Bedeutung der europäischen Erfahrungen der Energie- und Stromwende für die globale Stromversorgungssicherheit

Abb. 1 Frankreichs Defizit bei der Stromerzeugung aus Atom- und Wasserkraftwerken hat das Land vom Exporteur zum Importeur von Strom gemacht. Die Linien und Werte stellen die Netto-Stromimporte zwischen Frankreich und den einzelnen Nachbarländern dar (Quelle: Ember)

Abb. 2 Entwicklung der weltweiten Stromnachfrage nach Regionen (links) und regionale Anteile (rechts) 1990-2025 (Quelle: IEA: Electricity Market Report 2023)
Die Gewährleistung einer stabilen Stromversorgungssicherheit ist für eine sichere „grüne Energiewende“ und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen einer hochindustrialisierten Gesellschaft und eines Staates immer wichtiger geworden, da all diese kritischen Infrastrukturen auf eine stabile Stromversorgung angewiesen sind. Mit dem Ausbau fluktuierender erneuerbarer Energien (EE), dem Ersatz fossiler Kraftwerke, der Elektrifizierung des Verkehrssektors (E-Mobilität) und dem Ausbau von Wärmepumpen im Gebäudesektor wird unser gesamtes Leben künftig noch weitaus mehr von ausreichenden Erzeugungs- und Stromspeicherkapazitäten sowie dem Ausbau eines smarten Stromnetzes abhängig sein.
Während Deutschland und viele andere Länder die Einführung der EE in ihrem Energie- und Stromerzeugungsmix im letzten Jahrzehnt eindrucksvoll ausgebaut haben, haben sie nicht gleicher¬maßen auf eine ausreichende Netzmodernisierung und deren Ausbau geachtet, um den Strom auch zuverlässig zu seinen Verbrauchern zu transportieren. Infolgedessen konnte die jährlich ausgebaute Stromerzeugung nie vollständig für die Verbraucher bereitgestellt werden, was zu hohen Verlusten an erzeugtem Strom, hohen Verbraucherpreisen und zunehmenden Problemen der Lastinflexibilität und einer unzureichenden Reservekapazität für volatile EE geführt hat.
Der massive Ausbau der erneuerbaren Energiekapazitäten ist auf der einen Seite im positiven Sinne beispiellos. Die Einführung intelligenter Zähler (Smart Meter) und die Modernisierung sowie der Ausbau intelligenter Stromnetze erfordern jedoch auch ein effizientes Management durch die Netzbetreiber, um die Systemkapazität und die Netzeffizienz zu maximieren und Verschwendung oder Verlust von erzeugtem grünem Strom zu vermeiden.
Die deutsche Energiewende und die Erfahrungen mit den europäischen Energiewendepfaden haben die folgenden Herausforderungen einer globalen grünen Energiewende offengelegt:
- Unzureichende Beachtung des gleichzeitigen Ausbaus der Stromnetze und ihrer Modernisierung sowie smarter regionaler Verteilungsnetze, welches zu unnötigen Verlusten erzeugter Strommengen, steigenden Verbraucherpreisen und zunehmenden Problemen der Lastinflexibilitäten geführt hat;
- Die Einführung von Smart Metern und des Netzausbaus erfordert ein effizientes Management der Netzoperateure zur Maximierung der Systemkapazitäten, der Netzwerkeffizienz, um so den Verlust von sauberem Strom zu verhindern;
- Dezentrale Stromnetze erfordern flexible Kapazitäten, ausreichende Stromspeichermöglichkeiten, kürzere Genehmigungsverfahren und verlässliche Strategien zur Vermeidung von lokalen Landkonflikten und explodierenden Lieferkettenkosten;
- Die Dezentralisierung von Stromnetzen und Diversifizierung des Stromerzeugungsmixes hat auch neue Anforderungen an eine adäquate Übersicht und der Netzwerktransparenz aufgrund beschränkter Daten für eine effektivere Koordination eines flexiblen Lastmanagements von Angebot und Nachfrage geschaffen. Als Resultat dieser Probleme gehen rund 20 % der Stromnetzkapazitäten verloren bzw. stehen nicht zur Verfügung;
- Die Einführung von Multi-Sensorik-Technologien und smarter „Selbstheilungs“-Netzwerken kann die bestehenden Engpässe und unzureichenden Kapazitäten, Inflexibilitäten und Netzwerkineffizienzen überwinden und ausgleichen, setzt jedoch ausreichende und zeitnahe Investitionen voraus.
