Was die Sektoren zum Klimaziel beitragen müssen – und wie weit das Konjunkturpaket dabei hilft
Die im Konjunkturpaket gesetzten „grünen“ Stimuli sind richtig und wichtig für den Klimaschutz. Doch sie reichen nicht aus, um in allen Sektoren die notwendigen Impulse zur Beschleunigung der Dekarbonisierung zu setzen. Damit Deutschland seine Klimaziele planmäßig erreicht, müssen vielmehr alle Sektoren ihren Beitrag zur Emissionseinsparung leisten. Bislang hat hauptsächlich die Energiewirtschaft durch den Ausbau der Erneuerbaren ihren Anteil beigesteuert; für die Sektoren Verkehr, Wärme/Gebäude und Industrie hingegen gibt es noch einiges zu tun:
- Energiewirtschaft: Bis 2030 muss die Energiebranche jährlich 6,6 Mt CO2 einsparen (2,6 % p.a. gegenüber 2019), um das Sektorziel zu erfüllen. Betrachtet man die Entwicklung seit 2010, haben die Unternehmen diese Reduktionsrate längst erreicht: Die CO2-Einsparungen betrugen 12,8 Mt pro Jahr und damit fast das Doppelte der erforderlichen Reduktionsrate bis 2030. Allein der geplante Kohleausstieg wird einen erheblichen Beitrag zur Emissionsreduktion bis 2030 leisten. Zusätzlich machen die im Konjunkturpaket beschlossenen Änderungen den Weg jetzt frei für den weiteren Ausbau der Solar- und Offshore-Windkraft. Für die aktuell wichtigste erneuerbare Erzeugungsart allerdings – Windkraft auf dem Land – braucht es noch weitere Maßnahmen, um das 2030er-Ziel zu erreichen.
- Verkehr: Pro Jahr muss der Verkehrssektor fast genauso viel Kohlendioxid einsparen wie die Energiewirtschaft, nämlich 6,1 Mt (3,7 % p.a. gegenüber 2019). Bisher kommt die Verkehrswende allerdings kaum voran, im Gegenteil: Im vergangenen Jahrzehnt sind die CO2-Emissionen sogar um 6,8 % auf 165 Mt gestiegen. Hier kann das Konjunkturpaket gegensteuern und sowohl die Etablierung von Elektrofahrzeugen als auch die Schaffung von Ladeinfrastruktur vorantreiben.
- Wärme/Gebäude: Verglichen mit dem Verkehr liegt im Wärmesektor das jährliche Einsparziel bis 2030 um einiges niedriger, nämlich bei 4,4 Mt CO2 prozentual gesehen aber ebenso hoch (3,7 % p.a. gegenüber 2019). Die Emissionseinsparungen bei Gebäuden betrugen im vergangenen Jahrzehnt allerdings nur 2,9 Mt CO2 pro Jahr. Hier gibt es noch viel aufzuholen. Denn trotz aller staatlichen Fördermaßnahmen ist der große Wurf in Sachen klimagerechte Gebäudesanierung bislang ausgeblieben. So stagniert die Sanierungsrate laut Deutscher Energie-Agentur bei rund 1 % pro Jahr, obwohl zum Erreichen der Klimaziele mindestens 1,5 % notwendig wären. Gerade im Wärmesektor hat Deutschland in der letzten Dekade wertvolle Zeit verloren.
- Industrie: Um 4,1 Mt pro Jahr müssen die CO2-Emissionen in der Industrie sinken. Dies entspricht einer Reduktionsrate von 2,2 % p.a. gegenüber 2019. Die tatsächlich erforderlichen Anstrengungen liegen sogar noch höher, wenn man berücksichtigt, dass zukünftiges Wirtschaftswachstum die Emissionen weiter erhöht. Von der Erreichung dieser Ziele ist der Sektor noch weit entfernt: Die Emissionen sanken lediglich um 0,6 Mt von 188,2 Mt in 2010 auf zuletzt 187,6 Mt. Abgesehen von der erwähnten Förderung der Wasserstofftechnologien setzt das Konjunkturpaket bislang nicht ausreichend Anreize für mehr Klimaschutz im Industriesektor.
Wo die Politik noch nachbessern muss
Die Lücken zwischen Soll und Ist zeigen: Es sind noch viele Schritte zu gehen, wenn Deutschland seine Klimaziele 2030 wirklich erreichen will – in den Sektoren selbst, aber auch seitens der Politik. Nachbesserungsbedarf besteht in allen drei Dimensionen des energiewirtschaftlichen Dreiecks:
- Umwelt- und Klimaschutz: Der gegenwärtige Ausbaupfad von Solar- und Offshore-Windkraft kann laut Agora-Studie die Ökostromlücke nur zum Teil schließen. Um bis 2030 den geplante Erneuerbaren-Anteil von 65 % an der Stromerzeugung zu realisieren, muss der Zubau von Onshore-Windkraftanlagen sehr viel stärker forciert werden. Notwendig wären zusätzliche 3 bis 4 GW pro Jahr – das Dreifache des Zubaus von 2019. Im Wärmesektor wiederum fehlt es an einem klaren Konzept, wie ein weitgehend klimaneutraler Gebäudebestand zu erreichen ist, z.B. über eine deutliche Anhebung der Effizienzstandards.
Um die Energiewende in der Dimension Umwelt- und Klimaschutz insgesamt wieder auf Kurs zu bringen, braucht es nicht nur einmalige Finanzspritzen aus dem Konjunkturpaket, sondern grundlegende Weichenstellungen für langfristige Investitionen. Dazu zählt insbesondere die schnelle Umsetzung des vom Bundeswirtschaftsministerium aufgestellten 18-Punkte-Plans, der u.a. die Genehmigungsverfahren für Windenergie an Land beschleunigt.
- Wirtschaftlichkeit: Die Stromkosten für Privathaushalte und Industrie bleiben auf absehbare Zeit hoch. Zwar ist im Konjunkturpaket eine Deckelung der EEG-Umlage vorgesehen, allerdings auf immer noch beträchtliche 6,5 ct/kWh in 2021 und 6 ct/kWh im Jahr darauf – dies entspricht einer Entlastung von gerade einmal 0,8 % bzw. 2,4 % gegenüber dem durchschnittlichen Haushaltsstrompreis für 2020. Auch die sonstigen Abgaben für Strom bleiben unverhältnismäßig hoch: Nach Berechnungen von Agora Energiewende betrugen sie 2018 fast das Neunfache der Abgaben auf Erdgas und nahezu das Dreifache gegenüber denen von Benzin. Kaum zu glauben, aber bei Betrachtung der Preise pro Energieeinheit ist Benzin nur halb so teuer wie Strom und deutlich weniger belastet durch Steuern, Abgaben und Umlagen.
- Versorgungssicherheit: Beim dringend benötigten Ausbau der Transportnetze gerät Deutschland mehr denn je ins Hintertreffen. Von den ursprünglich bis 2020 geplanten 3.321 km ist erst ein gutes Drittel fertiggestellt. Damit der Netzausbau wieder Fahrt aufnimmt, müssen die Genehmigungsverfahren beschleunigt und mehr Rechtssicherheit beim Ausbau für die Netzbetreiber geschaffen werden. Partikularinteressen, etwa die aktuellen Widerstände gegen den Bau neuer Trassen, gilt es dabei zügig zu adressieren. Auch die Kraftwerkskapazität für die Stromversorgung ist bislang nicht langfristig gesichert. Hier warten auf die Politik noch massive Herausforderungen.