Damit der vorgeschlagene schrittweise Kohleausstieg sein Ziel sicher erreicht, sind flankierende Maßnahmen wie ein CO2-Mindestpreis essenziell

Damit der vorgeschlagene schrittweise Kohleausstieg sein Ziel sicher erreicht, sind flankierende Maßnahmen wie ein CO2-Mindestpreis essenziell (Bildquelle: Adobe Stock)

Durch den komplizierten Löschungsmechanismus im europäischen Emissionshandel könnten die Emissionen in der EU insgesamt sogar ansteigen. Die damit verbundenen Risiken werden bisher ignoriert oder zumindest deutlich unterschätzt. Man kann ihnen jedoch mit einem CO2-Mindestpreis und der Löschung von Zertifikaten begegnen. Der von der Kohlekommission vorgeschlagene Fahrplan zur schrittweisen Abschaltung von Kraftwerken birgt zwei Risiken, die bisher ignoriert oder zumindest deutlich unterschätzt wurden. Zum einen könnte das Klimaziel der Energiewirtschaft für 2030 trotz der Abschaltungen verfehlt werden, wenn es zu einer deutlichen Steigerung der CO2-Emissionen der noch im Markt verbleibenden Kohlekraftwerke kommt („Rebound- Effekt“). Und zum anderen könnten die durch den Kohleausstieg erzielten Emissionsreduktionen lediglich zu einer Verlagerung in andere Sektoren des europäischen Emissionshandels (ETS) führen („Wasserbett-Effekt“). Wir analysieren diese Effekte und kommen zu dem Schluss, dass sich der vorgeschlagene Fahrplan ohne zusätzliche Instrumente in dieser Hinsicht als riskant erweisen könnte.

Wechselwirkende Effekte: Rebound und Wasserbett

Für die Analyse ist es hilfreich, die beiden wechselwirkenden Effekte [1] vorab genauer zu erläutern. Der Rebound-Effekt wirkt über den Strommarkt. Durch das Abschalten von Kohlekraftwerken in Deutschland erhöht sich der Strompreis, und die im Markt verbleibenden Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke können häufiger kostendeckend produzieren. Dadurch wiederum erhöhen sich ihre Kapazitätsauslastung und die Emissionen. Je nachdem, ob diese Verlagerungen innerhalb oder außerhalb Deutschlands eintreten, spricht man vom nationalen [2] oder europäischen [3] Rebound-Effekt. Der Wasserbett-Effekt wirkt dagegen über den ETS. Durch den Kohleausstieg reduziert sich die Nachfrage nach Zertifikaten und damit deren Preis. Für alle Akteure in den vom ETS erfassten Sektoren im In- und Ausland wird es also billiger, zusätzliche Emissionsrechte zu erwerben. Das wiederum führt zu mehr Emissionen. Zwar wurde im Rahmen der jüngsten Reform der ETSRichtlinie beschlossen, dass durch die Marktstabilitätsreserve (MSR) ab dem Jahr 2023 Zertifikate gelöscht werden. Doch wie wir weiter unten erläutern, wird der Wasserbett- Effekt dadurch keineswegs neutralisiert. Tab. 1 gibt einen Überblick über beide Effekte, ihre Wirkungen und Einflussfaktoren. Sie ist additiv von links nach rechts aufgebaut. Ausgangspunkt ist der Kohleausstieg in isolierter Betrachtung ohne Rebound- und Wasserbett-Effekt. Ergebnis sind hier eindeutig geringere Emissionen. Durch die beiden Verlagerungseffekte können diese Einsparungen jedoch wie oben beschrieben (über)kompensiert werden. Der Gesamteffekt ist entsprechend unbestimmt – und muss für die Beurteilung der Risiken mithilfe numerischer Modelle quantifiziert werden. Bisherige Untersuchungen schätzen diese Risiken als eher gering ein. So kommt eine Analyse des Öko-Instituts zu dem Ergebnis, dass durch die Umsetzung der Empfehlungen der Kohlekommission das nationale Klimaziel sicher erreicht würde [3]. In der Analyse wird allerdings über die Standardannahmen hinaus nur ein einziges Sensitivitätsszenario mit positiverer Preisentwicklung (höherer CO2- Preis, niedrigerer Gaspreis) betrachtet. Ob das Klimaziel „sicher“ erreicht wird, kann mit diesem Ansatz daher nicht robust untersucht werden. In einer weiteren Untersuchung kommt die Agora Energiewende [4] zu dem Schluss, dass der Wasserbett-Effekt Geschichte sei. Die jüngste ETS-Reform würde dafür sorgen, dass die nationalen Emissionsreduktionen durch eine entsprechende Löschung von Zertifikaten nicht zu Emissionssteigerungen in den europäischen Nachbarländern führen. Offen bleibt dabei jedoch, in welchem Umfang diese Löschung durch die MSR erfolgt, ob eine zusätzliche nationale Löschung notwendig ist, und welche finanziellen Implikationen diese hat. Davon abweichend zeigt unsere Analyse, dass das deutsche Klimaziel nicht erreicht wird und die zusätzlichen Emissionsreduktionen des Kohleausstiegs durch den kombinierten Rebound-Wasserbett-Effekt zunichtegemacht werden könnten. Wir kommen zu diesem Ergebnis, weil wir im Gegensatz zu den obigen Studien beide Effekte in Kombination betrachten, Unsicherheiten über die zukünftigen Preisentwicklungen berücksichtigen und zudem die Wirkung des neuen Löschungsmechanismus durch die MSR explizit mit einbeziehen. Dadurch zeigt sich, dass der Wasserbett-Effekt auch durch die ETS-Reform kaum vermindert wird. Denn die MSR-Löschung ab 2023 ist vor allem für zusätzliche Emissionsminderungen wirksam, die bereits in den kommenden Jahren erfolgen. Der Kohleausstieg reduziert die nationalen Emissionen größtenteils jedoch erst nach 2030, weil die meisten Kraftwerke, die dem Zeitplan zufolge schon vorher abgeschaltet werden, ohnehin aus dem Markt gegangen wären. Im Folgenden beschreiben wir die Ergebnisse und erläutern, warum ein CO2-Mindestpreis bzw. eine zusätzliche Löschung von Zertifikaten essentiell für die Absicherung der Risiken des Kohleausstiegs ist.

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