Abb. 1 Kernenergie, Windkraft, Photovoltaik und Wasserkraft (Anteile am PEV in %)

Die Enttäuschung wird aber noch größer, wenn man sich klarmacht, dass knapp ein Drittel dieses Verbrauchsrückgangs nichts mit Einsparung zu tun hat, sondern auf einen statistischen Effekt zurückzuführen ist. Ursächlich dafür sind die Konventionen der Energiebilanz, die bei der Verbuchung der Kernenergie und der erneuerbaren Energieträger zum Einsatz kommen. So hilft die Statistik und – Ironie der Geschichte – der Ausstieg aus der Kernenergie, dass die Bundesregierung auf dem Feld der Energieeinsparung nicht noch mehr an Glaubwürdigkeit verliert.

Oft wird gesagt, die Beschäftigung mit Energiestatistik sei nur etwas für Spezialisten. Aber in Zeiten, in denen die Bundesregierung immer mehr quantitative Ziele für die künftige Energieversorgung vorgibt, gewinnt das Thema „Statistik“ gewaltig an Bedeutung. Wer die Vorgaben zur Energieeinsparung und den Erfolg der Politik auf diesem Gebiet richtig einschätzen will, kommt nicht daran vorbei, sich näher mit statistischen Grundlagen zu beschäftigen.

Wichtig ist vor allem das Verständnis, wie die beiden Energieträger „Kernenergie“ und „Erneuerbare Energieträger“ in der Energie-bilanz verbucht werden. Es lohnt sich, sich mit den hier gültigen Konventionen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen vertraut zu machen.

Geheimnisse der Energiebilanz

Die gebräuchlichste, weil umfassendste, Größe zur Charakterisierung der Energiewirtschaft eines Landes ist der PEV. Der PEV umfasst den Verbrauch von Mineralöl, Steinkohle, Braunkohle, Erdgas, Kernenergie, Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik und den Verbrauch der sog. sonstigen Energieträger (Brennholz, Klärgas, Müll u.a.). Bei der Bestimmung des PEV spielt auch der Außenhandelssaldo Strom eine Rolle, auf den jedoch an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll.

Relativ einfach und unstrittig zu ermitteln sind der Verbrauch von Mineralöl, Steinkohle, Braunkohle und Erdgas. Hier gibt es Informationen über die Heizwerte, auf die man zurückgreifen kann. So unterstellt etwa die Energiebilanz für Rohöl einen Heizwert von 42.205 kJ pro kg und für Steinkohle einen Heizwert von 27.196 kJ pro kg. Schwieriger wird die Erfassung des Verbrauchs bei Energieträgern, bei denen es keine Heizwerte gibt. Das gilt für die Kernenergie, für die Wasserkraft, für die Windenergie und für die Photovoltaik. Diese Energieträger werden zur Stromerzeugung eingesetzt. Damit ist eine Bewertung in den Kategorien der Energiebilanz möglich, sobald man sich darauf verständigt hat, wie viel Einheiten Primärenergie bei den einzelnen Technologien rechnerisch anzusetzen sind, um eine Einheit Strom zu erzeugen. Deutschland stützt sich in seiner Energiebilanz auf den international gültigen „Wirkungsgradansatz“. Es gelten folgende Konventionen [1]:

  • Bei der Kernenergie wird ein Wirkungsgrad von 33 % angenommen. Dahinter steckt die folgende Überlegung. Die bei der Kernspaltung freigesetzte Energie wird zunächst in thermische, dann in kinetische und schließlich in elektrische Energie umgewandelt. Auf diesem Weg bleiben in etwa zwei Drittel der Ausgangsenergie ungenutzt und entweichen im Wesentlichen als Wärme über den Kühlturm. Nur das letzte verbleibende Drittel der zugeführten Primärenergie steht dem Verbraucher in Form von Strom zur Verfügung.
  • Bei Wasserkraft, Windenergie und Photovoltaik wird in der Energiebilanz ein Wirkungsgrad von 100 % unterstellt. Nun lässt die Physik grundsätzlich keine Wirkungsgrade von 100 % zu. Die Festlegung des Wirkungsgrads der erneuerbaren Energien ohne Heizwert mit 100 % muss daher mit anderen Argumenten begründet werden. Der Grundgedanke ist hier, dass bei der Nutzung von Wasser, Wind und Sonne keine Rohstoffe verbraucht werden. Damit hat man eine Rechtfertigung, die physikalischen Gesetze zu ignorieren und in der Statistik so zu tun, als ob bei der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien keine Verluste anfallen. Tatsächlich fallen natürlich Umwandlungsver luste an, wobei folgende Werte als grobe Orientierung plausibel erscheinen: Bei Wasserkraft kann man einen Wirkungsgrad von 80 % ansetzen, bei Wind von 40 %. Bei der Photovoltaik kann man allenfalls einen Wirkungsgrad von 20 % erwarten [2].

