nur leicht unter der Referenz-Entwicklung – Zeichen für den Baseload-Charakter dieses Energieträgers.

Interessant ist auch die Entwicklung auf dem CO2-Markt. Zunächst sank der Zertifikate-Preis von 25 € pro t CO2 auf 15 €, erholte sich aber relativ rasch auf 21 € und verharrt seitdem knapp unter der Marke von 20 €. Der Handel mit Emissionszertifikaten wird vor allem auch von längerfristigen Erwartungen sowie dem komplexen Zusammenspiel der Marktentwicklungen mit der neuen Marktstabilitätsreserve getrieben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Preisbildung einen anderen Verlauf nimmt als die der primären Energieträger.

Auswirkungen auf die Entwicklung der EEG-Umlage

„et“: Hat die Corona-Krise Auswirkungen auf die Entwicklung der EEG-Umlage?

Bettzüge: Die verminderte Stromnachfrage und der Rückgang der Strompreise an den Börsen um etwa 10 € je MWh wirken in doppelter Hinsicht auf eine Erhöhung der EEG-Umlage Umlage hin: Einerseits verringert der sinkende Verbrauch die Umlagebasis; damit steigt die spezifische Belastung der Verbraucher. Andererseits erhöhen sich die Differenzkosten zwischen Markterlösen und den gesetzlich garantierten Vergütungen für Strom aus erneuerbaren Energien. Wir haben am EWI diese Effekte jüngst quantitativ abgeschätzt (https://www.ewi.uni-koeln.de/de/news/corona-eeg-umlage/). Demnach wäre die EEG-Umlage ohne Corona-Krise im nächsten Jahr auf 8,1 Cent/kWh gestiegen – ein Anstieg um etwa 1,3 Cent pro kWh gegenüber dem aktuellen Stand. Den Corona-Effekt beziffert diese Rechnung zusätzlich mit 1,9 Cent pro kWh. Ohne zusätzliche dämpfende Maßnahmen oder regulatorische Deckelungen hätte die EEG-Umlage 2021 so auf den Rekordwert von fast 10 Cent pro kWh steigen können.

„et“: Erhöht Corona also den Druck, grundsätzlich über die EEG-Umlage zu diskutieren?

Bettzüge: Der prognostizierte starke Anstieg der EEG-Umlage ist der gegebene Anlass für die ohnehin sinnvolle Revision der EEG-Finanzierung. Bereits im Klimapaket aus dem vergangenen Herbst wurden Staatszuschüsse zu den Kosten des Erneuerbare-Energien-Ausbaus in Aussicht gestellt. Mit dem Corona-Hilfspaket von Anfang Juni baut die Bundesregierung dieses Engagement deutlich aus. Die Deckelung der EEG-Umlage auf 6,5 Cent je kWh in 2021 und 6,0 Cent je kWh in 2022 wird den Bundeshalt nach ersten Berechnungen zusätzlich zu den Beschlüssen des Klimapakets mit weiteren etwa 11 Mrd. € belasten. Auf der Gegenseite werden die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte nicht weiter belastet, da der Endkundenstrompreis so in etwa stabilisiert werden kann. Die soziale Schieflage durch die bisherige Praxis der Förderung erneuerbarer Energien wird somit nicht weiter verschärft.

„et“: Bis 2030 soll der Anteil von Strom aus erneuerbaren Quellen auf 65 % am Bruttostromverbrauch steigen. Das ist noch ein langer Weg.

Bettzüge: In der Tat. Zumal bei den ehrgeizigen Zielen berücksichtigt werden muss, dass der EE-Ausbau in eine neue Phase eingetreten ist. Denn je stärker die Stromerzeugung aus Wind und Sonne ausgebaut wird, umso mehr wird sie Opfer ihres eigenen Erfolgs: Je mehr Anlagen installiert sind, umso mehr Strom steht in wind- oder sonnenreichen Stunden zur Verfügung – und drückt dann den Marktpreis. Eine Sättigung des Strommarkts mit EE-Strom ist mittlerweile in etlichen Stunden erreicht. Für die Finanzierung von weiteren EE-Anlagen – in immer denselben Wind- und Sonnenbedingungen – wäre es also gut, wenn in solchen Stunden flexible zusätzliche Nachfrage nach Strom entstünde, beispielsweise durch Power-to-Heat oder Speicher. Doch solange der Strom u.a. durch die EEG-Umlage so stark verteuert wird, rechnen sich derartige Modelle nicht.

Um noch mehr EE-Anlagen in die immer gleichen meteorologischen Bedingungen in Deutschland zu integrieren, muss die EEG-Umlage also gesenkt – sprich: es muss eine andere Finanzierungsquelle gefunden – werden. Nach Lage der Dinge kann dies wohl nur der Staatshaushalt sein. Corona hat diese unvermeidliche Wirkung der EE-Expansion also beschleunigt.

„Die verminderte Stromnachfrage und der Rückgang der Strompreise an den Börsen um etwa 10 € je MWh wirken in doppelter Hinsicht auf eine Erhöhung der EEG-Umlage hin: Einerseits verringert der sinkende Verbrauch die Umlagebasis; damit steigt die spezifische Belastung der Verbraucher. Andererseits erhöhen sich die Differenzkosten zwischen Markterlösen und den gesetzlich garantierten Vergütungen für Strom aus erneuerbaren Energien.“

Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Direktor und Geschäftsführer des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI); Professor für Volkswirtschaftslehre, Energie und Nachhaltigkeit an der Universität zu Köln

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