Modell LIMES EU - Ergebnisse
Tabelle 1 (Bildquelle: Autoren des Textes)
Abb. 1: Emissionen im Stromsektor in 2030 (Bildquelle: Autoren des Textes)
Unsere Untersuchung basiert auf dem Modell LIMES EU (weitere Informationen zum Modell, den Szenarien und Annahmen unter: https://www.pik-potsdam.de/members/pahle/et-artikel-risiken-kohleausstieg) mit dem wir die beiden folgenden Grundszenarien analysieren: „Referenz“ (kein Kohleausstieg) und „Kohleausstieg“ (Plan der Kohlekommission zur Abschaltung). Dabei gehen wir zunächst von Standardannahmen bezüglich der zukünftigen Marktentwicklung aus und leiten daraus die durch den Kohleausstieg erreichte Emissionsminderung ab. Darauf aufbauend untersuchen wir verschiedene Risikoszenarien, die im nächsten Abschnitt beschrieben werden. Sie sind identisch mit dem Szenario „Kohleausstieg“, unterstellen jedoch für jeweils einen emissionskritischen Faktor eine alternative Marktentwicklung. Diese Szenarien stellen „worst cases“ (höhere Emissionen) dar, weil nur hier für politische Entscheidungsträger ein Risiko besteht, nachbessern zu müssen. Alternative „best cases“ bleiben außer Acht.
Risiko „Verfehlung des nationalen Klimaziels 2030“
In diesem Abschnitt zeigen wir, zu welchen Emissionsreduktionen der Kohleausstieg in den verschiedenen Szenarien führt. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Abb. 1 dargestellt. Wie auch das Öko-Institut in der bereits erwähnten Studie [3] stellen wir fest, dass bei Standardannahmen für Brennstoff- und Zertifikatspreise (Szenario „Kohleausstieg“) das Klimaziel 2030 erreicht wird. Die Emissionen sinken gegenüber dem Fall ohne Ausstieg (Szenario „Referenz“) jedoch lediglich um 17 Mt CO2. Mit anderen Worten: Ein Großteil der Kohlekapazitäten würde auch ohne Ausstieg und allein durch den ansteigenden ETS-Preis vom Markt genommen. Die Analyse der Risikoszenarien zeigt weiterhin, dass selbst diese Reduktionen bei ungünstigen Marktentwicklungen mitunter verpuffen. Welche Faktoren bzw. Unsicherheiten dabei den größten Einfluss haben, wird im Folgenden erläutert. Ein erster Risikofaktor sind sinkende Kohlepreise, die diesen emissionsintensiven Energieträger im Vergleich zu Gas wettbewerbsfähiger machen. Zwischen 2000 und 2019 bewegte sich der Einfuhrpreis für Steinkohle zwischen 40 und 112 €/t Steinkohleeinheiten (SKE), in 2016 lag er unter 60 €/t SKE. Angelehnt an diese historische Entwicklung nimmt das Risikoszenario „Kohlepreis“ an, dass der Kohle-preis im Jahr 2030 vorübergehend um 40 % auf 50 €/t SKE absinkt. In diesem Fall steigen die Emissionen im selben Jahr auf 195 Mt CO2 an. Ein zweiter Risikofaktor ist eine steigende Stromnachfrage, die die Emissionen durch alle fossilen Energieträger erhöht. Dazu könnte es insbesondere kommen, wenn der Verkehrs- und Wärmesektor umfassend elektrifiziert wird [5]. Wir gehen im Risikoszenario „Nachfrage“ von einer Nettosteigerung um 40 % im Jahr 2030 aus. Dies würde die Emissionen im Fall eines Kohleausstiegs auf 199 Mt CO2 ansteigen lassen. Sinkende Preise im EU-ETS – ein dritter Risikofaktor – machen die Kohle im Vergleich zu Gas ebenfalls wettbewerbsfähiger. Zwischen 2011 und 2013 sank der Preis von rund 15 auf knapp 3 €/t CO2; seit 2017 stieg der Preis vermutlich infolge der Reform des ETS von etwa 5 auf rund 25 €/t CO2 an. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass die Preise zukünftig erneut stark einbrechen, etwa wenn es zu ökonomischen oder politischen Schocks kommt. Daher betrachten wir im Risikoszenario „ETS Preis“ einen temporären Einbruch des Zertifikatspreises um 15 €/t CO2 im Jahr 2030. Dieser Einbruch führt zur größten Zielabweichung aller drei Risikoszenarien: die Emissionen würden auf 204 Mt CO2 ansteigen, was nahezu dem Niveau der Emissionen im Szenario „Referenz“ (kein Kohleausstieg, Standard-annahmen) entspricht. Da man einen Preiseinbruch im ETS in dieser Höhe nicht ausschließen kann, ist eine entsprechende Absicherung des CO2-Preises für das sichere Erreichen des Klimaziels 2030 also zentral.
Risiko „Emissionsverlagerung im ETS“
Als nächstes schätzen wir die quantitative Größenordnung der Emissionsverlagerung im ETS ab, die sich durch den kombinierten Rebound- und Wasserbett-Effekt ergibt. Dabei nehmen wir an, dass das zurzeit bestehende Regelwerk für den ETS auch in Zukunft Bestand hat. In Übereinstimmung mit theoretischen [1] und numerischen [6] Analysen finden wir, dass der Wasserbett-Effekt durch die MSR nicht neutralisiert wird. Grund dafür ist, dass der Großteil der zusätzlichen Emissionsreduktionen durch den Kohleausstieg erst ab dem Jahr 2035 erfolgt (siehe Abb. 2). Zu diesem Zeitpunkt jedoch ist der Marktüberschuss an Zertifikaten (nicht gezeigt) schon stark abgebaut, und die MSR wird nicht weiter mit Zertifikaten befüllt: der Wasserbett-Effekt wirkt also fort. Dies führt wiederum durch den Mechanismus der intertemporalen Preisbildung dazu, dass sich der ETS-Preis über den gesamten Zeithorizont reduziert und in allen ETS-Sektoren die Emissionen entsprechend ansteigen. Infolgedessen reduziert sich die Löschung aus der MSR insbesondere in den Jahren bis 2035 (grün umrandete Balken). Speziell in Deutschland hat das zur Folge, dass trotz Kohleausstieg die Emissionen im Stromsektor im Jahr 2020 im Vergleich zum Szenario „Referenz“ aufgrund des geringeren ETS-Preises leicht ansteigen. Begünstigt wird dies durch den Umstand, dass die Kraftwerkskapazität laut Plan der Kohlemission bis dahin nur minimal reduziert wird und daher wie oben beschrieben die Mehrzahl der Kohlekraftwerke im Markt verbleibt. ETS-weit bewirkt die reduzierte Löschung, dass es zu einer Netto-Erhöhung der Emissionen kommt (siehe Abb. 2 rechts): Im deutschen Stromsektor reduziert der Kohleausstieg die Emissionen zwischen 2020 und 2050 (Modelljahre) um insgesamt 911 Mt CO2. Gleichzeitig erhöhen sich die Emissionen im restlichen ETS (ausländische Strommärkte und Industrie) um 1.075 Mt CO2, weil die Löschung durch die MSR um 164 Mt CO2 geringer ausfällt. Dass der Kohleausstieg im wahrsten Sinn des Wortes europaweit sogar nach hinten losgehen könnte, unterstreicht nur die Bedeutung dieses Risikos.