Energiedaten in der politischen Debatte

In der politischen Debatte spielen Zahlen zur Struktur des Energieverbrauchs immer wieder eine wichtige Rolle. Wer sich an dieser Debatte beteiligen will, tut gut daran, sich immer wieder die unterschiedliche Bewertung von Kernenergie und erneuerbaren Energien vor Augen zu halten. Werfen wir dazu einmal einen Blick auf die Statistik. Die Kernenergie hat auf der Basis des Wirkungsgradansatzes in 2010 mit rd. 11 % zur Deckung des Primärenergieverbrauchs beigetragen. In 2018 betrug der Anteil der Kernenergie noch 6 %.

Leser, die verstanden haben, wie die Buchungen in der Energiebilanz zustande kommen, wissen, dass diese hohen Anteilswerte etwas mit dem unterstellten Wirkungsgrad zu tun haben. 33 % Wirkungsgrad bedeuten ja, dass beim PEV der Kernenergie Umwandlungsverluste in Höhe von 67 % unterstellt werden. Bei den erneuerbaren Energien gibt es nach den in der Energiebilanz gültigen Konventionen keine Umwandlungsverluste. Und so kommt die Windkraft in 2010 nur auf einen Anteil von gerade 1 %. Bis 2018 stieg der Anteil auf immerhin 3,2 %. Und der Beitrag der Photovoltaik zum PEV lag in 2010 bei 0,3 % und in 2018 bei „beachtenswerten“ 1,5 % (Abb. 1).

Diese Zahlen empfinden manche als ein „optisch irritierendes Ergebnis“. Vor allem Vertreter der erneuerbaren Energien, die dem breiten Publikum begreiflich machen wollen, dass Windkraft und Photovoltaik die „großen Stützen“ der künftigen Energieversorgung in Deutschland sein werden, haben in aller Regel wenig Gefallen an solchen Gegenüberstellungen. Manche aus diesem Kreis deuten die Zahlen für die Kernenergie gelegentlich auch als eine aus „lang zurückliegenden Zeiten stammende bewusste Überhöhung der Kernenergie“, hinter der die „verschwenderische Nutzung“ von Energie bei der Umwandlung verborgen bleibe.

Es ist klar, dass die Ergebnisse anders ausfallen würden, wenn man für die erneuerbaren Energien eine andere Konvention wählen würde. So könnte man etwa die gleichen Maßstäbe wie bei der Kernenergie anlegen. Die Hinzurechnung der Umwandlungsverluste bei Wasser (20 %), Wind (60 %) und Photovoltaik (80 %) würde deren Werte erhöhen und in diesem Zuge natürlich auch die Struktur des PEV verändern. So würde etwa die Photovoltaik - bei Einbeziehung der Umwandlungsverluste - in 2018 mit rd. 7 % zum PEV beitragen (an Stelle von 1,5 % ohne Umwandlungsverluste).

Wer aber an dieser Stelle über eine mögliche Neufassung der Energiestatistik grübelt, dem sei der guten Vollständigkeit halber der Hinweis gegeben, dass die Durchsetzung der oben angedeuteten Konvention bemerkenswerte Konsequenzen hätte: Der Ausbau der erneuerbaren Energien würde zu einem insgesamt deutlich höheren PEV führen. Schlimmer noch: Der Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energie würde geradezu zwangsläufig auf einen stetig wachsenden PEV in Deutschland hinauslaufen; ein Ergebnis, dass der Öffentlichkeit sicher nicht einfach zu vermitteln wäre.

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