Dabei bieten die europäischen Erfahrungen wichtige Lehren für den Rest der Welt und insbesondere Asien, indem sie die deutschen und europäischen Fehler sowie erfolglosen Strategien für ihre Umstellung auf saubere Energien vermeiden können. So wird Asiens Anteil am weltweiten Energieverbrauch von 25 % im Jahr 2000 auf 50 % im Jahr 2025 rasant steigen (siehe Abb. 2). Auf China allein werden rund 33 % entfallen. Dabei ist Kohle mit rund 36 % nach wie vor die größte Quelle der weltweiten Stromerzeugung. Auch der globale Verbrauchshöchststand von Kohle ist noch keineswegs bereits erreicht.
Die Komplexität der Umstrukturierung des Elektrizitätssystems erfordert ganzheitliches Denken und umfassende, holistische Reformpläne, indem einzelne, eng fokussierte Maßnahmen der Segmentierung vermieden werden müssen. Vor allem müssen dabei auch stets die wechselseitigen Auswirkungen der einzelnen Reformmaßnahmen beachtet und vorab möglichst antizipiert werden. So gefährdet das Aufschieben oder die Verlagerung von Entscheidungen und Pläne in andere Bereiche die künftige Systemfähigkeit und deren Effizienz, da alle Bereiche und Entscheidungen miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind. Dies aber läuft häufig dem tradierten Verständnis von Versorgungssicherheit, der Effizienz und niedrigeren Preisen zuwider. Doch kann die künftige Stromversorgungssicherheit nicht von wirtschaftlichen Preisen und dem zukünftigen Strom- sowie Lastmanagement sowie umgekehrt getrennt werden.
Seit dem Kriegsjahr 2022 konnten zudem auch größere staatliche Interventionen in den Elektrizitätsmarkt nicht vermieden werden, um die Versorgungssicherheit und ihre Widerstandsfähigkeit zu verbessern sowie die Gas- und Strompreisexplosionen für Wirtschaft und Privathaushalte einzudämmen. Sie müssen jedoch zugleich begrenzt werden, auch wenn regulatorische Unsicherheiten beseitigt und flexible Nachfragereaktionen sowie rechtzeitige Versorgungsmaßnahmen in der Erzeugungsstruktur ermöglicht werden müssen, da sie sich auf die Preisentwicklung, die Amortisationszeit von Anlagen und anderen Vermögenswerten sowie dringend benötigte rechtzeitige Investitionen positiv auswirken sollen. So wurden im vergangenen Jahr "Power Purchase Agreements (PPAs)" (langfristige Stromverträge mit einem vorab vereinbarten Preis) eingeführt, um zu einer sicheren Stromversorgung der Verbraucher und Erzeuger beizutragen.
Diese PPAs allein sind jedoch keine Garantie für niedrige Preise und eine stabile Stromversorgungssicherheit. Dies gilt auch für die neuen "Contracts for Difference (CfDs)", die darauf abzielen, den Anlagenbetreibern Preise für die Absicherung erneuerbarer Investitionen gegen Marktrisiken in großen Krisen wie dem Ukraine-Krieg zu garantieren. Sie können jedoch kontraproduktive Auswirkungen haben, da sie der Notwendigkeit der Energieeinsparung zuwiderlaufen und falsche Signale für das Nachfragegleichgewicht des Marktes senden oder eine markteffiziente Koordinierung von Angebot und Nachfrage sowie ausreichende rechtzeitige Investitionen verhindern können.
Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission ihr traditionelles Strommarktdesign überarbeitet und am 14. März mit einem Vorschlag vorgestellt. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht dabei auch die bisherige „Merit Order“, wonach die teuersten Gaskraftwerke die Strompreise in Europa bestimmt haben. So waren die präzedenzlos explodierenden hohen Gas- und Strompreise in 2022 sowohl für die Privathaushalte als auch für die energieintensiven Industrien unerschwinglich geworden und gefährdeten sowohl die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als auch den sozialen Frieden in den EU-Mitgliedstaaten.